Japanisches Horrorkino Grauen in der Endlosschleife
Willkommen zum Kulturaustausch des Grauens: Nach "The Ring" (2002) testet mit "The Grudge - Der Fluch" nun das zweite, überaus erfolgreiche US-Remake eines japanischen Horrorfilms die Pulsfrequenz westlicher Angsthasen. Regisseur Takashi Shimizu selbst durfte sein Original "Ju-On - The Grudge" für Hollywoods globales Publikum adaptieren, und unter dem neugefundenen Label "J-Horror" schickt sich eine junge Generation japanischer Filmemacher an, das internationale Genrekino zu revolutionieren.
Durch die massenkompatiblen US-Versionen gelangt die neue Welle asiatischer Horrorfilme aus den elitären Zirkeln der Fan- und Festivalkultur auf den Weltmarkt, wo die entfachte Begeisterung für die innovativen Import-Schocker noch Ende dieses Monats mit "The Ring Two" weiter geschürt werden soll.
Grenzenloser Horror
Wurde "The Ring" noch vom US-Amerikaner Gore Verbinski ("Fluch der Karibik") inszeniert, gerät Naomi Watts diesmal unter der Regie von Hideo Nakata erneut in den Bann des todbringenden Videobands, das seine Betrachter nach sieben Tagen unter schrecklichsten Begleitumständen dahinrafft. Nakata wiederum drehte 1998 auf Grundlage der populären Romanreihe von Kôji Suzuki das bahnbrechende Original "Ringu" und schuf damit ein popkulturelles Monstrum, dem im Heimatland weitere Filme, zahlreiche Manga-Reihen und eine Fernsehserie folgten.
Als inoffizieller Doyen des "J-Horrors" hat Nakata dem jüngeren japanischen Horrorfilm erstmals zu internationaler Bekanntheit verholfen. Auch Nakatas düsterer Apartmenthaus-Grusel "Dark Water" (2002) soll in Bälde ein US-Update erhalten, und tatsächlich lassen sich in den Filmen des 1961 geborenen Klassikliebhabers ebenso die Merkmale der asiatischen "Ghost Stories" erkennen wie die wesentlichen Unterschiede zum US-amerikanischen Horrorgenre.
Zumeist spielen Hollywoods Schocker an der festgeschriebenen Grenze zwischen dem bedrohlichen Übernatürlichen und einer Naturgesetzen folgenden, per se schützenswerten Normalität. Konservative Familienwerte und ein auf das Christentum zentrierter Monotheismus speisen hier die Furcht vor dem Unbekannten. Eine Verletzung der ideologischen Demarkationslinie zieht in der Regel viel Blut, Geschrei sowie die kathartische Überwältigung des Fremden - das fast immer auch das manifeste Böse ist - nach sich: Das Monster stirbt, die symbolische Ordnung wird wiederhergestellt.
Im Gegensatz dazu findet das japanische Horrorkino seine Erdung in der jahrhundertealten Tradition der Geistergeschichten, etwa aus der Heian- oder Edo-Periode. So gehören übernatürliche Erscheinungen zum dramatischen Personal in den historischen Spielformen des Kabuki und Yose, und nicht zuletzt die landeseigene Shinto-Religion nährt den Glauben an eine spektrale Präsenz der Verstorbenen - mit guten oder schlechten Absichten. Die Grenze zwischen Dies- und Jenseits ist diesem Verständnis nach durchlässig; in einer schon immer von Geistern besiedelten Welt kann es nicht um Ausgrenzung, sondern nur um Koexistenz gehen.
Schrecken ohne Grenzen
Dort wo dieses Nebeneinander nicht funktioniert und die Sphären kollidieren, entsteht im "J-Horror" das Grauen. Der Reiz liegt dabei oft im Kontrast zwischen atavistischem Geisterglauben und dem hochtechnisierten Alltag der modernen japanischen Gesellschaft. Der Ring-Zyklus zeigt die drastischen Konsequenzen, wenn rachsüchtige Geister in den Maschinen hausen: Über die verstörenden Bilder eines dämonischen Videobands wird der Schrecken ad infinitum reproduziert.
Kiyoshi Kurosawas bestechender Thriller "Kaïro" (2001) - auch unter dem Titel "Pulse" bekannt - variierte das Thema vom todbringenden Kommunikationsfluss durch die Idee einer kryptischen Website, die nach und nach alle User ums Leben bringt. Noch eindringlicher als "Ringu" spielt Kurosawa dabei auf die zunehmende Isolation des Einzelnen innerhalb einer vermeintlich vernetzten Gesellschaft an und zeichnet ein desillusionierendes Bild der Vereinsamung inmitten eines globalen Dorfs.
So wie "Kaïro" liefern auch viele andere Werke im "J-Horror"-Kanon einen bitteren Kommentar zum Japan nach dem Wirtschaftsboom. Filme wie "Suicide Circle" (2002) von Sion Sono oder Kinji Fukasakus "Battle Royale" (2002) sind ebenso blutgetränkte wie brillante Gesellschaftssatiren, deren explizite Schauwerte für internationales Aufsehen sorgen, deren subtile Kritik an den Verhältnissen im Westen jedoch kaum registriert werden: Häufig ist das subversive politische Potential des japanischen Horrorkinos buchstäblich "Lost in Translation".
Ortsfremd im Geisterland
Derartige Übersetzungsschwierigkeiten sind bei "The Grudge" jedoch vernachlässigenswert, lässt sich sein papierwanddünner Plot doch problemlos in ein paar Texttafeln im Vorspann zusammenfassen. Das Remake ist ein virtuoses Best-Of der neuen japanischen Horrorstandards, und was dem Film an epischem Erzählatem fehlt, macht er durch eine kunstvoll fragmentierte Erzählstruktur sowie die unnachgiebige Terrorisierung seines Publikums wett. "Spider Man"-Regisseur Sam Raimi, seit seiner "Evil Dead"-Trilogie visionärer und geschäftstüchtiger Verfechter des bildgewaltigen Schocks, hat mit seinem langjährigen Partner Rob Tapert die auf Horror gemünzte Produktionsfirma "Ghost House Pictures" gegründet und ließ Takashi Shimizu bei der Neuverfilmung seines Hits weitestgehend freie Hand.
Klugerweise verzichtet "The Grudge" auf eine Verlagerung des Schauplatzes, weshalb ein in trüben Farbtönen gehaltenes Tokio zum Lokus grauenhafter Ereignisse wird. Opfer sind zumeist ortsfremde Amerikaner, angeführt von "Buffy the Vampire Slayer"-Star Sarah Michelle Gellar. Als freiwillige Krankenhelferin Karen gelangt sie in ein unscheinbares Einfamilienhaus, doch statt hilfsbedürftiger Patienten warten dort nur die schlechtgelaunten Seelen gewaltsam umgekommener Vorbewohner, die all jene heimsuchen, die ihre Kreise stören.
Karens verzweifelte Suche nach dem Ursprung des Fluchs durchsetzt Shimizu mit Rückblenden, die das schreckliche Ausmaß des Spuks enthüllen. Nahezu jede der atmosphärisch dichten Sequenzen kulminiert im Ableben einer weiteren unglücklichen Figur und dem Beinahe-Herzstillstand des Zuschauers. Die unerbittliche und letztlich fatalistische Nummernrevue der Furchtbarkeiten fährt so ziemlich alles auf, was der japanische Genrefundus zu bieten hat: den rachsüchtigen weiblichen Geist mit den obligatorischen langen schwarzen Haaren, kreidebleiche Kinder mit Tierstimmen und sogar einen menschenfressenden Futon.
Der effektive Terror auf der Tonspur tut sein übriges, und so zerrt "The Grudge" so heftig an allen Nervenenden, dass sich nach 90 Minuten ein physisch gebeuteltes Publikum aus dem Saal schleppt. Die hochgetunte Geisterbahn erlaubt keine Pausen, weshalb auf und vor der Leinwand nur ein Motto gilt: Augen zu und durch.
Das Fremde nicht mehr fürchten
"Die unablässige Abfolge der Schocks lässt dabei leicht übersehen, dass der Film mit seinem markstrategisch verständlichen, ideologisch aber zwiespältigen Kunstgriff der amerikanischen Besetzung die Identifikation des Fremden als Ursprung allen Übels zulässt: Zwar gibt es mit dem stoischen Polizisten Nakagawa (gespielt vom in Japan überaus populären Darsteller Ryo Ishibashi) einen durchaus positiv besetzten einheimischen Protagonisten, doch das Schicksal der dahingerafften westlichen Figuren gemahnt bisweilen an das Lamento von Pauschaltouristen: In Mexiko sind es übergroße Kakerlaken, in Japan renitente Geister, die ihnen deutlich machen, dass sie nicht mehr in Kansas sind.
Aus der Perspektive der US-Opfer verschmelzen die unverstandene Kultur und der haarsträubende Spuk erneut in einer indifferenten Furcht vor dem Anderen. Doch es gibt Hoffnung: Das jüngere Publikum - welches zumindest in den USA dank der zumeist unblutigen Schocks zur relevanten Zielgruppe gehört - ist durch Manga, Anime und Computerspiele mit japanischen Erzählformen sozialisiert. Und auch das Thema der Entfremdung im medialen Zeitalter ist längst ihr eigenes geworden: Für sie ist der "J-Horror" ein vertrauter Geist, der sich in die alte Maschine Kino geflüchtet hat.