Interview mit Billy Bob Thornton "Die Zuschauer werden immer dümmer"
SPIEGEL ONLINE:
Mr. Thornton, selten war eine Weihnachtskomödie so sarkastisch wie "Bad Santa". Teilen Sie diese bittere Sichtweise auf das Fest der Liebe?
Thornton: Nein, ich gehöre zur sentimentalen Sorte. Ich habe Kinder, wir feiern in unserem Haus, auf ganz traditionelle Weise. Und wenn ich mir etwas vom Weihnachtsmann wünschen könnte, dann wäre es Gesundheit und Sicherheit für meine Familie.
SPIEGEL ONLINE: Allerdings hat Ihnen "Bad Santa" Glück gebracht. Der Film wurde in den USA zum Überraschungshit. War das eine Kompensation für den Flop des Westerns "The Alamo"?
Thornton: Ich selbst habe für "The Alamo" einige der besten Kritiken meiner Karriere bekommen. So gesehen war die Erfahrung bittersüß. Aber was soll ich machen, wenn das Publikum in den USA keinen Geschichtsfilm sehen will? Die Zuschauer werden einfach immer dümmer. Das heißt, sie sind es eigentlich nicht. Aber sie werden von den Hollywood-Studios so behandelt, und letztlich degenerieren sie so, dass sie nur einen Haufen Actionszenen sehen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Aber wenn das Publikum so dumm ist, warum hatte dann ein durchaus hintersinniger Film wie "Bad Santa" Erfolg?
Thornton: Bei Komödien verhält es sich anders. Die Leute können über alles Mögliche lachen. "Bad Santa" hat Szenen, die den kleinsten gemeinsamen Nenner ansprechen. Wenn wir uns gegenseitig in die Eier hauen, dann lacht auch jemand mit einem IQ von 35 darüber. Aber gleichzeitig haben die Intellektuellen ihren Spaß.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie es nicht leid, ein Publikum mit niedrigen Erwartungen zu unterhalten?
Thornton: Zum Glück habe ich nicht so viele banale Filme gedreht. Mein Ziel ist es, Leute durch Kunst klüger zu machen. Und ein Film wie "Bad Santa" schafft das auch, denn er ist sehr subversiv. Die religiöse Rechte ist darüber garantiert nicht glücklich.
SPIEGEL ONLINE: Sind Hollywood-Filme denn Kunst?
Thornton: Jedes kreative Unterfangen ist Kunst. Das heißt noch nicht, dass es gut ist. In einem perfekten Universum sollte natürlich Kunst zur Entwicklung der Menschen beitragen. Zumindest sollte sie unterhalten.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt, alles kann Kunst sein - von Baywatch bis Beethoven.
Thornton: Richtig, allerdings gibt es verschiedene Ebenen von Kunst. Eine dumme Fernsehserie hat eine andere Wirkung als eine klassische Symphonie. Aber teilweise bestehen die Unterschiede nur zum Schein. Es gibt viele erfolgreiche Maler, deren Werke genauso von einem Schimpansen mit Pinsel geschaffen worden sein könnten. Da kleckst ein Typ eine rote Linie mit zwei schwarzen Punkten auf eine Leinwand, behauptet, das würde für das Universum stehen, und ein Haufen intellektueller Idioten mit ihren Capuccinos diskutiert fünf Stunden lang darüber. Mann, der Hundesohn hat nur Glück! Vom künstlerischen Standpunkt her ist ein Pokémon-Cartoon nicht schlechter.
SPIEGEL ONLINE: Fürs Filmemachen reicht aber ein Pinsel nicht. Da brauchen Sie auch noch eine Stange Geld.
Thornton: Und deshalb gehen so viele Filme schief. Denn die Geldgeber wollen Kunst in ein Produkt verwandeln. Und Kunst sollte nicht nur als Produkt existieren. So gibt es automatisch Konflikte zwischen Kreativität und Geschäft.
SPIEGEL ONLINE: Diese Konflikte haben Sie selbst als Regisseur ausgebadet. Ihr Film "All die schönen Pferde" wurde auf Geheiß von Miramax-Boss Harvey Weinstein um eineinhalb Stunden gekürzt.
Thornton: Ich kann seine Perspektive verstehen. Aber er hatte Unrecht. Der Film, den wir gemacht haben, war wirklich gut. Jeder, der ihn in seiner vollständigen Form gesehen hat, teilt diese Auffassung. Es war eine Geschichte über das Ende des Wilden Westens, wie die Romanvorlage von Cormac McCarthy. Aber Miramax vermarktete ihn als Liebesgeschichte zwischen hübschen jungen Leuten. Die Leute, die das Buch kannten, sahen ihn sich nicht an. Und diejenigen, die knackige Bettszenen sehen wollten, waren enttäuscht.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie deshalb seither nicht mehr Regie geführt?
Thornton: Das ist die direkte Folge davon.
SPIEGEL ONLINE: Keine Pläne für die Zukunft?
Thornton: Ich will es nicht ausschließen, aber ich muss die Situation vollkommen unter Kontrolle haben. Es ist schon hart genug, Schauspieler zu sein. Aber so ein Job dauert nur zwei Monate. Als Regisseur hast du zwei Jahre mit einem Film zu tun. Wenn man mich schon in den Arsch fickt, dann lieber mit einem Zahnstocher statt einem Vorschlaghammer.
SPIEGEL ONLINE: Wenn das Filmgeschäft so eine Qual ist, warum versuchen Sie es nicht mit einer anderen Kunstform? Als Musiker betätigen Sie sich ja schon. Sie könnten aber auch malen...
Thornton: Nein, das ist nicht so mein Fall. Aber eines Tages gehe ich in den Ruhestand und dann ziehe ich mich zurück nach Arizona oder Maine und schreibe einen Roman. Ich muss nur noch auf den Tag warten, bis ich zu alt bin, um auf meinen eigenen Beinen zu laufen. Das kann viel schneller passieren, als man denkt.
Das Interview führte Rüdiger Sturm