Sci-Fi-Romanze "Her" mit Joaquin Phoenix Computer sind die besseren Liebhaber

Verliebt in die Stimme eines Betriebssystems: Der futuristische Liebesfilm "Her" von Spike Jonze spielt diese seltsame Idee bestens durch - dank eines Oscar-prämierten Drehbuchs, einer erotischen Stimme und einem wunderbaren Spätentwickler.
Sci-Fi-Romanze "Her" mit Joaquin Phoenix: Computer sind die besseren Liebhaber

Sci-Fi-Romanze "Her" mit Joaquin Phoenix: Computer sind die besseren Liebhaber

Foto: Warner Bros.

"Lange war ich einsam, heut bin ich verliebt. Und nur darum ist das so, weil es die Technik und die Wissenschaft und Elektronenhirne gibt." Derart prophetisch und mit einnehmendem französischen Akzent besang France Gall 1968 in "Der Computer Nr. 3" die Zukunft der Partnersuche im Informationszeitalter.

Heute, gut 46 Jahre nach dem penetrant-niedlichen Schlager, ist Online-Dating längst Alltag. Was aber, wenn eine Maschine nicht mehr nur mit findigen Algorithmen die Menschen zusammenbringt, sondern die künstliche Intelligenz selbst zum Objekt der Sehnsucht wird? Mehr noch, wenn sie als eigenständig handelndes Subjekt eine Romanze beginnt? Mit "Her" hat Autor und Regisseur Spike Jonze nun die noch hypothetischen Fragen zur Prämisse eines gleichsam hintersinnigen wie sentimentalen Films gemacht, in dem echte Gefühle für Verwirrung im virtuellen Raum sorgen.

Humaner Hauptdarsteller der dezent mit Science-Fiction durchsetzten Liebesgeschichte ist Joaquin Phoenix, der sich gewohnt souverän seine Rolle aneignet und dabei auch nicht vor einem kapitalen Schnauzbart zurückschreckt. Er spielt Theodore Twombly, der im Jahr 2025 seinen Lebensunterhalt als Auftragsautor verdient. Beim anonymen Verfassen von Grußbotschaften und Liebesbriefen anderer Leute zeigt sich Theodore als Virtuose, privat gibt es hingegen keine Empfänger, die er intim adressieren könnte.

Körperlos, aber voll da

Denn Theodore lebt seit der traumatischen Trennung von seiner Jugendliebe Catherine (Rooney Mara) allein. Und gäbe es nicht seine gute, indes verheiratete Freundin Amy (Amy Adams), die den Single mit sanftem Spott zum sozialen Umgang drängt, Theodore bewegte sich in seiner Freizeit wohl nur zwischen Computerspiel-Holografien und Chat-Sphären.

Doch dann erwirbt er ein neues Betriebssystem, das wirklich interaktiv und zu selbständiger Weiterentwicklung fähig sein soll. Kaum installiert - oder besser geboren - fängt das Programm an, eine Identität herauszubilden. Da Theodore in der (einzigen) Grundeinstellung die weibliche Variante wählte, tauft sich die Software selbst Samantha, und beginnt - in der Originalfassung mit der Stimme von Scarlett Johansson - den Dialog mit ihrem zunächst erstaunten, dann bald verzückten Gegenüber.

Bald will Theodore seine dank tragbarer Technik allgegenwärtige, körperlose Begleiterin nicht mehr missen. Die präzise getexteten Gespräche zwischen seinen ungleichen Protagonisten rechtfertigen den Oscar für das Beste Originaldrehbuch: Plausibel lassen sie die Annäherung zwischen Theodore und Samantha nachvollziehen. Das Dienstleistungsverhältnis weicht erst der Freundschaft, dann inniger Vertrautheit.

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Film-Romanze "Her": Digital liebt besser

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Zudem sorgt Jonzes Dialogspiel für erfrischenden Witz inmitten der gediegen blassfarbenen Melancholie, die Bilder und Musik des Films durchzieht. Manchmal forciert die Gestaltung ihren gefälligen Indie-Chic allzu arg, und insbesondere der eigentlich geschmackssichere Soundtrack von Arcade Fire führt in Überdosis zur Übersüßung.

Subtiler schält "Her" dagegen die ähnlichen Wesenszüge von Samantha und Theodore heraus. Beide schöpfen Poesie aus fremden Erinnerungen und Erfahrungen: Theodore in seinen aus Notizen der Kunden destillierten Auftragsbriefen; Samantha, indem sie E-Mails, Suchverläufe und Festplatten durchkämmt, um das Wesen eines Anderen zu begreifen. Gerade so, als wäre sie die NSA auf romantischem Schmusekurs.

Dass daraus ein wechselseitiges Liebesbekenntnis zwischen Theodore und Samantha folgt, scheint nur konsequent, und diese Selbstverständlichkeit ist eine herausragende Qualität von "Her". Aber der Wunsch nach einer Paarbeziehung bringt auch enthüllte Geheimnisse, enttäuschte Erwartungen, Misstrauen und Eifersucht. Zumal Theodores winzige Realität die Multitasking-fähige Samantha einzuengen droht.

Alles, was Theodore durch seine selbstgewählte Isolation ausgesperrt glaubte, bricht so wieder über ihn herein. Nur gibt es jetzt keine virtuellen Fluchten mehr, weshalb sich der emotionale late adapter endlich bekennen muss.

Die zurückgenommene, uneitle Darstellung von Joaquin Phoenix verhindert gottlob, dass dieser Reifeprozess zum Gejammer eines großen Jungen gerinnt. Indem er virtuelle und vermeintlich reale Leidenschaft nicht gegeneinander ausspielt, vermeidet Jonze auch kulturpessimistische Allgemeinplätze wie die wahrlich nicht brandheiße Erkenntnis, dass Menschen in einer vernetzten Welt zwar nie allein, aber einsam sein können.

Mit der Schilderung einer parallelen (Selbst)Bewusstwerdung von Mensch und Maschine knüpft er an die existenzphilosophischen Vexierspiele in "Being John Malkovich" und "Adaptation" an. Obschon die Erzählung in "Her" gradliniger und konventioneller ist als die verstiegenen Szenarien von Drehbuchautor Charlie Kaufman, hallen essentielle Fragen nach: Was macht ein Gefühl authentisch? Und sind nicht alle Liebenden immer auch eigennützige User?

Klar ist hingegen: Nicht durch Wissen oder Fertigkeiten wird eine künstliche Intelligenz dem Menschen gleich, sondern nur durch die Fähigkeit zur Empathie. Und die müssen ja auch Menschen jeden Tag aufs Neue beweisen.

Mit dieser liebevollen Lektion aus "Her" können Sie Ihren Computer jetzt herunterfahren. Aber sagen Sie etwas Nettes zum Abschied.

Her

USA 2013

Buch und Regie: Spike Jonze

Darsteller: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, Rooney Mara, Chris Pratt, Olivia Wilde

Produktion: Annapurna Pictures

Verleih: Warner Bros.

Länge: 126 Minuten

Start: 27. März 2014

Offizielle Website zum Film 
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