"High Life" mit Robert Pattinson Trieb der Sterne

"High Life" mit Robert Pattinson: Trieb der Sterne
Foto: PandoraVerlockend sinnlich schimmert das Schwarze Loch von seinen Rändern her. Bernsteinfarben hat es sein Maul, auf das das klobige Raumschiff zufliegt, geöffnet. Um das Nichts anschaulich zu machen, hat Claire Denis eine Lichtinstallation von Olafur Eliasson abgefilmt. Die sieht erstaunlicherweise fast genauso aus wie die erste echte Fotografie eines schwarzen Loches, die aber erst nach den Dreharbeiten verbreitet wurde. Überhaupt ist alles, was in "High Life" nach unbekannten Weltraum-Phänomenen aussieht, heute schon bekannt und abgebildet.
Auch die Kostüme der Kosmonauten sehen alles andere als futuristisch aus. Schön und ziemlich retro liegen sie den Körpern an, die in ihrem schmucklosen Container in Lichtgeschwindigkeit aus der Zeit fallen. Und schön sind sie selbst, wie sie vom artifiziellen Sonnenlicht bestrahlt in grazilen Bewegungen ihre sinnlose Mission ausführen, von der man auf der Erde - wie wir zwischendurch von einem Wissenschaftler kurz und bündig erklärt bekommen - gar nichts mehr wissen will. Sie sind Kriminelle, die man unter dem Vorwand, ein wichtiges Experiment auszuführen, aus dem Sonnensystem befördert hat.

"High Life": Ganz unten im All
Robert Pattinson spielt, mit statuarischer Präsenz und intensivem Blick, Monte, der als Jugendlicher ein Mädchen wegen eines Hundes umgebracht hat. Die acht anderen Besatzungsmitglieder haben ähnliche Biografien, sowohl der Kapitän (Lars Eidinger) als auch die Ärztin Dr. Dibs. Juliette Binoche spielt sie als "mad scientist", mit fast bodenlangen schwarzen Haaren, die sie wohl seit dem Verlassen der Erde nicht mehr geschnitten hat.
Dibs führt merkwürdige Sex-Experimente mit den anderen durch, die angeblich der Reproduktion dienen: aus dem "menschlichen Müll" (Monte) der Besatzung recycelt sie die Körperflüssigkeiten, möchte ein perfektes Baby erzeugen, ist hinter dem Sperma der Männer her und dringt damit in den Unterleib der mitreisenden Frauen ein.
Rein in die "Fuck Box"
Die bernsteinfarbene Gegenwart des unendlichen Wartens, Driftens, Masturbierens erzeugt eine erotische Spannung in diesem Film, die sich in hilflosen Gesten des Widerstands entlädt: Tcherny (André Benjamin von Outkast) hat im verstrahlten Raumschiff einen paradiesischen Garten angelegt, Monte verweigert die Spermaprobe, Boyse (Mia Goth) die Schwangerschaft, Ettore (Ewan Mitchell) will sich Sex mit Gewalt holen.
In einer atemberaubend choreografierten Szene zieht sich Dr. Dibs in eine von allen "Fuck Box" genannte Kammer zurück und masturbiert wie in einem Hexenritual, bei dem nicht nur die Kamera ins Taumeln gerät. "Schamanin des Spermas" nennt sich die Ärztin selbst.
"High Life"
Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen 2019
Regie: Claire Denis
Drehbuch: Jean-Pol Fargeau, Claire Denis
Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, André Benjamin, Mia Goth, Lars Eidinger
Produktion: Pandora Film, Alcatraz Films, The Apocalypse Films
Verleih: Pandora
FSK: ab 16 Jahren
Länge: 113 Minuten
Start: 30. Mai 2019
Der Psychokrieg zwischen ihr und Monte, dem enthaltsamen Mönch, wird von Binoche und Pattinson mit ironischer Sexiness ausgetragen, nah an der Grenze zur Albernheit, mit bedeutungsschweren Dialogen und schwerkraftlosen Gesten. Hier geht der Film auf Risiko, mag keine plausible Sci-Fi-Geschichte erzählen, sondern entwirft ein queeres, wunderschön anzuschauendes Labor unfruchtbarer Leidenschaften, das in lustvoller Passivität in ein obszönes Loch eingesogen wird.
"High Life" ist ein kalauernder Titel für das, was wir in Claire Denis' erstem englischsprachigen Film zu sehen bekommen, den sie nach siebenjähriger Produktionszeit und mehreren Umbesetzungen doch noch kompromisslos fertigstellen konnte. Das exklusive Leben der Figuren ist hier allzu buchstäblich bezeichnet, denn sie sind weit weg von den Vergnügungen der Erde.
Was heißt Tabu?
Auf narrativer Ebene spielt "High Life" mit Genre-Konventionen: Wie in anderen Sci-Fi-Filmen ist das All endlos und menschenfeindlich, der katastrophale Verlauf der Mission führt zur schrittweisen Dezimierung der Mannschaft, die Zeit ist aus den Fugen, je näher das Ziel heranrückt. Aber es sind die auf schräge Weise sinnlichen Bilder (Kamera: Yorick Le Saux), die ihn ausmachen: Mikroskop-Aufnahmen von Spermien, die zu funkelnden Sternen überblendet werden, tote Astronauten, die wie Geister in der Atmosphäre schweben, Schreie, die per Babyfon ins All gefunkt werden.
Es wird nämlich doch noch ein Baby an Bord geboren. Monte zieht es auf, singt ihm ein Schlaflied, macht ihm Brei aus verstrahlten Früchten und bringt ihm das Wort "Tabu" bei. Wir sehen Willow älter werden, während das Nichts immer näher rückt. Das rasende Bernsteinzimmer mit seinen eingekapselten Figuren setzt ihm keinen Widerstand mehr entgegen.
Im Video: Der Trailer zu "High Life"
Auch als Zuschauer ist man längst willen- und schwerelos. Bilder von der Erde, die wie von Geisterhand nach wie vor ins Raumschiff gesendet werden, wirken zuletzt wie Fremdkörper, Monte nennt sie "Viren". Sie zeigen Rituale von Native Americans, betende Katholiken, eine Sportveranstaltung. Letzte mediale Zuckungen der Menschheit in der unaufhaltsamen Drift ins Schwarze. "High Life" leuchtet nach.