Historiker zu "Der Untergang" Faktisch genau, dramaturgisch lau

Gestern startete Bernd Eichingers Großproduktion "Der Untergang" in den deutschen Kinos. Groß angelegt ist auch die Debatte unter den Geschichtsexperten. Beim deutschen Historikertag in Kiel debattierte die Zunft über die Bedeutung des Führerbunkerdramas - mit höchst kontroversem Resultat.

Die Detailgenauigkeit der Fakten sei lobenswert, darauf konnte man sich anlässlich einer Sonderaufführung von "Der Untergang" gestern beim Historikertag in Kiel einigen. Und dass der Film Millionen Menschen in die Kinos locken werde, in Deutschland wie auch im Ausland, auch darüber bestand kein Zweifel. Ansonsten aber waren die Geschichts- und Medienfachleute beim 45. Deutschen Historikertag alles andere als einer Meinung.

Fakten, Fakten, Fakten

Jan Oliver-Decker, Medienexperte der Universität Kiel, erklärte bei der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Filmpräsentation, er habe wegen übertriebener Authentizität "gähnende Langeweile" empfunden. Corinna Harfouch in der Rolle der Magda Goebbels, sechs Mal hintereinander Giftkapseln zerdrückend, das sei einfach ermüdend.

Hermann Graml, Professor für Geschichte und als ehemaliger Luftwaffenhelfer in Augsburg ein ausgewiesener Zeitzeuge, war hingegen beeindruckt: "Ich kenne keinen Film, der die Vergangenheit so eindringlich und derart quälend lebendig werden lässt." Ob der Film kreativ oder innovativ sei, interessiere ihn allerdings nicht. Dass Hitler durch die Darstellung von Bruno Ganz zum Sympathieträger werden könnte, hält Graml für unwahrscheinlich.

"Er wird uns korrekt vorgeführt mit seinem Vernichtungswillen und seiner Art der Realitätsverweigerung." Graml, nach eigener Aussage vom Nebeneinander von Wahnsinn, grausiger Komik und Normalität tief beeindruckt, betonte schließlich die pädagogischen Qualitäten des "Untergangs": "Ich glaube, dass viele Zuschauer aus diesem Film lernen können und Einsicht gewinnen in das Wesen des Naziregimes."

Prof. Jost Düffler wertete die Produktion weniger enthusiastisch als einen Akt der Geschichtspolitik. Sie falle in eine Zeit, in der die Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg wieder stärker in den Blick gerate. Der Film setze dieser Entwicklung gewissermaßen die Krone auf. Zwar werde Hitler nicht zum Opfer verklärt, aber die vielen Selbstmorde im Führerbunker kurz vor der Kapitulation vermittelten den Eindruck einer "Art Opfergang", so der Historiker.

Christian Hartmann, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München und wissenschaftlicher Berater des Films betonte, dass es Produktionen gebe, die die Geschichte ausbeuten und andere, die sich ihr unterwerfen. Man habe sich "geradezu sklavisch an die Quellen gehalten", so Hartmann. Auf diese Weise sei "eine gewisse Sprödigkeit" entstanden. Letztlich aber sei dem Film ein Tabubruch gelungen: "Der Film zeigt Hitler. Kein Monster, keine Karikatur, sondern einen Menschen."

Reduktion auf die Person

Der renommierte Historiker Hans Mommsen kritisierte indessen scharf die Detailversessenheit des Films. Die Rekonstruktion bloßer Fakten ergebe keine Geschichte, sagte er im DeutschlandRadio Berlin. Die möglichst lebensgetreue Darstellung Hitlers könne noch nicht als sinnvolle historische Aussage gelten: "Die Reduktion von Geschichte auf reine Personengeschichte ist überhaupt nicht geeignet, um ein Verständnis der großen historischen Prozesse zu transportieren", erklärte der emeritierte Professor für Geschichte. "Die nachgemachte Stimme Hitlers heute ist nicht die Stimme, die sie damals war. Dadurch kommen ganz falsche Effekte zu Stande."

Mommsen zufolge tendierten die Medien dazu, Geschichte ohne historische Interpretation vorzuführen. Dies erzeuge aber kein politisches Verständnis für die Ereignisse. "Es ist natürlich schön, dass das Publikum mal begreift, dass Hitler ein mediokres Individuum ist und keineswegs vorbildlich", so der Historiker. Ferner zweifelte Mommsen an, dass eine breitere Einsicht für die Ursachen der Diktatur und deren relative Stabilität durch den Film zustande komme.

Das wachsende Interesse an der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts erklärt sich der Historiker mit dem Absinken der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Da würden historische Widerlager gesucht, was aber nichts mit der Aufarbeitung des Dritten Reiches zu tun habe.

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