Netflix-Film von Charlie Kaufman Der Horror der Zweisamkeit

Hauptdarsteller Buckley, Plemons in "I'm Thinking of Ending Things": Das Elend der Liebe
Foto: Mary Cybulski/NETFLIX / Mary Cybulski / NetflixDie Welt ist zu Beginn von "I’m Thinking of Ending Things" schon längst untergegangen. Dabei ist die Ausgangssituation von Charlie Kaufmans Verfilmung des gleichnamigen Romans von Iain Reid eigentlich eine erwartungsvolle: Eine junge Frau (Jessie Buckley) hat sich mit ihrem Freund (Jesse Plemons) auf den Weg gemacht, um endlich dessen Eltern kennenzulernen.
Doch die Reise führt das junge Paar in eine schneebedeckte Landschaft von postapokalyptischer Leere: Kein anderes Auto kommt ihnen auf der Straße entgegen, keine Siedlungen sind am Horizont sichtbar und eine bunte Kinderschaukel ist nur der gespenstische Nachhall einer längst erloschenen Lebendigkeit. Hier gibt es keine Menschheit mehr, hier gibt es nur mehr zwei Menschen, die durch ein graues Nichts tuckern.
Ein ständiges Abwehrgefecht
Die junge Frau und der junge Mann sind einander jetzt buchstäblich alles - und diese Zweisamkeit schmückt Kaufman zur unerbittlichen Horrorvision aus. Die Gespräche zwischen den beiden sind freudlos und verquält, ein ständiges Abwehrgefecht. Statt sich dem Gegenüber zu öffnen, flüchtet er sich in ein Referat über William Wordsworth und rezitiert sie ein selbst geschriebenes Gedicht, das mit der Zeile "Nach Hause zu kommen ist einfach nur furchtbar" beginnt und danach auch nicht heiterer wird. Alles kulminiert in der Nahaufnahme eines im Mundwinkel aufgestauten Spucketropfens.

„I’m Thinking of Ending Things“: Leider anstrengend
Als Demontage des Wunsches nach romantischer Vertrautheit entwickelt diese Reise, die ungefähr das erste Drittel des Films ausfüllt, eine mitreißende misanthropische Kraft. Doch sobald das Elend zwischenmenschlicher Beziehungen derart deutlich dargelegt wurde, ist nicht mehr ganz klar, an welchem Problem sich der Film die restlichen 100 Minuten über eigentlich genau abarbeitet.
Die Figuren sind zwar alle unglücklich und furchtbar einsam, aber die Einsamkeit erscheint nach dieser Einleitung nicht mehr als ein allzu tragisches Schicksal. Ganz im Gegenteil: Sie ist angesichts der präsentierten Alternativen ein geradezu erträglicher Lebensentwurf. So wird die ostentative Illusionslosigkeit des Films bald zu einem dramaturgischen Problem: Immer wieder wird hinter einer verfaulten Schale ein ebenso verfaulter Kern zum Vorschein gebracht – was auf Dauer weder Spannungsmomente noch einen wirklichen Erkenntnisgewinn liefert.
Der Leerlauf beginnt im Grunde schon mit der Ankunft im Elternhaus des Mannes. Vater und Mutter (David Thewlis und Toni Collette) schreiten bereits als groteske Gestalten die Treppe herunter, sie mit einem eingefrorenen Grinsen, er mit einem Strom unzusammenhängender Sätze auf den Lippen. Dass das gemeinsame Abendessen dann eine schmerzhafte Affäre wird, ist keine Überraschung: Undeutbare Blicke und inkohärente Fragen verbinden sich zu einer überreizten Unruhe, die mit jedem Augenblick zermürbender wird.
Die ganze Sequenz erinnert stark an eine entsprechende Szene aus David Lynchs "Eraserhead". Doch gerade der Vergleich mit Lynch lässt deutlich hervortreten, was Kaufmans Film so einförmig und irgendwann auch anstrengend macht. Denn bei aller traumartigen Sprunghaftigkeit spürt man bei Lynch doch stets einen inneren Zwang, der die jeweiligen Filme zu ihren Motiven und Eindrücken treibt – die Filme sind erfüllt von einer Mischung aus lustvoller Faszination und tiefer Angst.
Ein derartiges Moment der inneren Unruhe fehlt "I’m Thinking of Ending Things", denn Kaufman ist allzu bedacht darauf zu zeigen, dass er seinen Bildern gedanklich stets einen Schritt voraus ist: Nie entgleiten sie ihm, nie kommt es zu Ausbrüchen von Sentimentalität, Kitsch oder Derbheit, alles folgt vom ersten Moment an einer starren Interpretation.
"I’m Thinking of Ending Things"
USA 2020
Regie und Drehbuch: Charlie Kaufman
Kamera: Lukasz Zal
Darstellende: Jessie Buckley, Jesse Plemons, Toni Collette
Länge: 134 Minuten
Freigegeben: Keine Angabe
Start: 4. September 2020
Der Film reiht somit zwar unerklärliche Ereignisse aneinander, aber er lässt sie nie auf interessante Art rätselhaft werden. Auch die Vielfalt der eingesetzten Stilmittel – von plötzlichen Schauspielerwechseln über Animationen bis zu Musical- und Tanzeinlagen – wirkt wie bloßer Eklektizismus, als würde das reine Aufeinanderprallen nicht zusammengehöriger Elemente schon irgendwann Funken schlagen.
Kaufman mag zwar den Bewegungen des menschlichen Geistes folgen, aber dem fehlt in "I’m Thinking of Ending Things" die Reibung mit der äußeren Welt.