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Shootingstar Greta Gerwig Die aufregend Unaufgeregte

Mit Witz und Zuneigung erzählt Greta Gerwig in ihrem mehrfach oscarnominierten Debütfilm "Lady Bird" von der Selbstfindung einer jungen Frau. Eine Begegnung mit der Regisseurin der Stunde.

Greta Gerwig nimmt eine Ausnahmestellung in Hollywood ein. Wie sehr, machte Emma Stone bei der Oscarverleihung Anfang März klar, als sie unter Jubel die Nominierten für die beste Regie vorstellte: "Diese vier Männer - und Greta Gerwig". Nach Lina Wertmüller, Jane Campion, Sofia Coppola und Kathryn Bigelow war Gerwig die erst fünfte Frau in der Geschichte der Oscars, die für den Regiepreis nominiert war.

Von den fünf Academy Awards, für die sie mit ihrem Debütfilm "Lady Bird" nominiert war, gewann Gerwig am Ende keinen. Mit einem Einspielergebnis von mehr als 70 Millionen US-Dollar ist die kluge Komödie über das letzte Highschool-Jahr der Titelheldin "Lady Bird" aber auch so einer der größten Überraschungserfolge der vergangenen Jahre.

"Ich wusste schon seit langer Zeit, dass ich Regie führen wollte", sagt Gerwig reichlich müde beim Interview im Rahmen der Berlinale. Ein Flug von Tokio nach Berlin am Tag zuvor hat ihr eine schlaflose Nacht eingebracht, trotzdem versucht sie, so aufmerksam und genau in ihren Formulierungen wie möglich zu sein. "Dass es bei diesem Drehbuch der Fall sein würde, wusste ich aber erst, als ich mit dem Schreiben fertig war. Ich hatte den Punkt erreicht, an dem die Angst, es womöglich nie zu versuchen, größer war als die Angst zu versagen."

Im Video: Greta Gerwigs Tipps - "Handy nehmen, drehen!"

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Überrumpelnd direkt

Dass "Lady Bird" ein so großer Erfolg werden würde, hatte Gerwig - wie auch der Rest der Branche - nicht erwartet. "Manchmal werden Filme von einer Welle erfasst und sprechen die Leute an. Wann das passiert, finde ich aber schwer abzuschätzen."Ihr bis dato erfolgreichster Film "Frances Ha", bei dem sie das Drehbuch mitschrieb und die Titeltrolle spielte, wäre zunächst gut, aber nicht überwältigend angekommen. "Mittlerweile ist das der Film, für den ich auf der Straße angesprochen werde - mit weitem Abstand vor allen anderen Filmen."

Mickey Sumner (links) und Greta Gerwig in "Frances Ha"

Mickey Sumner (links) und Greta Gerwig in "Frances Ha"

Foto: MFA

Wer die Lebenskrisen-Komödie gesehen hat, wird das verstehen. So überrumpelnd direkt, ohne naiv zu wirken, hat sich schon lange keine junge Frau mehr wie Frances Ha ihren Weg durchs Leben geschlagen. Aus der langsam wachsenden Begeisterung für "Frances Ha" hat Gerwig folgende Erkenntnis gezogen: "Wenn du einen Film gemacht hast, bei dem du selber denkst: 'Ja, der hat was', dann wird er am Ende seine Heimat finden."

Seit gut zwölf Jahren arbeitet sie in der Indie-Filmbrache, zuerst als Schauspielerin in Filmen, die wegen ihrer improvisierten Dialoge und unaufgeregten Handlungen irgendwann "Mumblecore" getauft wurden. Auch ihren Kurzbesuch auf der Berlinale macht die 34-Jährige vor allem in ihrer Funktion als Schauspielerin:Im Eröffnungsfilm "Ataris Reise", dem neuen Animationsfilm von Wes Anderson, spricht sie eine amerikanische Austauschschülerin in Japan, die sich im Alleingang aufmacht, um den Jungen Atari bei seinem Kampf gegen die Ausrottung aller Hunde zu unterstützen.

Neid und Seelenverwandtschaften

Persönlich ist Gerwig eher keine Einzelkämpferin: Ihre Karriere besteht aus Austausch und Zusammenarbeit - sie ist eher eine Beziehungskünstlerin. Nicht nur hat sie bis zu "Lady Bird" ihre Drehbücher immer im Team geschrieben, mit Joe Swanberg ("Hannah Takes the Stairs") oder ihrem Lebenspartner Noah Baumbach ("Frances Ha", "Mistress America"). Auch ihr Regiedebüt hat sie strenggenommen schon 2008 im Tandem mit Swanberg mit "Nights and Weekends" gegeben.

Außerdem handeln Gerwigs Filme von Beziehungen, allerdings im seltensten Fall romantischen. Gerwig interessiert sich für die nichtsexuelle Anziehung zwischen Menschen, für Neid, der ebenso beziehungsstiftend sein kann wie Liebe, und für Seelenverwandtschaften. Sie erzählt von Stiefschwestern, die die Karriere der anderen kritisch beäugen ("Mistress America"), oder von Freundinnen, die sich voneinander entfremden und darunter mehr leiden als unter dem Ende einer Liebe ("Frances Ha"). Allesamt alltägliche Gefühle und zwischenmenschliche Dynamiken, dennoch werden sie vom Kino in der Regel ignoriert. Dass Gerwig sie erfasst, macht ihre Filme unaufgeregt und außergewöhnlich zugleich.

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"Lady Bird": Nichts wie raus aus Sacramento

Foto: Universal Pictures

Im Mittelpunkt von "Lady Bird" steht die Beziehung zwischen einer pragmatischen Mutter und ihrer impulsiven Tochter. Christine (Saoirse Ronan), die sich seit einiger Zeit nur noch bei ihrem Künstlernamen Lady Bird rufen lässt, träumt davon, nach dem Highschool-Abschluss ihre verhasste Heimatstadt Sacramento so schnell wie möglich zu verlassen. Am besten an eine Prestige-Uni an der Ostküste oder zumindest dahin, wo "Schriftsteller im Wald leben", so die künstlerisch versierte Lady Bird, die malt, singt und tanzt.

Dass es mit der Edel-Uni wirklich klappen kann, daran zweifelt ihre Mutter Marion (Laurie Metcalf). Weil sie dem Talent ihrer Tochter nicht vertraut - und weil es die Finanzen der Familie nicht erlauben. Marion rackert sich als Krankenschwester ab, ihr Mann (Tracy Letts) hat seinen Job verloren. So ist "Lady Bird" die seltene Coming-of-Age-Geschichte, die auch etwas über die ökonomischen Aspekte des Loslassens, Emanzipierens und Sich-selbst-Neuerfindens erzählt - darüber, was sich ein Mädchen wie Christine buchstäblich leisten kann.

Die nicht so große Liebe

Doch es geht in "Lady Bird" auch um Freundschaften, Liebe und ersten Sex, um Schul-Musicals, Kellnerjobs und das Date für den Abschlussball. Diese Versatzstücke amerikanischen Teenagerlebens sind bekannt aus Highschool-Serien. Gerwigs Kunst besteht darin, sie in eine Erzählung umzuwandeln, die anekdotisch statt dramatisch funktioniert: Lady Birds letztes Jahr auf der Schule und möglicherweise auch in Sacramento ist ein Jahr der nicht so großen Liebe, des vorübergehenden Streits mit der besten Freundin, der halbwegs erträglichen Nebenjobs.

Gerade in seiner Unspektakulärheit ist "Lady Bird" spektakulär, denn aus der Nuance und der beiläufigen Pointe entsteht das detaillierte Bild einer Frau im Werden, unsentimental und wenig nostalgisch. Obwohl auch Autobiografisches im Film steckt.

Sacramento ist auch Gerwigs Heimatstadt, sie hat wie Lady Bird eine katholische Mädchenschule besucht und 2003, dem Jahr, in dem auch der Film spielt, ihren Highschool-Abschluss gemacht hat. Zudem hat es sie auch an die Ostküste gezogen: Gerwig hat am Barnard College in New York City Philosophie und Anglistik studiert. Ein Zitat von Joan Didion, der großen Reporterin, die ebenfalls aus Sacramento stammt, ist "Lady Bird" vorangestellt. "Jeder, der sich über den Hedonismus Kaliforniens auslässt, hat noch nicht Weihnachten in Sacramento verbracht."

Endlich wie eine Erwachsene

Von übermütiger Lebenslust ist in "Lady Bird" deshalb keine Spur, dafür von viel Zuneigung. In ein blasses Sonnenlicht getaucht, verströmt Sacramento sanfte Vertrautheit. "Ich wollte, dass die Bilder ausgeblichen aussehen, nicht klar und frisch", sagt Gerwig. Der Look entstand bei den Vorbereitungen mit Kameramann Sam Levy, mit dem Gerwig Bilder aus Kunstbänden fotokopierte und im gemeinsamen Büro aufhängte. "Diese Bilder waren eigen - beim Kopieren war sowohl etwas verloren gegangen als auch hinzugekommen. Sie waren etwas anderes als das Original geworden."

So muss man auch "Lady Bird" betrachten: Als eine Annäherung an Gerwigs Heimatstadt, die in ihrem Filmporträt behutsam zu etwas anderem, eigenem geworden ist. In Zukunft will Gerwig hier öfter drehen, sogar von einer vierteiligen Filmreihe ist die Rede. Zunächst wird sie aber wieder vor der Kamera stehen, in Mia Hansen-Løves "Bergman Island", einem Beziehungsdrama unter Filmschaffenden.

Für Gerwig ist dieser Wechsel fließender als für die meisten Beobachter. "Als Schauspielerin war ich schon sehr privilegiert, und es gab Dreharbeiten, bei denen ich sowohl als Drehbuchautorin als auch als Produzentin tätig war. Ich hatte mich also schon sehr einflussreich und respektiert gefühlt."

Mit "Lady Bird" kam dennoch ein Bruch: "Der größte Unterschied ist: Journalisten reden jetzt anders mit mir. Mir war gar nicht klar, dass sie auf die eine Weise mit mir geredet haben, bis sie anfingen, auf die andere Weise mit mir zu reden - mir wurden andere Fragen gestellt, und mir wurde anders zugehört. So fühlt es sich also an, wenn mit dir wie mit einer Erwachsenen gesprochen wird!"


"Lady Bird" startet am 19. April in den deutschen Kinos.

Im Video: Der Trailer zu "Lady Bird"

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