Ikone Isabelle Huppert "Mein Gesicht ist wie ein Versuchsfeld"
Frage: Welche Bedeutung haben eigentlich die Schuhe für eine Rolle?
Huppert: Die sind sehr wichtig. Je nachdem, ob sie flach oder hoch sind, ändert sich der Gang und definiert so eine Person sehr nachhaltig. Ich hätte "Die Klavierspielerin" nie mit hohen Absätzen spielen können. Meine Figur trägt zunächst flache Schuhe und später etwas höhere, was ihrer Verwandlung genau entspricht. Ich sage immer, daß eine Rolle mit den Schuhen anfängt.
Frage: Sie haben einen sehr konzentrierten Gang in diesem Film.
Huppert: Ja.
Frage: Gibt es da eine Methode?
Huppert: Das innere Gefühl, das man für eine Rolle hat, bestimmt nicht nur das Gesicht, sondern auch den Körper. Man wird verspannter, komplexbeladener, widersprüchlicher. Das sind blitzschnell vor sich gehende Übertragungen, keine bewußte Arbeit. Mit jedem Film geht eine andere physische Konstitution einher.
Frage: Die Klavierspielerin hat außerdem sehr runde Schultern.
Huppert: Ja, aber das sind meine eigenen (Lachen).
Frage: Man könnte dabei an eine Schlemmer-Figurine denken.
Huppert: Das bin ich, ich habe winzige, extrem runde Schultern ...
Frage: ... sehr schöne ...
Huppert: Das ist reizend, daß Sie das sagen. Denn ich mag meine Schultern nicht besonders.
Frage: Aber sie sind so Balenciaga-haft!
Huppert: Ist das wahr? Das muß ich Nicolas Ghesquière erzählen. Er wird sich freuen. Er hat mich in "L'Ivresse du Pouvoir" (ab 20. Juli im Kino d. Red.) angezogen. Ich liebe seine Arbeit sehr. Bustierkleider, die meine Schultern exponieren, liebe ich überhaupt nicht, denn ich habe keine ...
Frage: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Ghesquière entwickelt? Haben Sie die Rolle vorher durchgesprochen, hat er Vorschläge gemacht?
Huppert: Er hat mir seine Kollektion gezeigt und mir die Dinge, die mir gefallen haben, angepaßt.
Frage: Was Sie in anderen Interviews über die Leere im Moment des Schauspielens sagen, ist sehr interessant. Sie haben die Wirklichkeit einmal einen Dammbruch genannt, der mit Überschwemmung droht. Was mich an Jacques Lacan erinnert hat.
Huppert: Tatsächlich?
Frage: In dem Sinne, daß die Realität zu mächtig und beängstigend ist, so daß man eines Rahmens, einer künstlichen Form bedarf, auch eines idealen Bildes von sich selbst. Ich versuche das im Zusammenhang mit Ihrer bekannten Angst vor Fahrstühlen zu sehen. Sie ist eigentlich verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Sie sich mit jeder Rolle freiwillig in ein geschlossenes System begeben.
Huppert: Aber die Rolle ist mehr wie ein Schutzschild. Fahrstühle empfinde ich als wirklich einengend, aber die Rollen sind ein Schutz, natürlich auch eine Einschließung, aber man bewegt sich im Leben häufig aus einem Gefängnis ins nächste, und die Freiheit liegt nicht so sehr darin, das Gefängnis zu verlassen, als vielmehr, von einem ins andere gehen zu können.
Frage: Viele Leute spielen nur eine Rolle, die sie ihr Selbst nennen. Würden Sie sagen, daß der einzige Unterschied zwischen Ihrem Privatleben und Ihren Rollen darin besteht, daß das Privatleben nicht vor der Öffentlichkeit stattfindet?
Huppert: Aber das ist eine andere Geschichte. Das hat nichts mit der Bewegung von einem Gefängnis zum anderen zu tun. Aber jeder hat seine geschlossenen Räume, und wenn man sich die finstere Seite dieses Umstands vergegenwärtigt, dann geht damit auch immer eine Abhängigkeit einher, eine emotionale Abhängigkeit, eine des Begehrens. Aber das ist die pessimistische Version, die Sache anzuschauen.
Frage: Sind Sie als Kind eher ruhig oder extrovertiert gewesen?
Huppert: Ein wenig beides, ich war ziemlich extrovertiert. Zumindest war das das Bild, das man sich von mir gemacht hat. Vielleicht war ich das gar nicht wirklich, aber aus der Kindheit behält man das Selbstbild, das andere sich von einem gemacht haben. Ich war das fünfte Kind in meiner Familie und damit das jüngste. Häufig ist das kleinste Kind automatisch das niedlichste, das fröhlichste und problemloseste von allen, einfach weil es mit den Größeren verglichen wird. Und schließlich entspricht man dieser Projektion.
Frage: Sie scheinen zur Vorbereitung auf eine Rolle keine anderen Frauen zu beobachten, sondern die Informationen aus sich selbst zu nehmen.
Huppert: Ja, absolut. Natürlich habe ich Bilder im Kopf wie jeder andere auch. Meine Einbildungskraft nährt sich von den Dingen, die ich sehe oder lese. Aber ansonsten nehme ich die Gestaltung der Rollen ganz aus mir selbst.
Frage: Unterhalten Sie sich eigentlich mit Claude Chabrol über die Rollen, die sie in seinen Filmen spielen?
Huppert: Überhaupt nicht. Niemals. Eigentlich muß man mit keinem Regisseur lange reden. Mit Chabrol ist es erst recht so, daß wir die Basis unserer Zusammenarbeit vor langer Zeit etabliert haben und auf diese Dinge nicht mehr zurückkommen müssen. Aber auch mit einem jungen Regisseur, den ich kaum kenne, läuft es ähnlich, was vielleicht daran liegt, daß ich eine gute Schauspielerin bin. Er begreift schnell, daß ich verstehe, worauf es ihm ankommt.
Frage: Sie sind eine Schauspielerin, die in Sekundenschnelle durch einen Ausdruckswechsel ihr ganzes Wesen verändern kann. Ein Foto nimmt Ihnen diese zeitliche Dimension. Was bleibt da von Ihrer Kunst übrig?
Huppert: Wenn ich mir die Fotos von mir ansehe, dann fangen sie wirklich mehr eine Abwesenheit, eine Zurückgezogenheit, eine Melancholie ein. In ihnen kann ich nicht so sehr mit dem Übergang von Traurigkeit in Freude experimentieren.
Frage: Sigmund Freud hat viel über die leichte Umkehrbarkeit der Emotionen geschrieben, über die Tatsache, daß sich Liebe schnell in Haß verwandeln kann. Ich habe den Eindruck, daß das Mysterium Huppert viel damit zu tun hat, daß Sie diese Klaviatur bespielen. Es handelt sich wirklich um eine radikale Umkehr von Emotionen in Sekunden.
Huppert: Ja, das ist richtig (Lachen). Es gab eine französische Autorin, die sagte: "Der Haß ist nur ein anderes Wort für die Liebe."
Frage: Sind Komödie und Tragödie für Sie zwei völlig verschiedene Genres?
Huppert: Man sagt, daß sie es nicht sind. Das ist zwar ein Klischee, aber sehr wahr. Das gilt etwa für Medea, die ich einmal gespielt habe. Oder denken Sie an Euripides, der nur Tragödien geschrieben hat und trotzdem eine Sprache besaß, die dem Komischen sehr nahe kommt. Auch in der österreichischen Literatur, etwa bei Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Karl Kraus, findet sich gerade im Anschluß an die dramatischsten Szenen, denen man gebannt zuschaut und die dem Verstand kaum Luft zum Atmen lassen, ein Umschlag ins Humoristische.
Frage: Susan Sontag hat sich über Ihre Schönheit Gedanken gemacht und sie als griechisch bezeichnet.
Huppert: Ja, das habe ich nicht ganz verstanden.
Frage: Ich glaube, sie meinte, daß es etwas Ethisches an Ihrer Schönheit gibt, also eine Schönheit, die man nicht geschenkt bekommt, sondern erarbeitet.
Huppert: Ich glaube, sie meinte, daß es augenfällige Schönheiten gibt, und andere, die komplexer sind. Wenn man mir auf der Straße begegnet, wird man kaum sagen: Ah, was für ein schönes Mädchen!
Frage: Ich wollte darauf hinaus, daß es sich um keine narzißtische Schönheit handelt.
Huppert: Ah ja, das habe ich gesagt, daß es sich bei mir als Modell um einen herausfordernden Narzißmus handelt. Meine Arbeit, mein Gesicht ist ein Versuchsfeld, ein Instrument, genau wie für einen Pianisten das Klavier oder für einen Tänzer der Körper. Ich reflektiere über mein Gesicht, ich bin sein Interpret und weiß genau, wozu es dienen kann und was ausgedrückt werden soll. Das ist kein Narzißmus, das ist Realismus!
Frage: Wie entsteht das berühmte Nicht-Lächeln Isabelle Hupperts? Diese intensiven Momente, in denen der Zuschauer das Lächeln begehrt und es ihm verweigert wird.
Huppert: Ich weiß, daß es oft viele Gründe für ein Lächeln gibt, aber da ist ein unbewußter Widerstand in mir, der sich so ausdrückt. Andererseits finde ich Schauspielerinnen, die ständig lächeln, unerträglich. Ah! Ich kann das überhaupt nicht ertragen.
Frage: Was den Gedanken der Muse betrifft: Gab es unter Ihren Porträtisten Fotografen, von denen Sie sagen würden, daß sie etwas Besonderes in Ihnen entdeckt haben, etwas, das Sie nicht kannten?
Huppert: Nein, obwohl ich die Arbeit von Peter Lindbergh sehr stark finde. Er braucht keine Hilfsmittel und doch gelingt es ihm, eine große Kraft in sein Foto zu übersetzen.
Frage: Seine Bilder sind sehr sinnlich ...
Huppert: Ganz genau, es gibt darin Sinnlichkeit, Kraft, ich habe die Fotos, die ich mit ihm gemacht habe, sehr gern.
Das Interview führte Ingeborg Harms