
Filmbranche nach dem Weinstein-Urteil Immer noch am Anfang


Harvey Weinstein während des Prozesses vorm New Yorker Strafgericht
Foto:STEPHANIE KEITH/ AFP
Der Jurypräsident der Berlinale, Jeremy Irons, kommt vor Festivalbeginn wegen alter Aussagen in Bedrängnis, dass Frauen schon damit klar kämen, wenn ihnen an den Po gefasst würde. Vor der Premiere des Wettbewerbsfilms "DAU.Natasha" am Mittwochabend listet die taz detailreich die Vorwürfe von verbaler bis körperlicher Nötigung gegen den Regisseur Ilya Khrzhanovsky auf.
Hollywood, hieß es in der Vergangenheit immer wieder, sei gefühlt doch meilenweit von der piefigen Berlinale und ihren mit B-Prominenten gespickten roten Teppichen entfernt. Vorbei. Seitdem die Weinstein-Affäre und in ihrer Folge die #MeToo-Bewegung die Welt erschütterten, hat sich die Filmbranche und mit ihr die Festivallandschaft verändert. Womöglich, hoffentlich für immer.
Für die oben aufgelisteten Vorwürfe gab es vorher schon keine Entschuldigung, nun gibt es auch kein Verständnis mehr für sie. Warum sollten sich Männer so verhalten, wenn sie es ganz augenscheinlich nicht müssen? "Because I could", weil ich es konnte, hat Bill Clinton bekanntermaßen seine Affäre mit Praktikantin Monica Lewinsky erklärt.
Es ist viel zu lang die beste Erklärung dafür geblieben, warum Männer so häufig ihren Status und ihre Macht missbrauchen: Weil ihnen die Gesellschaft die nötigen Spielräume dafür zugestanden hat.
Seit #MeToo werden diese Spielräume mit neuer, überfälliger Vehemenz geschlossen. Keine Castings mehr in Hotelzimmern, dafür Intimacy-Koordinatoren an Sets, die heikle Szenen überwachen, und Übergriffs-Hotlines auf Festivals, die mutmaßlichen Opfern ärztliche Versorgung und Rechtsbeistand organisieren. Das Schließen von Spielräumen ist die Arbeit, die nun weitergeführt werden muss.
Das Urteil gegen Harvey Weinstein, das am Montag verkündet wurde, ist dabei unter Vorbehalten zu begrüßen. Es darf aber unter keinen Umständen als vorläufiger End- oder Höhepunkt von #MeToo verstanden werden. Denn wenn sich die Bewegung auf die Urteile von Gerichten als einzigen Ausdruck von gesellschaftlichen Wahrheiten versteift, sind Enttäuschungen, wenn nicht sogar massive Rückschläge vorprogrammiert. Selbst bei Weinstein, dem Dutzende schwerster Übergriffe vorgeworfen wurden, scheiterte die Anklage schließlich mit ihrer Beweisführung, er habe sich raubtierhafter sexueller Nötigung schuldig gemacht. "Kleinere" Fälle werden noch geringere Strafen nach sich ziehen.
Die Arbeit, die nun jenseits von Gerichtssälen fortgeführt werden muss, besteht aus vielen kleinen Aufgaben. Welche die sind, zeigt passenderweise der Film "The Assistant" von Kitty Green, der auf der Berlinale läuft. Es ist der erste Spielfilm, der sich direkt auf die Weinstein-Affäre bezieht. Der mächtige Hollywood-Mogul taucht dabei nur als bellende Stimme am Telefon oder als wuchtige Silhouette im Hintergrund auf.
Das sind die besten Filme der Berlinale

Ein Mann, der minutenlang einfach nur sitzt, während draußen an sein Fenster der Regen prasselt. Ein anderer Mann, der akribisch Gemüse und Fisch wäscht, dann daraus ein Gericht zubereitet: Kang, dem stets traurig-melancholisch schauenden Protagonisten des taiwanesischen Regisseurs Tsai Ming-Liang sieht man oft zu, als betrachte man eine Naturdoku: Er wird auf seine Physis und seine Kreatürlichkeit zurückgeworfen. Handgeformtes Kino nennt Tsai seine eindrückliche Art zu filmen. So ist es auch in "Rizi” ("Days”, Wettbewerb), der den unter schlimmen Nacken und Schulterverspannungen leidenden Kang in Bangkok mit dem jungen, kochenden Reinlichkeitsfanatiker zusammenführt. Die Wege dieser beiden einsamen Männer kreuzen sich in einem Hotelzimmer zu einer zwar bezahlten, aber dennoch sehr zärtlichen Massage-Session. Der Schmerz des einen löst sich in der hingebungsvollen Dienstleistung des anderen auf - ein wundervoller, existenziell tröstender Kino-Moment, der komplett ohne Dialoge auskommt und doch alles über das Bedürfnis nach menschlicher Nähe erzählt. Andreas Borcholte
Das Augenmerk des Films gilt stattdessen den kleinen Handgriffen und beiläufigen Vertuschungen, die sein System über Jahrzehnte hinweg gestützt haben. In einer der ersten Szenen sieht man seine junge Assistentin (Julia Garner), wie sie mit Lappen und Sprühflasche einen Fleck auf der Couch in seinem Büro entfernt, als wäre das so selbstverständlich wie Kaffee aufzusetzen. Als die ausschließlich männlichen Kollegen zum Meeting ins Büro kommen, machen sie anspielungsreiche Witze: "Bloß nicht aufs Sofa setzen!"
Mit keiner dieser Gesten oder Sätze werden Übergriffe ausdrücklich gut geheißen, aber sie werden eben auch nicht verhindert. Wann ein Nein zu einer Bitte wie dem Säubern des Sofas oder ein Hinterfragen von anzüglichen Witzen nötig ist, lässt sich juristisch nicht klären - es liegt in der persönlichen Verantwortung eines jeden und einer jeden, inne zuhalten, zu fragen, wenn nötig zu verweigern.
Bei der Berlinale hat das schon ziemlich gut funktioniert. Aber das Ende der Arbeit ist noch längst nicht erreicht.