Thriller "Take Shelter" Wir müssen alle sterben! Oder nicht?

In Jeff Nichols' hochspannendem Paranoia-Drama "Take Shelter" versucht ein netter amerikanischer Familienvater, seine Liebsten vor einer Apokalypse zu schützen, die nur er kommen sieht. Und die vielleicht doch ganz nah ist.
Thriller "Take Shelter": Wir müssen alle sterben! Oder nicht?

Thriller "Take Shelter": Wir müssen alle sterben! Oder nicht?

Foto: Ascot Elite Filmverleih

Curtis ist in etwa der Amerikaner, den sich die westliche Welt als guten Durchschnittsamerikaner vorstellt. Er lebt in einem kleinen Ort im ländlichen Ohio, wo die Zeiten schwer sind, die Menschen sich aber weigern, daran zu verzweifeln. Er arbeitet hart und viel auf einer Baustelle, und er tut es, um seiner Familie das bestmögliche Leben zu garantieren.

Er liebt seine Frau, eine rothaarige Schönheit, die ihm Wärme schenkt, ohne ihr eigenes Leben zu vergessen. Und er vergöttert seine kleine Tochter, die nicht hören kann, aber trotzdem die gleichen Möglichkeiten haben soll wie alle anderen auch. Ehrliche, liebenswerte Menschen aus einem amerikanischen Traum.

Doch in den mischen sich für Curtis (Michael Shannon) auf einmal Alpträume. Tags und nachts suchen ihn merkwürdige Visionen heim: Dunkle Wolken verschlucken den Horizont, ölig braune Tropfen spucken sie aus. Der gutmütige Familienhund wird zur Bestie. Ein Sturm kündigt sich an, das sieht Curtis genau, und er wird groß sein. So groß, dass er alles mit sich reißen wird.

Persönliche oder echte Apokalypse?

Der Mann ist kein Esoteriker, er will sich selbst nicht glauben. Er fürchtet, dass die Träume die Vorboten jener Wahnvorstellungen sind, die schon seine Mutter (Kathy Baker) in eine psychiatrische Anstalt trieben und die Familie zerstörten - Geisteskrankheit, die persönliche Apokalypse.

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Thriller "Take Shelter": Ein Sturm wird kommen

Foto: Ascot Elite Filmverleih

Aber was, wenn doch die echte kommt, wenn die Visionen stimmen? Letztlich gilt für ihn: Wenn nur die kleinste Gefahr für seine Familie besteht, dann hat er die Pflicht, sie zu beschützen, mit allen Mitteln. Zum großen Unverständnis von Frau und Kind baut er einen Zwinger für den Hund, der nie auch nur ein Zeichen von Aggression hat ahnen lassen. Und dann beginnt er einen Bunker im Garten zu bauen, mit wachsendem Fanatismus, so dass er bald seinen Job in Gefahr bringt und damit auch die Sicherheit der Familie, die ihm doch das Wichtigste ist. Aber er kann nicht anders. Der Bunker muss für die schlimmste Katastrophe gerüstet werden. Und wenn die nur darin liegt, dass bald nicht nur er, sondern auch alle anderen glauben, dass er verrückt wird.

"Take Shelter" von Jeff Nichols ist ein Film über eine tiefe Paranoia, und wie gut er ist, zeigt er schon daran, dass er sein Publikum genauso paranoid macht wie seine Hauptfigur. Bis zum Ende bleibt ungewiss, ob man gerade einen Endzeit-Thriller oder ein Psychodrama sieht. Die Bilder der Todesvisionen, des aufziehenden Sturms, haben eine Größe und Kraft, die man aus dem Hollywood-Popcorn-Kino kennt. Doch die innere Katastrophe eines Mannes vor dem Zusammenbruch entfaltet sich mit der Ruhe und Nachdenklichkeit eines Arthouse-Dramas.

Dass beides hier Hand in Hand geht, verdankt der Film vor allem Hauptdarsteller Michael Shannon, mit dem Regisseur Nichols schon seinen ersten Spielfilm "Shotgun Stories" realisiert hat und der sich mit Rollen in Filmen wie "Bug" oder der Serie "Boardwalk Empire" zu Hollywoods liebstem Charakterdarsteller entwickelt hat. Ein großer Mann mit einem ungewöhnlichen, ausdrucksstarken Gesicht und stechenden Augen, mit denen er gleichzeitig ein bohrendes Gefühl der Unruhe und tiefe Entschlossenheit vermitteln kann. Er zieht einen in "Take Shelter" sofort auf seine Seite als treu sorgender Vater und Ehemann, um einen später auch mit in den Strudel aus Panik und Verzweiflung zu reißen. Man weiß irgendwann nicht mehr, ob man Angst um Curtis haben soll oder vor ihm.

"Take Shelter" sammelt seit Monaten auf allen möglichen Filmfestivals einen Preis nach dem anderen ein, ob in Cannes, Zürich, Gijón oder Hamburg. Das dürfte auch daran liegen, dass der Film so perfekt in unsere Zeit passt - es ist leicht, ihn als amerikanische Metapher zu lesen für ein tief verunsichertes Land, in dem Propheten wie Glenn Beck vor dem baldigen Untergang warnen und Paranoia vor dem Ungewissen schüren, während andere genau diese Paranoia für die eigentliche Gefahr halten.

Das kann man so sehen. Man kann "Take Shelter" aber auch einfach verdammt spannend finden.


Take Shelter. Start: 22.3. Regie: Jeff Nichols. Mit Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart.

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