Iran auf der Berlinale "Wohl dosierte Propaganda"
Kia Kiarostami ist empört: Er schlägt mit der Hand auf den Tisch und ruft mit lauter, erregter Stimme: "Dieses Jahr boykottiere ich die Berlinale." Der in Berlin lebende Exiliraner ist selbst Filmemacher und schon von Berufs wegen ein großer Kino-Fan. Bislang war er auch ein Stammbesucher des renommierten deutschen Filmfestivals, doch die 56. Berlinale versetzt Kiarostami in unbändige Wut. Auf den ersten Blick wirkt das abwegig, denn während es in den letzten Jahren kaum Filmbeiträge aus Iran gab, sind diesmal gleich sechs iranische Produktionen im Programm der Berlinale. Die Filme "Offside" von Jafar Panahi und "Ein bisschen höher" von Mehdi Jafari laufen sogar im Wettbewerb.
Doch für Kiarostami ist das "ein Alptraum". Der heute 43-Jährige flüchtete noch kurz vor der Machtergreifung von Ajatollah Chomeini 1979 nach Deutschland. Viele seiner Familienmitglieder leben noch heute in Iran. Die Politik des aktuellen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bezeichnet er als faschistoid. "In Iran lebende regimekritische Künstler werden politisch verfolgt, landen im Gefängnis oder werden ermordet. Unbehelligt können nur Künstler und Intellektuelle arbeiten, die sich in irgendeiner Weise mit dem Regime arrangieren", sagt Kiarostami.
Auch andere Exiliraner teilen diese Meinung. Arman Nadjm - ein in Deutschland lebender iranischer Regisseur und Dramaturg - erklärt: "Um in Iran einen Film drehen zu können, muss zunächst das islamische Kulturministerium zustimmen." Die genehmigten Kinoproduktionen würden zudem allesamt mit staatlichen Fördermitteln unterstützt. Finanzielle Hilfe erhielten natürlich nur diejenigen, "die den Vorgaben des iranischen Kulturministeriums entsprechen". Die Filmemacher im Exil werfen ihren Kollegen im Heimatland deshalb vor "insgeheim hinter der Politik der iranischen Führung zu stehen".
Kulturelle Bühne für Iran
Der Berlinale werfen die Exilanten folglich vor, Ahmadinedschad eine kulturelle Bühne für seine Propaganda zu bieten. Der "Club der iranisch-europäischen Filmemacher" hat deshalb einen offenen Brief an Festivalleiter Dieter Kosslick geschrieben: "Mit der Präsentation dieser Filme unterstützen Sie unfreiwillig ein faschistisches Regime, das nach fast drei Jahrzehnten Terror und schweren Menschenrechtsverletzungen im Lande mit atomaren Drohungen und antisemitischer wie antiisraelischer Haltung die Welt zu bedrohen versucht", heißt es darin.
Die Berlinale-Macher weisen diese massiven Vorwürfe jedoch vehement zurück. Dass ausgerechnet dieses Jahr so viele Iran-Filme zu sehen sind, habe ausschließlich organisatorische Gründe. In den Vorjahren hätte zeitgleich zur Berlinale das "Nationale Iranische Filmfestival" stattgefunden, erklärt Berlinale-Sprecherin Frauke Greiner. "Bislang hat es auch noch keine so festen Kontakte zur iranischen Filmszene gegeben", ergänzt Festival-Manager Johannes Wachs gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Falsch sei aber vor allem der Vorwurf, dass in Berlin nur Beiträge zu sehen seien, die von der iranischen Regierung gefördert wurden. "Keiner der gezeigten Filme ist nach unserem Wissen mit staatlichen Geldern finanziert wurden. Es gibt keine Belege dafür", sagt Wachs. Wie alle anderen Festival-Beiträge seien die Filme nach künstlerischen Kriterien ausgewählt worden. Propagandafilme oder regimetreue Filme seien es nicht. Im Gegenteil: Die iranischen Beiträge handelten von Problemen und den wahren gesellschaftlichen Verhältnissen im Land.
Tabuthemen werden angeschnitten
Tatsächlich thematisiert etwa der Wettbewerbsbeitrag "Offside" den Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben. Erzählt wird die Geschichte eines fußballbegeisterten Mädchens, das sich als Junge verkleiden muss, um ins Stadion zu gelangen. Noch vor dem Spiel fliegt an einem Kontrollpunkt ihre Maskerade auf. Das Mädchen wird gemeinsam mit anderen Frauen an den Stadionrand gebracht, von Wachsoldaten schikaniert und letztlich der Sittenpolizei übergeben. Die Komödie von Regisseur Jafar Panahi zeigt jedoch, dass die jungen Frauen dennoch nicht aufgeben und allerhand Tricks auf Lager haben, um doch noch das Fußballspiel sehen zu können.
In "Another Morning" von Nasser Refaie werden für den Hauptdarsteller Kamali nach dem Tod seiner Frau viele alltägliche Dinge zum Problem. Der Witwer spricht kein Wort mehr und erstarrt emotional - wie auch seine Umgebung. Nasser Refaie reflektiert die Lähmung des Landes und zeigt durch die Augen des Hauptdarstellers junge Männer, die Drogen verkaufen, oppositionelle Jugendliche, die von der Polizei gejagt werden, und dass durch die politische Zensur immer weniger Zeitungen auf der Straße verkauft werden. Auch Themen wie Taschendiebstahl oder Ehebruch werden angeschnitten.
Den Oppositionellen und Exilanten ist das alles allerdings zu seicht, zu angepasst, zu wenig kritisch. "Es sind regimekonforme Filme", beharrt Kiarostami und sagt weiter: "Da wird ein bisschen Sozialkritik erlaubt - allein schon, damit die Filme überhaupt für ausländisches Publikum interessant sind." Arman Nadjm fügt hinzu: "Das ist alles eine wohl dosierte Propaganda, um der Welt zu zeigen, seht her, so schlimm ist es doch gar nicht." Die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse wie Morde, Gefängnisse und Menschenrechtsverletzungen würden nicht gezeigt.
Berlinale-Manager Wachs hält dagegen: "Die Themen, die in den Filmen problematisiert werden, sind nicht dazu geeignet, dem Westen ein positives Bild Irans zu zeigen." Und weiter: "Es ist nicht zu erkennen, dass die Filme einen propagandistischen Zweck erfüllen. Und wenn, dann wäre das eine Propaganda um drei Ecken."
"Es ist eine Riesenwerbung"
"Iran ist politisch isoliert und versucht sich über kulturelle Beziehungen international auf den Beinen zu halten", entgegnet Kiarostami. Die Erfolge iranischer Filme auf Festivals in Cannes, Locarno, Venedig oder Berlin sei für die Regierung und die Regisseure ein "weltweit lukratives Geschäft". Zudem würden die internationalen Festivals auch im Inland zur Propaganda benutzt. "Es ist eine Riesenwerbung. In der iranischen Presse lautet der Tenor: Zwar meckert der Westen über uns, aber seht her, auf der Berlinale werden unsere Filme gelobt und gefeiert. Wir haben eine große Kultur, die der Westen bewundert."
Kia Kiarostami glaubt, ein guter Kenner der iranischen Filmszene zu sein. Sein Cousin ist einer der international bekanntesten Regisseure des Landes, Abbas Kiarostami ("Der Geschmack der Kirsche"). Nach Ansicht des Exilanten beziehen die Filmemacher in Iran nicht deutlich genug Position. Stattdessen würden sie zeitweise auch mit dem Regime kooperieren und Werbefilme oder Präsidentschaftsfilme drehen. Von den auf der Berlinale präsenten Regisseuren arbeiten laut Kiarostami einige fürs iranische Fernsehen. Mit massiven und langfristigen Verboten in Iran war bislang offenbar keiner der Künstler konfrontiert. Bekannt ist allerdings, dass ein Kurzfilm von Maziar Miri, der auf der Berlinale mit dem Beitrag "Gradually" präsent ist, bis heute nicht in Iran gezeigt werden darf.
Berlinale-Manager Wachs verweist darauf, dass in der Vergangenheit auch in anderen politisch repressiven Staaten wie China viele künstlerisch wertvolle Filme entstanden. Und dabei handele es sich nicht nur um regimetreue Filme. "Man lernt ja, mit der Zensur umzugehen", so Wachs. Die Kritik der Exiliraner hält er für "eine Minderheitenmeinung". Seit Jahren seien etliche iranische Regisseure künstlerisch weltweit erfolgreich. "So blind kann die Filmbranche nicht sein, um nicht zu erkennen, wenn es sich um Propagandafilme handeln würde."
Wachs räumt ein, dass die Situation der im Exil lebenden Filmemacher wie Kia Kiarostami oder Arman Nadjm nicht einfach ist. "Es ist verständlich, dass man aus deren Sicht vielleicht einen Fehler gemacht hat." Durch die Eskalation der aktuellen politischen Situation sei auch die Aufmerksamkeit für Kunst und Kultur aus Iran höher. Deshalb verstehe Wachs, wenn Exilkünstler diese Situation nutzten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
Kiarostami, Arman und andere Oppositionelle besänftigt nicht: "Die Berlinale hat selbst einen politischen Anspruch. Auch wenn man das beste Filmprodukt in den Händen hält, muss man einem diktatorischen Regime wie Iran die Grenzen zeigen." Sie fordern auch weiterhin von den Festival-Machern, angesichts der heutigen Situation in Iran genauer hinzuschauen.