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Hofer Filmtage 2013: Frauen, die sich trauen

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Hofer Filmtage Die Sache mit den Brüsten

Die können der Altherren-Riege in Cannes noch was vormachen: Die Hofer Filmtage haben in diesem Jahr ganz beiläufig ein Programm aufgeboten, das die Talente von weiblichen Filmschaffenden unter Beweis gestellt hat.

Männer zeigen Filme, Frauen ihre Brüste. Das war die sarkastische, aber leider zutreffende Analyse eines Brandbriefes, den die drei Regisseurinnen Coline Serreau, Virginie Despentes und Fanny Cottencon 2012 verfassten. In dem Jahr war im Wettbewerb von Cannes keine einzige Filmemacherin vertreten, allein als Roter-Teppich-Dekoration schienen Frauen interessant zu sein. Auch wenn die Wettbewerbe der großen Festivals im Anschluss nicht vor Regisseurinnen überquollen, läutete der Brief eine Wende ein, denn er ließ den öffentlichen Druck auf die Programmverantwortlichen, Frauen und ihren Filmen ein angemessenes Forum zu bieten, ansteigen.

Ob den Druck auch Heinz Badewitz im nordöstlichen Zipfel von Bayern zu spüren bekam, ist fraglich. Dennoch wirken seine Hofer Filmtage, die am Sonntag zu Ende gingen, wie die beste Reaktion auf die Wut von Serreau, Despentes, Cottencon und anderen Filmschaffenden. Nicht nur startete das Festival mit dem Eröffnungsfilm "Die Frau, die sich traut" und hatte auch noch einen Film mit dem Titel "Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste" im Programm. Die 47. Hofer Filmtage waren an sich eine wunderbare Bühne für Film-Frauen - von vielsprechenden Talenten über etablierte Kreative, die ihren Ruf festigen konnten, bis hin zu einigen amtlichen Fehlgriffen.

Drei Filme aus Hof werden von sich reden machen: Zum einen der Eröffnungsfilm (Regie: Marc Rensing, Drehbuch: Marc Rensing und Annette Friedmann), der am 12. Dezember in die Kinos kommt. Die titelgebende Frau, die sich traut, ist die 50-jährige Beate (Steffi Kühnert), die sich die vergangenen Jahrzehnte für ihre Kinder aufgeopfert hat. Erst als sie eine Krebsdiagnose erhält, fängt sie an, wieder an sich und ihre aufgegebenen Ziele zu denken. Und eines dieser Ziele verfolgt sie mit Unnachgiebigkeit: Die ehemalige Leistungschwimmerin will den Ärmelkanal durchschwimmen. Keiner unterstützt sie dabei, aber wenn die alleinerziehende Beate eines gelernt hat, dann ist es, die Dinge aus dem Nichts möglich zu machen.

Israel für Anfänger

Es ist eine überschaubare Erbauungsgeschichte, die "Die Frau die sich traut" erzählt. Viel Tiefe haben die Figuren nicht, besonders Steffi Kühnert, die so beiläufig abgründig spielen kann, wirkt oft unterfordert. Dennoch bestechen Film und Hauptfigur durch eine entwaffnende Bescheidenheit, der man sich schwer entziehen kann.

Als Publikumsmagnet wurde vor allem "Hannas Reise" (Kinostart 23. Januar 2014) von Julia von Heinz gehandelt. Mit ihrem angestammten Co-Autor John Quester schickt von Heinz die karrierefixierte Hanna (Karoline Schuch) nach Israel. Dort will die angehende Unternehmensberaterin in einem Behindertendorf arbeiten, um ihren Lebenslauf mit etwas Altruismus zu veredeln. Doch die Begegnung mit dem Land, den Behinderten, mit Holocaustüberlebenden und nicht zuletzt mit dem schönen Itay (Doron Amit) werfen Hannas Gewissheiten über den Haufen. Sie findet ein neues, verantwortungsbewusstes Verhältnis zur deutschen Geschichte und damit auch einen neuen Zugang zu ihrer Mutter, die sie viel zu lang als Hippie-Aktivistin abgetan hat.

Temporeich, voller Empathie und in stimmungsvollen, sonnenwarmen Bildern erzählt, kommt "Hannas Reise" opulent daher, was die mangelnde Originalität der Geschichte ziemlich gut überdeckt. Zu Israel bietet der Film meist nur naheliegende Motive und Figuren auf und verfolgt etwa den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eher aus Vollständigkeitsanspruch denn aus weiterführendem Interesse. Als "Israel für Anfänger" dürfte der Film aber an den Kinokassen und nicht zuletzt später in Schulklassen punkten.

Todesfeier statt Geburtstagsparty

Wie originell "und morgen mittag bin ich tot" (Regie: Frederik Steiner, Drehbuch: Barbara te Kock) geraten ist, fällt auch ohne jeden negativen Abgleich auf. Mit den Mitteln der Romantic Comedy bereitet der Film eine traurige Geschichte verblüffend neu auf. Im Zentrum von "und morgen mittag bin ich tot" steht die 21-jährige Lea (Liv Lisa Fries), die an Mukoviszidose im Endstadium leidet. Wahrscheinlich bleiben ihr noch ein paar Monate, bis die Stoffwechselkrankheit ihr die Kontrolle über ihre Lungen nimmt und sie ersticken lässt. Auf diese Monate kann Lea verzichten: Sie fährt nach Zürich, um dort aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Nun muss nur noch ihre Familie erfahren, dass Lea sie nicht zu ihrer Geburtstagsfeier in die Schweiz eingeladen hat, sondern zu ihrem endgültigen Abschied.

Mit seinen humorvollen Dialogen und einer, nein, eher zwei bittersüßen Liebesgeschichten scheint "und morgen mittag bin ich tot" das Thema Sterbehilfe zunächst links liegen zu lassen. Gerade der unsentimentale Pragmatismus, mit dem hier anfangs erzählt wird, macht zum Schluss das Drama von Leas viel zu kurzem Leben umso deutlicher; man will es einfach nicht wahrhaben.

Ohne die spektakuläre Leistung von Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries wäre aber auch die größte Erzählkunst nichts wert: Fries verleiht Lea eine verletzliche Souveränität, die in ihrer faszinierenden Widersprüchlichkeit den Film fast von allein trägt. Ob ihr bitte jemand schnell wieder eine so tolle Rolle schreiben kann?

Misslungener Pitch, verhunztes Interview

Zwei Frauen, denen man auch viele neue Projekte wünscht, sind die Regisseurinnen Miriam Bliese und Isabel Braak. Blieses Kurzfilm "An der Tür" wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis eines getrennt lebenden Elternpaares - anhand eines Gesprächs, das die beiden über die Gegensprechanlage führen. Obwohl nur fünf Minuten lang, lässt diese Vignette mehr Witz und Beobachtungsgabe erkennen als mancher 90-Minüter. Braak geht mit ihrem Episodenfilm "Couchmovie" (Drehbuch: Amrei Ruth Kriener) noch beherzter in die Vollen: Viermal Kulturclash durch Couchsurfing inszeniert sie in nur 50 Minuten, immer nah am Klischee, aber gleichzeitig mit einem Gespür für Situationskomik und Wortwitz versehen, das in Spielfilmlänge Konkurrenz für die ewig gleichen Schweiger/Schweighöfer-Komödien bedeuten dürfte.

Der interessanteste und am kontroversesten diskutierte Beitrag zum Thema weibliche Filmschaffende kam jedoch von Isabell Šuba, die ihren Film umstandslos programmatisch "Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste" genannt hat. Just im Jahr des Brandbriefes war Šuba mit einer Kurzdokumentation nach Cannes eingeladen. Šuba fährt zwar zum Festival, überlässt ihre Akkreditierung jedoch der Schauspielerin Anne Haug, die eine semifiktive Isabell Šuba spielt und vom misslungenem Pitch zur glamourösen Party zum verhunztem Interview hetzt.

Ehrgeizig und ideenreich, chaotisch, manipulativ und selbstgerecht: Mit ihrem Film-Alter-Ego stellt Šuba selbstbewusst eine komplexe, streitbare Frauenfigur aus, die sich oft selbst im Weg steht. Als Analyse einer Branche, die Frauen systematisch benachteiligt, eignet sich das Experiment nur bedingt, dafür fehlt die Konfrontation mit den mutmaßlichen Gatekeepern des Festivals. Als Empfehlung für eine Regisseurin, die keine Angst vorm Nichtgefallen hat, funktioniert der Film aber bestens.

In Cannes wurde "Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste" übrigens abgelehnt. Die Zukunft eines gleichberechtigteren Kinos scheint tatsächlich in Nordbayern statt Südfrankreich begonnen zu haben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels war Mukoviszidose fälschlicherweise als Nervenkrankheit beschrieben. Wir haben dies nun korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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