"Independence Day: Wiederkehr" Eine gigantische, verkohlte Pizza

"Independence Day: Wiederkehr": Eine gigantische, verkohlte Pizza
Foto: 20th Century FoxAch, wie war das schön in den Neunzigern! Nach der Implosion des Kommunismus hatte der US-Politologe Francis Fukuyama in einem berühmt gewordenen Aufsatz tollkühn das Ende der Geschichte verkündet: Demokratie und freier Markt hätten gewonnen, nun werde, im Zuge der Globalisierung, endlich alles gut werden.
Vier Jahre später, am 4. Juli 1996, dem Unabhängigkeitstag der Amerikaner, brachte Roland Emmerich den passenden Film zum Zeitgeist in die Kinos: "Independence Day" oder kurz "ID4" ließ technisch überlegene Aliens auf die Erdbewohner los. Logisch: Woher sollte die Bedrohung denn auch sonst kommen, wenn nicht aus dem Weltall? Auf der Erde war ja alles klar.
Ein Haufen Aufrechter, angeführt von einem US-Präsidenten mit willensstarkem Kinn (Bill Pullman), einem urigen Wissenschaftler (Jeff Goldblum) und einem Draufgängerpiloten (Will Smith) prügelten die Invasoren mit bloßen Fäusten und viel Freiheitsfuror wieder zurück ins All. Den Rest regelte der Markt: "Independence Day" war der erfolgreichste Film des Jahres und erhob seinen Regisseur zum Meister des modernen Katastrophenfilms: Spektakulärer als Emmerich legte auf der Leinwand niemand die ganze Welt in Schutt und Asche.

"Independence Day"-Fortsetzung: Darfs ein bisschen größer sein?
Das Apokalypsen-Szenario von "ID4" wurde in den Folgejahren so oft kopiert, unter anderem von Emmerich selbst, dass die bereits früh geplante Fortsetzung immer unnötiger erschien. 2004 legten Emmerich und Autor/Produzent Dean Devlin das Projekt sogar schon zu den Akten: Man wisse schlicht nicht, wie man die Story weitererzählen könne - schon gar nicht im Schatten der Anschläge vom 11. September 2001, die Emmerichs Bilder des zerstörten New York real werden ließen.
Denn natürlich war die Weltgeschichte nicht stehen geblieben. Mit 9/11 begann das Zeitalter eines religiös motivierten Terrors. Gleichzeitig entpuppte sich der Neoliberalismus als gesellschaftlicher Spaltkeil. Anders gesagt: Angesichts des Irrsinns, der sich zurzeit täglich ereignet - von blutigen Anschlägen bis hin zu Donald Trump und Brexit-Debakel, wünscht man sich fast, die Aliens würden landen, um uns entweder den Garaus zu machen oder uns doch noch zu einer solidarischen Weltgemeinschaft zu vereinen.
Emmerich, der Romantiker
Bei aller Lust an der fiktiv-spielerischen Zerstörung ist Roland Emmerich ein Romantiker. Deshalb ist in "Independence Day: Wiederkehr", der nun fast exakt 20 Jahre nach dem Original ins Kino kommt, der bestmögliche Fall eingetreten: Nach der erfolgreich abgewehrten Invasion herrscht Friede auf Erden. Dank der erbeuteten Technologie hat man sogar einen industriellen Quantensprung absolviert: Auf dem Mond wurden riesige Kanonen installiert, die einen neuerlichen Angriff der außerirdischen Aggressoren mit deren eigenen Waffen abwehren sollen.
Tja, es könnte alles so schön und einfach sein, ist es aber nicht.
Denn tatsächlich kehren die Außerirdischen zurück, diesmal mit einem Raumschiff in Form einer gigantischen verkohlten Pizza, gegen das die schon sehr riesigen Invasionsschiffe des Originalfilms wie Krümel wirken. Das Megamutterschiff hat einen Durchmesser von 3000 Meilen und pflanzt sich, an den schnell obsolet gewordenen Mondgeschützen vorbei, mal eben über den gesamten Atlantik.
Die Aliens, stellt sich heraus, hatten es schon damals gar nicht auf uns Menschen abgesehen, sondern auf den ressourcenreichen geschmolzenen Kern unseres Planeten. Der wird nun mit einem langen Bohrrüssel angezapft. Nicht nur vernichten der Gravitationssog der Schiffslandung und die anschließenden Flutwellen die meisten Küstenregionen; der durch den Alien-Eingriff nahende Stillstand des Erdkerns droht, alles Leben an der Oberfläche auszulöschen.
Viel Zeit, sich Gedanken über die Physik dahinter zu machen, hat man zum Glück nicht. Gerade mal im Augenwinkel bekommt man im Verheerungstohuwabohu mit, wie Burj Khalifa und Petronas Towers als Langstreckenprojektile Londons Tower Bridge zerbröseln. Ein schöner Einfall, vielleicht sogar ein subversiver Kommentar zu den Folgen der Globalisierung.
Kein Will-Smith-Ersatz weit und breit
Aber das ist dann leider auch schon fast alles, was man Gutes über "Independence Day: Wiederkehr" sagen kann, denn den fünf beteiligten Drehbuchautoren fiel am Ende nicht mehr ein, als die schon damals recht naive Geschichte des Originals leicht variiert noch einmal zu erzählen - mit allgemein mehr Getöse.
Die "Wiederkehr" des deutschen Verleihtitels ist vor allem auch die Wiederkehr altbekannter Protagonisten: Goldblums Wissenschaftler ist ebenso erneut im Weltenrettereinsatz wie Bill Pullmans US-Präsident. Nebenbei treten, ganz allerliebst, Brent Spiner und John Storey als ältliches, schwules Forscherpärchen auf. Lieblos fehlplatziert wirken hingegen Charlotte Gainsbourg als Euro-Love-Interest für Jeff Goldblum sowie das chinesische Supermodel Angelababy als Lustobjekt für die neuen, jungen Draufgängerpiloten. Denn für alle, die 1996 noch zu klein waren, werden Jessie T. Usher, Maika Monroe und Liam Hemsworth als Nachkommen der Originalhelden ins Spiel gebracht.
Doch Emmerich gelingt es mit dieser personellen Verjüngung nicht, den Film in die Gegenwart zu pushen. Unter den Jungschauspielern befindet sich kein charismatischer Newcomer wie einst Will Smith. Und selbst wenn, dann hätte er im zu zahlreich aufgerüsteten Ensemble zu wenig Raum, sich zu entfalten. Smith selbst hatte seine Teilnahme an der "ID4"-Fortsetzung klugerweise schon vor Jahren abgesagt.
In Ermangelung neuer Ideen setzt Emmerich auf das, was er am besten kann: unterkomplexes, auf Überwältigung angelegtes Eventkino. Das ist aber zu wenig, um damit heutzutage einen satisfaktionsfähigen Blockbuster zu landen. Nicht nur gesellschaftlich und politisch sind die Zeiten unübersichtlicher, als man es sich vor 20 Jahren ausmalte, auch die Regeln für Kassenerfolge sind komplizierter geworden. Aktuelle Blockbuster wie die Marvel-Superhelden-Spektakel oder die "Star Trek"-Reboots haben bewiesen, wie man Schauwerte und Selbstironie, technische Innovation und Retro-Feingespür verbinden kann.
Eine Gewissheit aus den Neunzigern hat sich bis heute immerhin erhalten: Der Markt wirds schon regeln. Nur 41 Millionen Dollar spielte der 165 Millionen teure Super-Size-"Independence Day" an seinem Startwochenende in den USA ein - sehr mager im Vergleich zu vergleichbaren Eventproduktionen, die in jüngerer Vergangenheit mit weit mehr als dem doppelten Umsatz anliefen.
Auch wenn die Zahlen aus dem Rest der Welt besser sind, für eine dritte Fortsetzung sieht es wohl eher schlecht aus. Zumindest diese Geschichte sollte also ihr Ende gefunden haben.
Originaltitel: Independence Day: Resurgence
USA 2016
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Roland Emmerich, Dean Devlin, Nicolas Wright, James A. Woods, James Vanderbilt
Darsteller: Jeff Goldblum, Bill Pullman, Judd Hirsch, Liam Hemsworth, Jessie T. Usher, Maika Monroe, Charlotte Gainsbourg, Angelababy, Brent Spiner, Sela Ward, William Fichtner, Vivica A. Fox
Produktion: Twentieth Century Fox
Verleih: Fox
Länge: 121 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 14. Juli 2016