"Herz aus Stahl"-Regisseur Ayer "Soldaten sind Außenseiter"

"Herz aus Stahl"-Regisseur Ayer: "Soldaten sind Außenseiter"
Foto: Sony Pictures
David Ayer, Jahrgang 1968, startete seine Film-Karriere erst mit 30. Er wuchs im sozial prekären Stadtteil South Central von Los Angeles auf, statt aufs College ging er als Zeitsoldat zur US Navy. Seine Jugend-Erfahrungen auf der Straße trugen zum Erfolg seines Skripts für "Training Day" (2001) bei. Der Polizei-Thriller mit Denzel Washington wurde zum internationalen Erfolg. Erlebnisse als U-Boot-Soldat verarbeitete er im Drehbuch zu Jonathan Mostows "U-571" (2000). Als Regisseur drehte Ayer bisher vorrangig harte Cop-Dramen wie "Street Kings" (2008) oder "End Of Watch" (2012). Sein nächster Film ist die Superhelden-Saga "Suicide Squad".
SPIEGEL ONLINE: Mr. Ayer, "Herz aus Stahl" spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, die Besatzung eines amerikanischen Panzers muss sich gegen Hitlers letztes Aufgebot zur Wehr setzen. Um ideologische Fragen geht es in Ihrer Geschichte jedoch nicht, vielmehr hat man das Gefühl, der Entstehung von posttraumatischen Belastungsstörungen beizuwohnen.
Ayer: Ja, Sie sehen in Echtzeit, wie das Trauma entsteht, wie es die Männer beeinträchtigt. Mir ging es darum, eine psychologische Studie zu erstellen, den Schnappschuss einer Art Familie, die in einem Panzer lebt - unter unfassbarem Stress. Und wie in jeder Familie gibt es Liebe und Unterstützung genauso wie Gewalt und Missbrauch.
SPIEGEL ONLINE: Sie zeigen dieses extreme Familienleben nicht nur in der Enge des Panzers, sondern auch in einer erstaunlichen Szene in der Mitte des Films, als die Männer es sich in einem Dorf bei zwei deutschen Frauen gemütlich machen.
Ayer: Tja, wir sind mitten in einem Kriegsfilm, aber der Moment größter Spannung spielt sich während eines Abendessens ab - schon kurios, was? Ich könnte Ihnen jetzt stundenlang erzählen, was sich in dieser Sequenz alles abspielt, sie ist tatsächlich das Herzstück des Films.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Ayer: Für das Familienoberhaupt, Brad Pitts Charakter "Wardaddy", geht es darum, einen Augenblick lang Menschlichkeit und Anstand genießen zu können. Er hat den neuen Rekruten dabei, Norman, der gerade erst an die Front gekommen ist. Er erinnert ihn an zu Hause, also versucht er, in der Wohnung mit der Mutter und ihrer Tochter eine möglichst heimelige Atmosphäre zu schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Bis dann die anderen drei Männer eintreffen…
Ayer: Genau, Normans ältere Brüder, wenn man so will, die Racker, durch deren ungehobeltes, übergriffiges Verhalten schnell klar wird: Sie sind kaputt, gebrochen. Es ist ein Storytelling-Moment, auf den ich sehr stolz bin, denn er enthüllt viel von der Psychologie dieser Figuren, ohne es dem Publikum aufzudrängen, wie sonst im amerikanischen Kino üblich. Ich ging einfach davon aus, dass das Publikum intelligent genug sein würde, das Gezeigte zu dekodieren.

SPIEGEL ONLINE: Einige Kritiken in den USA waren eher verhalten, US-Soldaten werden in Ihrem Film nicht unbedingt als Helden dargestellt. Rechnen Sie mit Protest von Konservativen oder Veteranen?
Ayer: Nein, überhaupt nicht, wir haben den Film mehreren Organisationen gezeigt, die Reaktion der Veteranen war überwiegend positiv. Am Set hatten wir amerikanische, britische und deutsche Weltkriegsveteranen als Berater, sie alle fanden die Darstellungen des Films akkurat und erkannten sich, mitsamt allen Dilemmata, in den Männern wieder. So wie ich "End Of Watch" für Polizisten in L.A. gedreht habe, habe ich diesen Film ja auch vor allem für die Soldaten gemacht: Sie verstehen die moralischen Fallstricke des Kriegseinsatzes. Es gibt sicher Leute, die sich eine mythologisierendere Darstellung der Soldaten im Film wünschen würden, aber das wäre verantwortungslos gegenüber der Wahrheit. Es ist wichtig, zu zeigen, was wirklich passiert ist, gerade weil es bald keine Augenzeugen mehr geben wird, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben.
SPIEGEL ONLINE: Was Sie zeigen, ist zum Teil nicht leicht zu verdauen, zum Beispiel die Szene, in der Brad Pitts Charakter den jungen Rekruten zwingt, einen deutschen Soldaten zu erschießen.
Ayer: Die Reaktionen vor allem des jüngeren Publikums auf den Film sind sehr interessant. Viele versuchen, mir auf die Schliche zu kommen, wollen nicht manipuliert werden. Sie fragen sich: Was ist die politische Botschaft? Wie verhalte ich mich politisch dazu?
SPIEGEL ONLINE: Und?
Ayer: Ich bin selbst Veteran, ich komme aus einer Militärfamilie, meine Angehörigen kämpften in jedem amerikanischen Konflikt seit dem Unabhängigkeitskrieg - und ich werde auch meine Kinder dazu ermutigen, sich für eine Militärkarriere zu interessieren. Gleichzeitig weiß ich aus eigener Erfahrung, dass Krieg nicht gut für Menschen ist. Krieg ist sicher nicht die Lösung für jedes Problem, er ist übel, und er ist schlimm, da muss man sich nichts vormachen. Aber wenn es Krieg gibt, dann muss man eben seine Pflicht erfüllen.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst waren gegen Ende des Kalten Krieges auf einem U-Boot stationiert und haben mit dem Sonar feindliche Boote lokalisiert, in Kampfhandlungen waren Sie aber nie involviert, oder?
Ayer: Nein, aber ich habe viel gelernt während dieser Zeit. Es gab ein klares Ziel, es gab viele intensive Situationen, die mich mit den anderen Männern bis heute verbinden. Ich lernte, wie man hart arbeitet und was Disziplin bedeutet.
SPIEGEL ONLINE: Als U-Boot-Mann konnten Sie sich die Enge im "Fury"-Panzer gut vorstellen. Welche anderen Erlebnisse haben Sie in "Herz aus Stahl" verarbeitetet?
Ayer: Die Geschichte des jungen Norman hat ein bisschen was von meiner eigenen: Es ist hart, der Neue in der Truppe zu sein. Bis du deinen Job beherrschst, bist du faktisch eine Gefahr für die anderen. Nun will aber jeder gerne überleben, deshalb mögen sie dich nicht. Du bist ein Risiko, bis du dir deine Position verdient hast. Das Militär ist da sehr pragmatisch.
SPIEGEL ONLINE: Wie passt ein Kriegsfilm wie "Herz aus Stahl" zu Ihren bisherigen Filmen, die vorrangig auf Großstadtstraßen spielen? Gibt es eine thematische Verbindung?
Ayer: Mich faszinieren Menschen, die von der Gesellschaft damit beauftragt werden, sie zu bewachen. Egal, ob ein Polizist die Nachbarschaft oder ein Soldat die Nation beschützen soll, diesen Leuten wird offiziell zugebilligt, andere Menschen umzubringen: Hier ist eine staatseigene Waffe, damit darfst du jetzt ganz offiziell töten! Was bedeutet diese Verantwortung und was löst sie beim Einzelnen aus? Das finde ich interessant: Polizisten und Soldaten sind Außenseiter in eben jener Gesellschaft, die sie beschützen sollen.