Interview mit Wes Anderson "Very Wenders"
SPIEGEL ONLINE:
Mr. Anderson, in "Die Royal Tenenbaums" bekommt der heilige amerikanische Familienmythos ganz schön sein Fett weg. Sie glauben wohl nicht an die heile Familienwelt?
Wes Anderson: Als ich zehn war, griff eine regelrechte Scheidungswelle unter den Eltern meiner Freunde um sich. In den späten Siebzigern war das in den USA wie eine Epidemie. Und für Menschen, die als Scheidungskinder aufgewachsen sind, ist dies vielleicht eine der prägendsten Erfahrungen der Kindheit - das Ereignis, das alles veränderte.
SPIEGEL ONLINE: Sind Ihre eigenen Eltern noch verheiratet?
Anderson: Nein. Sie feiern jeden Samstag ihren Scheidungstermin.
SPIEGEL ONLINE: Die Tenenbaums sind sogar für europäische Verhältnisse ziemlich bizarr. Wer musste als Prototyp für Ihre Figuren hergehalten?
Anderson: Gwyneth Paltrows Figur basiert auf einer guten Freundin von mir. Danny Glovers Charakter ist eine Mischung aus meinem Vermieter und Kofi Annan. Bill Murray hat eine Menge mit dem Neurologen und Autor Oliver Sacks zu tun. Und den Familiennamen haben wir von unserem Freund Brian Tenenbaum geborgt, weil uns der Klang gefiel.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie in den USA eigentlich Beschimpfungen dafür kassiert, dass Sie Gwyneth Paltrow eine Zigarette nach der anderen rauchen lassen?
Anderson: Gwyneth hatte das Rauchen vor Beginn der Dreharbeiten gerade aufgegeben. Aber dafür, dass sie bereit war, ihre Gesundheit für meinen Film zu riskieren, sollte sie doch die Erlaubnis haben, zu machen, was sie möchte, oder?
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es Ihnen überhaupt gelungen, dieses illustre Ensemble zu versammeln?
Anderson: Den Part von Gene Hackman haben wir extra für ihn geschrieben. Dummerweise ist er jemand, der prinzipiell keine Rollen spielt, die für ihn geschrieben sind. Es hat mich eine Menge Briefe, viel Durchhaltevermögen und einige Jahre gekostet. Aber ich habe drauf bestanden, weil ich fand, dass er genau der Richtige war für diese Rolle. Und sein Agent fand das auch, was half.
SPIEGEL ONLINE: Und wer hat dann am Set wem gesagt, was zu tun ist?
Anderson: Gene Hackman hört nicht gern Anweisungen. Ich wusste das nicht, aber es wurde mir im Laufe des ersten Vormittags klar. Also vermied ich es. Nur musste ich ja trotzdem Regie führen. Es war nicht einfach. Gene Hackman ist nicht gern entspannt. Er schätzt Spannung und Reibungen. Ich vermute, er hat mal eine schlechte Erfahrung gemacht auf einem Set, auf dem er sich amüsierte. Bei uns beschränkte sich sein Spaß auf die Zeitspanne zwischen "Action" und "Cut".
SPIEGEL ONLINE: Nach "Rushmore" stehen hier erneut eine Handvoll geistiger Überflieger im Mittelpunkt. Woher stammt Ihre Faszination mit Genies?
Anderson: Das Konzept des Genies hat mich schon immer interessiert, obwohl es hier vor allem die Idee des Scheiterns war. Die Faszination mit Genies ist vielleicht eine typisch amerikanische Sache...
SPIEGEL ONLINE: Die Amerikaner behandeln Sie jedenfalls inzwischen als Filmgenie. Sehen Sie Ihre Oscar-Nominierung fürs "Tenenbaum"-Drehbuch als Bestätigung dafür?
Anderson: Nein, das wäre wohl das letzte, was ich über eine Oscar-Nominierung denken würde. Zumal, wenn man sich die Liste der Nominierungen anschaut...
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen, es ist eh kaum ein Film ohne Nominierung geblieben?
Anderson: Nun, man könnte es durchaus als schlechtes Zeichen auffassen, Mitglied dieser Liste zu sein.
SPIEGEL ONLINE: Sie scheinen ohnehin ein eher gebrochenes Verhältnis zur Filmindustrie zu haben. Welches Medium hat Sie geprägt?
Anderson: Ich bin vor allem durch Bücher geprägt. Wobei - wenn man es mir erlaubt hätte, wäre es das Fernsehen gewesen. Ich hätte am liebsten den ganzen Tag ferngesehen. Aber wenn man mit 12 oder 13 ein Buch liest, wird man derart in die Welt zwischen den Seiten gezogen, dass man sich kaum wieder entziehen kann. So etwas kann kein Film bewerkstelligen.
SPIEGEL ONLINE: Siedeln Sie die Tenenbaums deshalb in einer Art Bilderbuch-New-York an?
Anderson: Dieses New York ist so entstanden: Ich bin in Texas aufgewachsen, habe Magazine wie den "New Yorker" und Geschichten von J.D. Salinger und F. Scott Fitzgerald gelesen und Woody-Allen-Filme geguckt. So habe ich New York aus der Ferne wahrgenommen. Als ich schließlich dort hinzog, versuchte ich mir New York so zu machen, wie ich es mir vorgestellt hatte.
SPIEGEL ONLINE: Wer hat Sie in puncto Regie beeinflusst?
Anderson: Unter anderem Wim Wenders. Ich habe, als ich noch Kurzfilme drehte, ziemlich damit gekämpft, alles in etwas schnellere Bewegung zu bringen. Manchmal war es so langsam, dass das beinahe destruktive Auswirkungen hatte. Very Wenders also.
SPIEGEL ONLINE: Nach Hollywood-Standards sind Sie jetzt mit zwei Filmen, die jeweils das Doppelte ihres Budgets einspielten, ein erfolgreicher Filmemacher. Gibt es bereits Versuche, Sie zu vereinnahmen?
Anderson: Meine Vorbilder in dieser Hinsicht sind die Coen-Brüder. Sie haben von Anfang an ihre eigenen Filme geschrieben und tun das heute noch. Die zwei sind ein gutes Vorbild für alle, die ihre persönlichen Geschichten auf die Leinwand bringen wollen. Wenn die Coen-Brüder eines Tages einen großen Hollywood-Auftragsfilm drehen, dann werde ich es ebenfalls erwägen.
Das Interview führte Nina Rehfeld