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Wajdas Werke: Ganz großes Kino

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Polnisches Kino Wenn die Macht nur ihre Interessen vertritt, wird die Kunst eingeschränkt

Polen braucht keine filmische Hilfe aus Hollywood, Polen braucht mutige Künstler, die gegen die Drangsalierungen der Regierung protestieren, sagt die polnische Regie-Legende Andrzej Wajda - und plädiert dafür, sich nicht mit der Realität abzufinden.
Von Jagoda Engelbrecht

SPIEGEL ONLINE: Herr Wajda, kürzlich hat Ihnen die Stadt Gdansk, in der Sie Filme wie "Mann aus Eisen" und "Walesa" gedreht haben, anlässlich Ihres 90. Geburtstags die Ehrenbürgerschaft verliehen. Die Veranstaltung wurde von den Vertretern der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" boykottiert.

Wajda : Es hat mich nicht sonderlich beeindruckt; ich wusste, dass es so kommen wird.

Zur Person
Foto: © Kacper Pempel / Reuters/ REUTERS

Andrzej Wajda, der polnische Regie-Altmeister wird am 6. März 90 Jahre alt. Er hat 30 Theateraufführungen inszeniert, über 60 Filme gedreht, alle wichtigen Filmpreise erhalten, war in der Zeit nach der Wende in Polen Senator in Zweiter Parlamentskammer. Wajda ist das Gesicht der Nation und zugleich ihr Gewissen.

SPIEGEL ONLINE: Sie realisieren gerade einen neuen Film, in dem Sie sich dem Konstruktivisten Wladyslaw Strzeminski, einem wichtigen Künstler der polnischen Zwischen- und Nachkriegszeit, widmen. Warum dieser Film?

Wajda: Es geht um die erschütternde Lebensgeschichte eines Künstlers, der wegen seiner Kompromisslosigkeit und seines Andersdenkens von der Obrigkeit vernichtet wurde. Als Pionier der Avantgarde war Wladyslaw Strzeminski ein Dorn im Auge der in Polen herrschenden Vertreter der neuen Weltordnung, die ihn nach und nach zu zerstören gewusst haben.

SPIEGEL ONLINE: Wie das?

Wajda : Sie entzogen ihm jegliche berufliche Arbeitsmöglichkeit, entfernten seine Bilder aus dem Museum, verboten die Publikation seiner kunsthistorischen Vorlesungen, machten ihn unfähig, für sich und seine Familie zu sorgen. Zum Schluss starb er den Hungertod, zerstört durch das System. Mir war klar, dass ich einen solchen Film machen sollte. Ich muss diese Realität zeigen, diese tragischen Ereignisse - einfach zum Gedenken, und um sagen zu können: So war es, passt auf, so war es! Und es wird wieder so kommen, wenn der Staat über die Kunst bestimmt.

SPIEGEL ONLINE: Der Film heißt "Powidoki", auf Deutsch "Nachbilder". Das sind Phantombilder im Gehirn, die als Nachwirkung auch dann empfunden werden, wenn der ursprüngliche Lichtreiz abgeklungen ist.

Wajda : Ja, diesen Begriff erklärt Strzeminski seinen Studenten und führt ihn auch in seinem Buch "Theorie des Sehens" auf. Man könnte meinen, er mische sich nicht in die Politik ein, er indoktriniere die Jugend nicht. Aber es geht um verbotene Denkweisen. Du hast zu denken entsprechend der Theorie des Marxismus und des realen Sozialismus! Ich kann mich an diese Zeit erinnern, weil ich 1949 angefangen habe zu studieren und dieser extreme Nationalismus, der hier und da in Polen wieder aufwacht, erinnert mich sehr an diese Zeit. Mir schien es, dass diese Parolen nie wiederkämen, aber doch.

SPIEGEL ONLINE: Nach dem Regierungswechsel im November 2015 wurden in Polen viele Veränderungen im Bereich des öffentlichen Lebens eingeführt: das novellierte Mediengesetz, die Kontrolle der Internet-User, die versuchte Absetzung der Aufführung von Elfriede Jelineks "Der Tod und das Mädchen" in Breslau noch vor der Premiere. Wie reagiert die Kulturszene darauf?

Wajda : Alle derartigen Aktionen des Machtapparates treffen auf entschiedenen Widerstand der Kulturkreise und der polnischen Intelligenz. Gerade in dieser Sache gehen Zehntausende Polen auf die Straße. Sie wollen die Situation nicht akzeptieren. Zuletzt mit der Demonstration "Wir, das Volk", die an die berühmte Rede von Lech Walesa im amerikanischen Kongress anknüpfte, die mit den Worten "We, the people" begann. Diese Protestaktion fand in mehreren Städten statt. Allein in Warschau versammelten sich über 80.000 Menschen, um gegen die Diskreditierung von Walesa zu protestieren, einem großen und mutigen Menschen, der auch zum Fall der Berliner Mauer beigetragen hat. Aber es passieren auch lustige Dinge.

SPIEGEL ONLINE: Welche?

Wajda : Im Moment verursachen personelle Umbesetzungen in zwei der ältesten und wirtschaftlich führenden Araber-Gestüte Polens die größte Empörung. Im Eiltempo wurden dort die langjährigen Chefs ausgewechselt. Anstelle der bisherigen Fachleute kamen nun solche, die vor allem ihre Treue und Verbundenheit mit der regierenden Partei vorweisen. Und das erweckt in den Polen größeren Widerstand als andere Entscheidungen, die vielleicht stärker angefochten werden sollten.

SPIEGEL ONLINE: Sind diese Protestaktionen nicht vielleicht ein Ausdruck der Hilflosigkeit?

Wajda : Ich hoffe, dass sie schon bald eine politisch wirksamere Form bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Auch im Bereich des Films spricht man über neue patriotische und historische Produktionen, die am besten in Hollywood entstehen sollen, um den Ruhm der polnischen Heroen zu verkünden. Stellt das Ihre politischen Filme infrage?

Wajda : Nein, ich empfinde es als eine Kritik, die bisher in dieser Form noch nie an der polnischen Kinematografie geübt worden ist. Denn das polnische Kino der Nachkriegsjahre hatte nicht nur den Weg zum Bewusstsein und zu den Herzen des polnischen Publikums gefunden, sondern es hatte auch Ausstrahlung hinaus in die Welt. Kinematografie ist kein Industriezweig wie viele andere. Polnische Kinematografie als die Kunst des Kinos wird in polnischer Sprache verfasst und spiegelt eine Wirklichkeit, die nur in dieser Sprache gezeigt werden kann. Das bedeutet, dass wir viele Filme auf Polnisch über polnische Themen brauchen. Also, warum jetzt andere engagieren? Es gibt in Polen Künstler, Talente, Schauspieler, ein starkes cineastisches Potenzial. Wozu brauchen wir Hollywood? Filme "im Auftrag der Partei" hatten wir schon zu Zeiten der Volksrepublik Polen. Sie boten weder neue kunstimmanente Einblicke noch Entdeckungen oder gar Überraschungen. Immer, wenn die Macht nur ihre Interessen vertritt, wird die Kunst eingeschränkt.

SPIEGEL ONLINE: Die letzten Jahre brachten viel internationale Anerkennung für den polnischen Film. Der Silberne Bär 2015 für Malgorzata Szumowska für "Body/Cialo", der Silberne Bär 2016 für Tomasz Wasilewski für "United States of Love" und ein veritabler Siegeszug von "Ida" und Pawel Pawlikowski, gekrönt mit dem Oscar. Wie geht es jetzt weiter?

Wajda : Ich hoffe, dass das vor Jahren vom Parlament beschlossene Gesetz über die polnische Kinematografie weiterhin befolgt wird und dass die gute Zeit des polnischen Kinos andauern wird. Ich war überzeugt, dass wir nach Jahren schwieriger Erfahrungen endlich unseren Platz in Europa gefunden haben. Unser Beitritt zur Europäischen Union war ein wichtiger und richtiger Schritt. Und plötzlich hören wir nun, dass wir uns in eigenen Grenzen selbst regieren werden, am besten isolieren wir uns von allen anderen, weil uns sonst niemand versteht. "Powidoki" machte ich eigentlich als Film über die Vergangenheit. Sollte er heute aktuell wirken, wäre das ein großer Schlag gegenüber unseren Hoffnungen.

SPIEGEL ONLINE: Wäre jetzt nicht die logische Konsequenz für Sie, nach Ihrer Trilogie "Mann aus…" einen Film über einen "normalen" Menschen zu drehen?

Wajda : Ein normaler Mensch? Zuerst müsste man sich fragen - was ist normal in unserer Situation? Ist es normal, sich mit der aktuellen Realität abzufinden? Dann müsste man derartige Filme drehen. Oder zu sagen: Nein, wir sind nicht damit einverstanden, wir wollen es nicht und wir werden alles Mögliche tun, damit unsere Realität zu den europäischen Normen zurückkehrt.

SPIEGEL ONLINE: Über welches Geschenk zu Ihrem 90. Geburtstag würden Sie sich am meisten freuen?

Wajda : Ich wäre glücklich, noch eine solche Entwicklung der polnischen Demokratie erleben zu können, die mich zufriedenstellen würde!

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