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Baumbach und "Greenberg": Depressiver Clown

Foto: Tobis

"Greenberg"-Regisseur Baumbach Depressiver Meister-Clown

Ben Stiller als 40-jähriger Kauz in der Lebenskrise - das soll interessant sein? Ja! Jedenfalls wenn der US-Regisseur Noah Baumbach es wie in seinem neuen Film "Greenberg" inszeniert. Der Mann ist ja selber ziemlich schräg - und mit seiner Bissigkeit fast schon der bessere Woody Allen.

Er sieht aus wie ein Küken, das aus dem Nest gefallen ist. Die braunen Haare von Noah Baumbach stehen nach allen Seiten ab, seine Augen sind noch vom Schlaf der letzten Nacht verklebt. Der schmale Körper wird fast komplett von der Ledercouch verschluckt. Der ewige New Yorker Indie-Boy unter Amerikas Filmemachern wirkt an diesem frühen Morgen reichlich deplatziert in dem edlen Berliner Hotel, in das man ihn aus Promotiongründen einquartiert hat.

Macht nichts. Deplatziert ist ein gutes Stichwort für den neuen Film, den Baumbach im Gespräch beim Schlürfen immer neu herbeigetragener Kaffees erklären soll. Schließlich geht es um einen New Yorker, den es nach Los Angeles verschlagen hat. "Als erstes", erklärt der Regisseur, "hatte ich dieses Bild von einem kleinen Mann aus New York im Kopf, wie er zu Fuß durch diese breiten Straßen in Los Angeles geht. Können ja alle kein Auto fahren, die New Yorker."

Greenberg heißt dieses maulfaule, bewegungsunlustige und für kalifornische Verhältnisse provozierend blasse Männlein. Der Schauspieler Ben Stiller, sonst eher für entfesselte Gesichts- und Körperakrobatik bekannt, spielt das Kerlchen mit aggressiver Tragikomik. Im Westküsten-Haus des Bruders hat er sich einquartiert, weil es an der Ostküste offensichtlich nicht so gut lief. Nun kultiviert er hinter geschlossenen Markisen seine schlechte Laune. Die Sonne lacht, Greenberg grimmt.

Weite Stadt, seelische Enge

"Die Umgebung sollte ein Gegenpart zum Charakter sein", erläutert Baumbach die Gestaltung von Greenbergs Welt. Dann setzt er zum zweiten Kaffee an und führt aus: "Zum ersten Mal habe ich Widescreen gedreht, denn dies sollte auch ein Film über die Weite von Los Angeles sein." Klaustrophobie trifft Breitwandbilder, Engstirnigkeit auf Weitläufigkeit: Im Kontrast zur ausladenden Stadt, die Greenberg schlechtgelaunt zu Fuß abmisst, zeigt Baumbach die ganze Verbohrtheit seines Protagonisten.

Und die Engel von Los Angeles, können sie den New Yorker nicht retten? Mit der Hausangestellten Florence (Greta Gerwig) lernt Greenberg immerhin das perfekte Gegenteil von sich selbst kennen: Wo bei ihm extremes Phlegma herrscht, regiert bei ihr eine pathologische Weltumarmungslaune. In einer Bar singt sie einsam ihre Lieder. Greenberg kommt und findet's scheußlich. Trotzdem geht er mit Florence ins Bett; vielleicht auch deshalb, weil er jemanden braucht, der ihn durch dieses verdammte L.A. kutschiert.

Ursprünglich sollte der Menschenfeind Greenberg eher 30 sein, im Film feiert er aber seinen 41. Geburtstag - so wie Regisseur Baumbach selbst kurz nach Ende der Dreharbeiten. "Ehrlich gesagt hatten wir am Anfang gar nicht Ben Stiller als Darsteller im Sinn. Aber nach einem Treffen wurde er auf einmal zu Greenberg. Dadurch ist die Figur jetzt zehn Jahre älter, aber so gewinnt sie an Tragik und Tiefe. Mit 30 findest du immer den Notausgang, mit 40 wird es eng."

Mit 30 kann es auch charmant sein, ein bisschen auf Koks durchzudrehen. Mit 40 sieht das eher beängstigend aus: Auf einer Studentenparty nimmt Greenberg eine Nase und quält die Kids mit Achtziger-Hits. Ben Stiller spielt das als depressive Kasperei.

Kennt Baumbach eigentlich viele Greenbergs in seiner unmittelbaren Umgebung? Er rauft sich die sowieso schon abstehenden Haare und seufzt: "Oh ja, und es werden täglich mehr!" Wo er in New York auch hinschaue - überall verbiesterte Besserwisser.

Die Kunst des Verhindertseins

Für sich selbst hat der Regisseur eine gute Strategie gefunden, ein Anti-Aging-Programm - oder besser: ein Anti-Greenberging-Programm, um nicht in den selbstgefälligen Weltschmerz seines Protagonisten zu verfallen. Er dreht einfach hartnäckig Filme und ist mit seinen immer wiederkehrenden Themen einer der wenigen Auteurs des US-Filmbetriebs geblieben.

Mit seinem Traum von einem ironischen, empfindsamen und zugleich erfolgreichen Independent-Kino steht Baumbach allerdings ziemlich alleine da. Von der Regie-Truppe, die sich Anfang der Neunziger aufmachte, dem amerikanischen Film aus der Perspektive orientierungsloser Mittelstands- und Bildungsbürgerkids neue Impulse zu geben - Hal Hartley ("Amateur"), Richard Linklater ("Slacker"), Whit Stillman ("The Last Days Of Disco") - ist er der letzte, der noch sein Ding durchzieht. Linklater erledigt inzwischen Auftragsarbeiten für Hollywood, von Hartley hat man schon fünf Jahre nichts mehr gehört, bei Stillman herrscht seit rund zehn Jahren Funkstille.

Noah Baumbach aber erzählt weiter gut gelaunt seine Geschichten über verhinderte Musiker, verhinderte Literaten, verhinderte Journalisten. Und dafür bedient er sich rigoros aus dem eigenen Umfeld. Für "Der Tintenfisch und der Wal", seinen bislang erfolgreichsten Film, hatte er die Scheidungsgeschichte seiner Eltern rekonstruiert und die Handlung dann auch noch im Brooklyn der eigenen Kindheit angesiedelt.

Zudem müssen Vater und Mutter Baumbach, beides ausgemachte New Yorker Intellektuelle, immer mal wieder kleine Minirollen in seinen Produktionen übernehmen; also quasi noch mal ihre eigenen gescheiterten Ambitionen zur Aufführung bringen. So gesehen ist Noah Baumbach längst der bessere Woody Allen: Die Akademiker-Selbstbespiegelung tut bei ihm wirklich weh.

"Ich gestehe!", sagt Baumbach. "Ich bin selbst dafür verantwortlich, dass jeder glaubt, mich aufgrund meiner Filme zu kennen. Man muss ja nur mal ein bisschen googlen, um all die Verbindungen zwischen meinem Leben und meinen Filmen zu entdecken."

Hat er eigentlich jemals selbst versucht, einen Roman zu schreiben? "Nein, aber um mich herum gab es immer viele Schriftsteller und Möchtegernschriftsteller. Meinen Vater zum Beispiel. Ups, schon wieder ein Verweis aufs Privatleben. Ich fand dessen Kampf ums richtige, ums wahre Wort immer sehr anrührend."

Clowns mit Tiefgang

Das Spannende ist, dass Baumbach bislang all diese Möchtegernkünstler im Kreativen-Biotop zwischen Brooklyn und Long Island mit ausgewiesenen Quatschmachern besetzte, etwa mit Jeff Daniels ("Der Tintenfisch und der Wal") oder Jack Black ("Margot und die Hochzeit"). Die Frustration wird auf diese Weise zum tragikomischen Entfesselungsakt.

Ist das eine Strategie? "In gewissem Sinne schon", sagt Baumbach, der nach dem dritten Kaffee zur Selbstanalyse ansetzt: "Meine Figuren versuchen die ganze Zeit, etwas anderes zu sein, als sie wirklich sind. Und entlarven sich dann. So tragisch das ist, so komisch sind die sich daraus ergebenden Verwicklungen. Deshalb brauche ich Schauspieler, die über komische Energie verfügen, ohne die ganze Zeit auf witzig machen zu müssen."

Das gilt nun für Ben Stiller, den neben Adam Sandler bestbezahlten Komiker Amerikas, im Besonderen. Depression und Slapstick lagen wohl selten so dicht beisammen wie bei seinem Greenberg.

"Ja", sagt Baumbach und guckt sich kurz um, ob auch keiner von der Promotionabteilung zuhört. "In seinem Körper leben offensichtlich zwei Personen. Man muss nur beide auf einmal von der Leine lassen. Ganz ehrlich, mir macht der Typ auch Angst."

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