Interview-Film Steve Jobs, für immer jung

Interview-Film: Steve Jobs, für immer jung
Foto: NFPJetzt, da Steve Jobs bald ein Jahr tot ist, können die Lebendigen nur noch munter spekulieren: Wohin würde er Apple, das mittlerweile wertvollste Unternehmen der Welt, noch führen? Wie hätte seine nächste bahnbrechende Produktidee ausgesehen? Welche Vision würde Jobs, 2012 befragt, vom Stand der Technik in zehn Jahren haben?

Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass Steve Jobs immer noch in die Zukunft blicken könnte, würde er noch leben. Ganz so wie in einem Interview aus dem Jahr 1995. In zehn Jahren, sagte Jobs damals, wäre der Traum in Erfüllung gegangen, dass Computer nicht mehr Rechenmaschinen sind, sondern in erster Linie Kommunikationsmittel. Das World Wide Web, damals noch recht neu, würde in zehn Jahren zum größten Direktvermarktungskanal aufgestiegen sein, Drehscheibe für den Handel mit Waren im Wert von vielen Milliarden Dollar, eine Innovationsplattform, die Großartiges hervorbringen würde (weil sie nicht Microsoft gehört), ein Wendepunkt in der sozialen Anwendung der Computertechnik. Eine große Sache. Und die kleinste Firma könnte im Netz aussehen wie die größte der Welt. Alles eingetroffen.
Und Apple? Pleite. Unaufhaltsam gleitend auf einer langen Rutschbahn in den Firmentod, unrettbar verloren, weil die Firma den Geist verraten hat, der sie einst ausmachte. Seinen Geist, muss man vielleicht hinzufügen, obwohl Jobs es nicht sagt.
Bekanntlich hat sich Steve Jobs in dieser einen Sache gewaltig geirrt, aber das lag wahrscheinlich an den Umständen der Zeit, in der das Gespräch, das jetzt unter dem Titel "Steve Jobs - The Lost Interview" im Kino zu sehen ist, geführt wurde. 1995 hatte der Journalist Bob Cringely Jobs zu Gast für eine Fernsehserie über die Entwicklung des Personal Computers. In der Serie wurden nur Teile des Interviews gezeigt, das vollständige Material galt lange als verschollen. Nun ist es wieder aufgetaucht.
Die Besten der Besten geschunden
"The Lost Interview" ist im engeren Sinne also kein Kinofilm, es handelt sich eher um ein Artefakt aus einer längst vergangenen Zeit, zu der Steve Jobs nicht Chef bei Apple war und deshalb mit seiner alten Liebe haderte. Einen Machtkampf mit dem von ihm selbst ins Unternehmen geholten ehemaligen Pepsi-Manager John Sculley hatte er verloren, war 1985 aus der Firma gedrängt worden und konnte nun, als Inhaber des vergleichsweise kleinen, aber feinen Computerunternehmens NeXT, die Branche gewissermaßen von der Seitenlinie aus kommentieren.
Der Film, der über 70 Minuten ausschließlich einen langhaarigen, leicht pausbäckigen Steve Jobs als talking head zeigt, macht durch die absolute Konzentration auf seinen Protagonisten augenfällig, warum Jobs einerseits als größter Visionär seiner Branche galt - und andererseits als schwieriger Chef, um es einmal höflich auszudrücken. Von Cringely auf die Zeit der Entwicklung des Apple Macintosh angesprochen, auf die Schinderei, die er seinem Team damals zugemutet hat, antwortet Jobs geradezu selbstgefällig, es möge schon sein, dass manche mit seiner Art der Führung nicht zurechtgekommen seien. Aber niemand würde abstreiten, wie wichtig diese Erfahrung der Zusammenarbeit mit den Besten der Besten gewesen sei.
Ohne einen Hauch von Unrechtsbewusstsein berichtet Steve Jobs von den Anfängen seiner Karriere, als er mit seinem Kumpel und späteren Apple-Mitgründer Steve Wozniak in einer Garage kleine Kästen zusammenschraubte, mit denen man den Telefongiganten AT&T austricksen und kostenlos telefonieren konnte - das nannte man "Blue Boxing". Der junge Jobs verdiente sein frühes Geld damit, das geschützte System eines Kommunikationsgiganten zu hacken. Jobs sagt: "Ohne Blue Boxing hätte es Apple nicht gegeben." Was die Apple-Rechtsabteilung heutzutage mit jungen Leuten anstellen würde, die mit einem Trick den iTunes-Store zum Gratis-Selbstbedienungsladen umfunktionieren wollten, möchte man sich gar nicht ausmalen.
In "The Lost Interview" kann man einen faszinierend charismatischen Jobs bewundern, der nie bereut, der keine Angst vor Fehlern hat, und der ansteckend begeistert von den technischen Möglichkeiten der Zukunft schwärmt. Mit der Zukunft sei es wie mit einem Laserstrahl, den man von der Erde aus ins Weltall schickt: eine minimale Veränderung der Richtung mache später einen riesigen Unterschied aus. Er sei glücklich und dankbar, den Strahl ein wenig in die richtige Richtung schubsen zu können. Woher er denn wissen könne, welches die richtige Richtung sei, will der Interviewer wissen? Jobs denkt kurz nach, nur kurz, dann antwortet er: "Wissen Sie, letztlich ist es eine Frage des Geschmacks."
Ein Jahr später verkaufte Steve Jobs seine Firma NeXT an Apple, kurze Zeit später war er wieder an der Spitze des Unternehmens und schubste dessen Laserstrahl wieder in die richtige Richtung. Der Rest ist Zukunft.