Horrorkomödie "Attack the Block" Der Problemkiez schlägt zurück

Lasst uns Aliens jagen! In "Attack the Block" liefern sich Gang-Mitglieder aus einem Londoner Armenviertel wilde Kämpfe mit Außerirdischen. Regie-Debütant Joe Cornish gelingt damit eine amüsante Horrorkomödie, die man auch als Kommentar zu den britischen Krawallnächten verstehen kann.
Horrorkomödie "Attack the Block": Der Problemkiez schlägt zurück

Horrorkomödie "Attack the Block": Der Problemkiez schlägt zurück

Foto: Capelight Pictures

Kann man über eine kaputte Gesellschaft lachen? Über Jugendliche, die einsame Frauen auf dem Nachhauseweg überfallen? Die Messer griffbereit haben und sich keinen größeren Karriereschritt vorstellen können, als in der Dealer-Ordnung im Viertel aufzurücken?

Man kann darüber sogar sehr herzlich lachen - wenn man "Attack the Block" anschaut.

Die englische Horrorsatire verschiebt so geschickt die Perspektiven auf Großbritanniens "broken society", von der Premierminister David Cameron gesprochen hat, dass gesellschaftliche Spaltung zumindest für einen Kinoabend wie ein kleiner Streit unter Freunden erscheint.

Die Story ist schnell erzählt: London, 5. November. Die britische Hauptstadt feiert die Guy Fawkes Night mit Feuerwerken in allen Vierteln. Auch im Süden, wo die grauen Blöcke mit den Sozialwohnungen stehen, knallt es, einmal sogar richtig laut. Gerade wollten Moses und seine Gang die Krankenschwester Sam ausrauben, da schlägt etwas mit voller Wucht in ein nahe stehendes Auto ein. Ohne zu zögern, nähert sich Moses dem Wagen und wird von riesigen Krallen verletzt. Sofort verlagert sich die Gang vom Abziehen der Nachbarn auf die Jagd nach - ja was eigentlich? Einem Hund? Für eine genauere Analyse der Situation ist keine Zeit, es geht über einsame Spielplätze und dunkle Einfahrten durch die ganze Siedlung, bis Moses das Ding in die Ecke gedrängt und getötet hat. Womit der Weltuntergang seinen Lauf nimmt.

Dass die simple Geschichte funktioniert, ist Joe Cornish zu verdanken. Er war in Großbritannien bislang besser bekannt als eine Hälfte von "Adam and Joe", dem Moderatorenteam einer äußerst beliebten TV- und Radio-Comedy. Mit "Attack the Block" hat sich das schlagartig geändert: Sein Regiedebüt hat den 42-Jährigen aus dem Stand in die Riege der interessantesten Newcomer weltweit katapultiert - Anfang August wurde bekannt, dass er für den fünften Teil der "Die Hard"-Reihe im Gespräch ist. Warum Cornish trotz seiner begrenzten Erfahrung für einen Blockbuster gehandelt wird, erschließt sich nach "Attack the Block" sofort: Aus einem überschaubaren Budget von rund 13 Millionen Euro und einem Ensemble, von dem zwei Drittel vorher noch nie vor einer Kamera gestanden hatten, macht er einen Actionspaß aus einem Guss.

Mit Rollenspiel-Schwertern gegen Außerirdische

Im Zentrum steht Moses (John Boyega), unbestrittener Anführer der Jungsgang des Blocks. Zu ihm schauen die Kinder auf, während ihm die Rentner aus dem Weg gehen. Er selbst hat nur Respekt vor Ron (Nick Frost), dem Hasch-Anbauer aus dem obersten Stockwerk, und Hi-Hatz (Jumayn Hunter), dem Chef-Dealer des Viertels. Zu ihnen kommt er auch mit dem Ding, das er soeben erlegt hat, und verstaut es am wahrscheinlich sichersten Ort des ganzen Blocks: Rons Hasch-Raum. Gemeinsam hat man sich darauf geeinigt, dass es offensichtlich ein Alien ist. Aber das kratzt keinen sonderlich, Rons Ernte ist dafür einfach zu gut. Erst als die Einschläge vor dem Fenster immer näher kommen und bei genauerem Betrachten schwarzes Fell und blau leuchtende Reißzähne zeigen, wird ihnen klar, dass ihr Fang nicht ohne Konsequenzen geblieben ist: Süd-London wird von Außerirdischen attackiert.

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"Attack the Block": Die zähesten Halbstarken von allen

Foto: Capelight Pictures

Hunderte von Jungen haben Joe Cornish und Casterin Nina Gold nach eigenen Angaben aus Schulen und Sozialsiedlungen gecastet, bevor sie Moses und seine Gang zusammen hatten. Jetzt schlägt eine hochnotkomische Truppe aus Kleinkriminellen, Klugscheißern und Möchtegern-Helden die Schlacht ihres Lebens - wenn es sein muss, mit Silvester-Raketen und Rollenspiel-Schwertern. Allzu sehr sollte man sich aber nicht für Pest (Alex Esmail) und Co. erwärmen. Mit überraschender Rücksichtslosigkeit dezimieren die Filmemacher die Gang im Verlauf des Films, abgebissene Köpfe inklusive.

Doch nicht nur mit den Laienschauspielern ist Cornish ein Glücksgriff gelungen. Dass "Attack the Block" so frisch und rau wirkt, ist vor allem Kameramann Thomas Townend zu verdanken. Mit ihm hastet man bei den zahllosen Verfolgungsjagden atemlos durch Treppenhäuser und Auffahrten, stößt sich, fällt hin und rappelt sich wieder auf. Am schönsten sind aber die Einstellungen, in denen Townends Kamera die grauen Häuserfronten hochfährt. Dann nehmen sie sich so düster wie feindliche Raumschiffe aus, die soeben gelandet sind.

Vom Straßengangster zum local hero

Im Gegensatz zur Zombie-Komödie "Shaun of the Dead", die den Horror im grauen Alltag fand, entdeckt "Attack the Block" den Hoffnungsschimmer inmitten des Elends. Unter Führung von Moses erkämpft sich die Gang den Respekt des Blocks, denn keiner verteidigt den gemeinsamen Lebensraum so entschlossen wie sie. Der Straßengangster als local hero - in dieser Deutung gibt Joe Cornish seinen Protagonisten ein wenig von der Würde zurück, die ihnen die Gesellschaft abgesprochen hat.

So lässt sich der Film denn auch als augenzwinkernder, aber durchaus ernstgemeinter Kommentar zur Unterschichtendebatte in Großbritannien verstehen. Die Zeiten, in denen David Cameron noch "Hug a hoodie!" forderte, sind längst vorbei. "Chavs" und "hoodies", also Prolls und Kapuzenpullover tragende Jugendliche, sind zu medialen Hassfiguren geworden, die nicht erst seit den Krawallen im August als Ursache gesellschaftlicher Spaltung und nicht als deren Symptom gelten.

"Attack the Block" erinnert nun daran, dass die Frontverläufe nicht so eindeutig sind, wie sie vielleicht erscheinen. Da ist zum Beispiel der weiße Student Brewis (Luke Treadaway), der auf dem Weg zu seinem Haschdealer zwar den Antirassismus-Stampfer "Sound of da Police" auf dem MP3-Player plärren hat, sich aber erschrickt, sobald ein schwarzer Jugendlicher neben ihm auftaucht. Doch wie Krankenschwester Sam (Jodie Whittaker), die anfangs von Moses' Gang ausgeraubt wird, erkennt auch Brewis: Zäher als die Halbstarken ist hier keiner.

Fortan kämpfen Biologie-Student und Kleindealer, Krankenschwester und Schulschwänzer Seite an Seite. Merke: Wenn der Block attackiert wird, steht die "broken society" geschlossen zusammen.

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