Daniel Brühl in "Ich und Kaminski" Duell der Trickser und Täuscher

Daniel Brühl in "Ich und Kaminski": Duell der Trickser und Täuscher
Foto: X VerleihZwei Dinge, auf die man 2015 nicht unbedingt gewartet hat: Ein neuer Film von Wolfgang Becker und Daniel Brühl und eine weitere Verfilmung von einem Daniel-Kehlmann-Roman. Zwölf Jahre sind seit dem Becker-Brühl-Riesenerfolg "Goodbye, Lenin!" vergangen und noch nicht genug Zeit, um Detlev Bucks verhunzte Kinoadaption von "Die Vermessung der Welt" vergessen zu machen.
Doch das klingt unfreundlicher, als es gemeint ist. Schließlich ist "Goodbye, Lenin!" mittlerweile ein freundlicher Gruß aus einer längst vergangenen Zeit, in der eine deutsche Komödie ein Millionenpublikum erreichen konnte, ohne dass in ihr Dieter Hallervorden in einen Kühlschrank pinkeln oder sich Elyas M'Barek werbewirksam eine Orangenlimonade aufmachen musste.
Und von allen Kehlmann-Büchern ist "Ich und Kaminski" mit seinem übersichtlichen Figurenarrangement sicherlich das am dankbarsten zu adaptierende. Kurzum: Man muss keine großen Erwartungen an die Kinoversion von "Ich und Kaminski" haben. Aber versuchen kann man es schon.

"Ich und Kaminski": Selbstfindung, Selbsttäuschung
Daniel Brühl spielt den windigen Kulturjournalisten Sebastian Zöllner, der von einer Idee besessen ist: Er will die definitive Biografie des legendären Pop-Art-Malers Manuel Kaminski (Jesper Christensen) schreiben. Nein, mehr noch: Er will die definitive Enthüllung über Kaminski bringen - nämlich dass dieser gar nicht als junger, aufstrebender Künstler erblindete, sondern die Erkrankung jahrzehntelang zwecks Legendenbildung vortäuschte. Denn auch als offiziell Blinder hatte Kaminski weitergemalt und den Markt mit vermeintlichen Wunderbildern versorgt.
Schon die Reise zu Kaminskis Chalet in einer entlegenen Ecke der Alpen entpuppt sich als hürdenreich. Doch steile Aufstiege und üppige Kuhfladen sind nichts im Vergleich zu den Hindernissen, die Zöllner vor Ort erwarten: Kaminskis Tochter Miriam (Amira Casar) schirmt ihren Vater weitläufig ab. Und wenn Zöllner mit viel Glück doch direkt mit Kaminski sprechen kann, dann scheint der greise Mann nicht mehr in der Lage zu sein, verlässlich Auskunft über sein Leben, die Lehrjahre in Paris bei Matisse und Picasso, seine große Liebe Therese oder den Austausch mit Andy Warhol in New York zu geben.
Vom Fettnäpfchen in den Kuhfladen
Doch mit seinem Prestigeprojekt zu scheitern, ist keine Option für Zöllner. Denn dann müsste er sich der Tatsache stellen, dass er in seinem Leben auch sonst nicht viel hinkriegt. Da macht er sich lieber einer Entführung schuldig: Er steckt Kaminski in sein Auto und fährt mit ihm bis nach Holland, wo Therese wohnt. Seit einem halben Jahrhundert hat Kaminski sie nicht mehr gesehen und sie doch nie vergessen. Von der Konfrontation erhofft sich Zöllner exklusives Material für sein Buch - und endlich Beweise dafür, dass Kaminski die Kunstwelt die längste Zeit an der Nase herumgeführt hat.
Sobald Kaminski und Zöllner im Auto sitzen, nimmt auch der Film an Fahrt auf. Da ist es nur fast schon zu spät, ernsthaftes Interesse für die Geschichte aufzubringen, denn die Zeit in den Alpen verplempert Becker mit sinnlosen Albernheiten. Da stolpert Brühls Zöllner buchstäblich von einem Fettnäpfchen in den nächsten Kuhfladen und macht damit auch als Schauspieler keine gute Figur. Schmierenkomödiant scheint Brühl nicht zu liegen, dabei hat er das großartige Talent, die Getriebenheit einer Figur herauszuarbeiten und sie - siehe "Rush", siehe "Inside Wikileaks" - in ihrer Widersprüchlichkeit faszinierend menschlich werden zu lassen.
Dieses Talent kann Brühl erst unter Beweis stellen, wenn "Ich und Kaminski" auf das Genre Roadmovie umschwenkt. In den kammerspielartigen Situationen, in den er und Jesper Christensen ("Die Erbschaft", "Ein Quantum Trost") sich ganz aufeinander einstellen können, entwickeln sie eine wunderbare Chemie. Das Duell der Trickser und Täuscher, die sich selbst am meisten etwas vormachen - endlich wird es auf Augenhöhe geführt!
In diesen Momenten kommt Becker (nach einem Drehbuch, das er gemeinsam mit Thomas Wendrich verfasst hat) dann auch dem Geist der Buchvorlage am nächsten. In "Ich und Kaminski" hatte Daniel Kehlmann zuerst mit der Tragikomik von Figuren experimentiert, deren Selbstwahrnehmung erheblich von der ihrer Umgebung abweicht, bevor er sie in "Die Vermessung der Welt" perfektionierte. Hier wie dort zeigte er, wie sich die tiefe Verunsicherung, dass wir uns unserer selbst nie ganz sicher sein können, humoristisch erschließen lässt, ohne an Tragik zu verlieren.
Lange braucht es, bis sich auch in der Filmversion diese Tiefenschärfe einstellt. Doch wenn sie erst einmal erreicht ist, macht sich die aufgebrachte Geduld bezahlt. Dann wird aus "Ich und Kaminski" wir und Kaminski.
Im Video: Der Trailer von "Ich und Kaminski"
Belgien, Deutschland, Frankreich 2015
Regie: Wolfgang Becker
Drehbuch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker
Darsteller: Daniel Brühl, Jesper Christensen, Amira Casar, Geraldine Chaplin, Denis Lavant, Bruno Cathomas
Produktion: X Filme Creative Pool
Verleih: X Verleih
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Start: 17. September 2015