Boxer-Drama "Southpaw" Wie ein blöder Stier

Boxer-Drama "Southpaw": Wie ein blöder Stier
Foto: TobisEs gibt eine wirklich gute Szene in "Southpaw": Billy Hope erwacht am Morgen nach seinem letzten großen Fight im großzügigen Bett seiner Villa am Rande New Yorks. Am Vorabend hat er gelitten und geblutet für einen weiteren hart errungenen Sieg, der ihm und seiner kleinen Familie das Leben im Luxus ermöglicht.
Der Preis dafür sind Schmerzen, und Jake Gyllenhaal, der den Boxer in Antoine Fuquas Kämpfer-Drama spielt, lässt uns, die Zuschauer, mit einer feinnervigen Darstellung spüren, was diese Schmerzen bedeuten, als er sich behutsam aus den Laken schält: Jeder Knochen, jede Muskelfaser protestiert.
Gyllenhaal simuliert diese Schmerzen nicht nur, vermutlich hat er sie wirklich empfunden. Für die Rolle trainierte sich der US-Schauspieler 15 Pfund Masse an, schindete und quälte seinen Körper im Studio und im Boxring, bis er sich in die sehnige, grotesk muskulöse Kampfmaschine verwandeln konnte - ein Standard des sogenannten Method Acting, den vor Gyllenhaal auch schon andere Schauspieler bravourös absolvierten. Dennoch verlangt allein die körperliche Transformation Respekt.

Boxer-Film "Southpaw": Kampfmaschine Gyllenhaal
Der 34-Jährige ist gerade dabei, sich neu zu erfinden und hat aktuell eine beeindruckende Serie hervorragender Rollen hinter sich: Zwei düstere Polizistenfiguren in "End of Watch" und "Prisoners", ein kafkaesker Charakter in "Enemy" und zuletzt den pervertierten Medien-Entrepreneur Louis Bloom in "Nightcrawler". Eine Oscar-Nominierung gab es für diesen erstaunlichen Lauf bisher noch nicht, Gyllenhaals letzte Würdigung der Academy stammt von 2006, als er gemeinsam mit Heath Ledger in "Brokeback Mountain" ein schwules Cowboy-Pärchen gab.
Vorbild Robert De Niro
Was also läge karrierestrategisch näher, als mit der dramatischen Physis eines Boxers zu spielen, um Hollywoods höchste Ehren zu erlangen? Eindrucksvoll zerbeulte und vielfach für Preise nominierte Vorbilder wie Wallace Beery, Paul Newman, Sylvester Stallone, Denzel Washington und Hilary Swank sind Legende. Und natürlich schwebt über allen immer Robert De Niro, der 1980 den Oscar als bester Hauptdarsteller für seine eindrucksvolle Darstellung des italienischen Fighters Jake La Motta in Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" gewann.
Tatsächlich stehen die Chancen gar nicht schlecht, dass Gyllenhaal im kommenden Februar eine Oscar-Statue bekommt, aber wenn, dann nur, weil er nach so vielen guten Leistungen einfach "dran" ist und die Academy gerne Versäumnisse nachholt, indem sie Schauspieler für eigentlich schwächere Rollen in schwachen Filmen auszeichnet.
Denn so gut die Figur auch ist, die Gyllenhaal als Halbschwergewicht in "Southpaw" macht, so dick trägt er sie auf - und so dünn ist die Geschichte, die um ihn herum erzählt wird.
Billy Hope ist ein Simpel, aufgewachsen in einem Waisenhaus, wo er auch die Liebe seines Lebens kennenlernte, Ehefrau Maureen, brillant gespielt von Rachel McAdams. Sie mahnt ihren im Ring schon halb zum Idioten geprügelten Gatten, seine Karriere zu beenden, um das Leben mit ihr und der kleinen Tochter Leila (Oona Laurence) zu genießen, bevor er irreparabel verletzt wird.
Denn Billy, die "große Hoffnung", ist ein Boxer, der lange einsteckt und den Gegner mit Ausdauer mürbe macht, bevor er in einem letzten Kraftakt zum K.o. ansetzt. Gyllenhaal spielt diesen gutmütigen Grobian gut und anrührend, aber auch - stammelnd, um kompliziertere Formulierungen ringend und bei Leilas Hausaufgaben versagend - hart an der Grenze zur Denunziation.
Symbolik auf den Arm tätowiert
Es hätte einen starken Regisseur und ein sehr gutes Drehbuch gebraucht, um dieses Berserkertum in die richtige Balance zu bringen, doch Action-Leichtgewicht Antoine Fuqua ("Training Day") ist kein Scorsese, und Autor Kurt Sutter ("Sons Of Anarchy") im Spielfilmgewerbe ein Novize.
Anders als in "Wie ein wilder Stier", "Rocky" oder "The Hurricane", wo es auf höherer Ebene auch um Immigrantenschicksale, den American Dream und Rassenkonflikte geht, dreht sich die "Southpaw"-Story erschreckend klischeehaft um sich selbst: Durch ein Missgeschick, verschuldet von Hopes großmäuligem Konkurrenten Miguel Escobar (Miguel Gomez), kommt Maureen ums Leben. Billy, seiner emotionalen und intellektuellen Stütze beraubt, gerät außer Kontrolle und verliert alles: erst das Auto, dann die Villa und schließlich die Tochter ans Sozialamt. Auch sein verschlagener Manager (Curtis "50 Cent" Jackson) lässt ihn hängen.
Mithilfe eines verschrobenen Hinterhoftrainers (Forest Whitaker), dessen Boxstudio-Klos er schrubben muss, arbeitet sich Billy schließlich wieder ins Leben und in den Ring zurück. Die Pseudo-Symbolik dieses vorhersehbaren Erlösungsplots plakatiert Fuqua auf dem Körper seiner Hauptfigur, die dusseligerweise auch noch "Hope", Hoffnung, heißt: "Fighter" und "Father" prangt auf den Armen Billys, der als Weißer und Rechtsausleger ("Southpaw") natürlich ein krasser Außenseiter im Gewerbe ist, der klassische Underdog.
Es ist den guten Darstellern, Gyllenhaal inklusive, zu verdanken, dass diese im Kino dutzendfach erzählte Story, leidlich Punch entwickelt. Fuqua, selbst ehemaliger Boxer, schafft es immerhin, die Kampfszenen flüssig in Szene zu setzen. Für ein Mindestmaß an Dramatik sorgen auch ein säuselnder Streicher-Score (der letzte des verstorbenen James Horner) sowie ein paar druckvolle HipHop-Beats von Soundtrack-Produzent Eminem.
Der Rest hängt schlaff in den Seilen, bereit zum Anzählen.
Sehen Sie hier den Trailer zu "Southpaw":
USA 2015
Regie: Antoine Fuqua
Drehbuch: Kurt Sutter
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rachel McAdams, Forest Whitaker, Curtis Jackson, Oona Laurence, Naomi Harris
Produktion: Escape Artists, Fuqua Films, Riche Productions
Verleih: Tobis
Länge: 125 Minuten
FSK: Ab 12
Start: 20. August 2015