Interview mit Moritz Bleibtreu "Wir brauchen mehr Gefühl im Kino"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Bleibtreu, in "Solino" spielen Sie einen richtigen Taugenichts. Haben Sie sich selbst schon einmal so gefühlt?
Moritz Bleibtreu: Es gab Phasen, da zweifelte ich sehr stark, ob ich etwas kann oder ob mich jemand braucht. Das war während meiner Schauspielausbildung in New York. Ich kam mit dem "Method Acting", das dort unterrichtet wurde, nicht zurecht. Aber ich ließ meine Frustration nicht an anderen Leuten aus wie Giancarlo in "Solino". Stattdessen haute ich vor lauter Rage gegen die Wand und machte mir die Hand kaputt.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem glaubten Sie, dass das der richtige Beruf war?
Bleibtreu: Ich hatte nie eine andere Option im Kopf. Seit ich klein war, wollte ich Schauspieler werden. Es war wie eine Bestimmung. Deshalb ging es mir in Amerika wirklich mies.
SPIEGEL ONLINE: Wie bekamen Sie Ihre Selbstsicherheit wieder?
Bleibtreu: Ich kapierte, dass ich einfach einen anderen Arbeitsansatz habe. Und der hat genauso seine Berechtigung. Wenn ich eine Rolle spielen will, muss ich nicht in der eigenen Vergangenheit rumpopeln, um bestimmte Emotionen hervorzuholen. Es ist dem Zuschauer völlig egal, ob meine Tränen echt sind oder ob ich mir dafür Zwiebeln in die Augen reibe. Hauptsache, es wirkt auf ihn real. Dafür ist es nicht nötig, dass ich meinen Part lebe. Soll ich mir, wenn ich einen Drogensüchtigen spiele, Koks in die Nase jagen? Leben ist Leben, Spiel ist Spiel. Ich will auch am Ende des Drehtages nach Hause gehen können und sagen: Jetzt bin ich wieder der Moritz und schaue Fußball.
SPIEGEL ONLINE: Das geht aber nicht immer so einfach. Die Dreharbeiten zu "Luna Papa" in Zentralasien wurden zum großen Abenteuer. Am Schluss mussten Sie sich sogar eine Kakerlake aus dem Ohr entfernen lassen.
Bleibtreu: Trotzdem würde ich so etwas immer wieder machen. Du darfst dich nicht mit Sicherheitslösungen zufrieden geben, sondern musst dich auf solche Herausforderungen einlassen. Das ist überhaupt das Wichtigste für einen Schauspieler: Er muss sich die Hände schmutzig machen.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sich auch auf die Herausforderung Hollywood einlassen? Bei einem deutschen Star drängt sich ja eine solche Frage auf.
Bleibtreu: Aber es ist schade, dass sich solche Fragen aufdrängen. Das klingt immer so, als würden wir in Deutschland in der zweiten Liga spielen und jemand will wissen: Willst du zu einem Erstligaklub? Ich drehe jedenfalls lieber auf Deutsch. Denn meine Emotionen sind an stark an die Muttersprache gekoppelt. Diese enge Beziehung habe ich in keiner Fremdsprache, obwohl ich drei davon beherrsche.
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie nach dem US-Erfolg von "Lola rennt" Angebote aus Amerika?
Bleibtreu: Ja, aber da war nichts dabei, was mich interessiert hätte. Ich fände es schade, wenn alle Schauspieler aus Deutschland abwandern.
SPIEGEL ONLINE: Was kann ein Moritz Bleibtreu in der Branche bewirken?
Bleibtreu: Als Schauspieler bin ich immer nur ein Glied in der Kette. Aber gemeinsam können wir großartige Dinge auf die Beine stellen. Es gibt bei uns Regisseure, Schauspieler, Autoren von Weltklasse. Das Problem ist nur, dass meistens nicht die richtigen Leute zusammenkommen und etwas wuppen.
SPIEGEL ONLINE: Und was sollten sie wuppen?
Bleibtreu: Sie sollten Geschichten erzählen, die die Leute in diesem Land bewegen. Und wir brauchen mehr Gefühl im Kino. Das ist genau das, was Fatih Akin, der Regisseur von "Solino", schafft. Er setzt sich mit elementaren Dingen auseinander und inszeniert voll auf die Emotionen. Deshalb kommt an seinen Filmen niemand vorbei.
SPIEGEL ONLINE: Wirklich niemand?
Bleibtreu: Spießige Idioten mögen sie vielleicht kitschig finden. Dabei sind sie für die Deutschen richtig therapeutisch. Hier schaffen es ja die Männer nicht einmal mehr, sich in den Arm zu nehmen. Deshalb sage ich immer zu Fatih: Mach ruhig noch mehr Gefühl. Das tut den Leuten ganz gut.
Das Interview führten Julia und Rüdiger Sturm