Jerry Lewis zum 80. Für immer dreizehn

Jerry Lewis wird zu Unrecht auf die ewige Albernheit einer unsichtbaren Schreibmaschine reduziert: Der Komiker und Filmemacher, der heute 80 Jahre alt wird, beeinflusste mit seiner Slapstick-Kunst Generationen von Comedy-Stars. Die Trennung von Partner Dean Martin verwand er jedoch nie.

Wie oft bei ereignisreichen Biografien sind es gleich zwei Jubiläen, die Jerry Lewis in diesem Jahr begehen kann. Die Frage ist nur, welches der beiden Daten den größeren Stellenwert hat. Da wäre zum einen natürlich der heutige 80. Geburtstag von Lewis, der am 16. März 1926 als Joseph Levitch in Newark, New Jersey zur Welt kam. Ohne Zweifel ein Anlass zum Feiern, doch mindestens ebenso wichtig dürfte ihm der 25. Juli 1946 sein, welcher sich im Sommer zum 60. Mal jährt: An diesem Tag stand der unbekannte Varietékomiker Jerry Lewis das erste Mal gemeinsam mit seinem neuen Partner, dem mäßig erfolgreichen Nachtclubsänger Dean Martin auf der Bühne. Es war nichts Geringeres als die Geburtsstunde des grandiosesten Unterhaltungsgespanns der Nachkriegszeit.

Bereits im Alter von fünf Jahren war Jerry seinen Eltern Rae und Danny Lewis auf die Kleinkunstbühnen der Ostküste gefolgt. Doch verglichen mit dem beschaulichen Tingeltangel dieser Familientheater war die Paarung von Lewis und Martin ein unberechenbarer Entertainment-Urknall. Ihr improvisierter Irrwitz aus Slapstick, plötzlichen Songeinlagen und absurden Wortkaskaden machte das Duo binnen kürzester Zeit zur landesweiten Sensation. Während sich die Gagen nahezu wöchentlich verdoppelten, schickte sich das manische Traumpaar an, nach der Bühne auch Hörfunk, Fernsehen und Kino zu erobern. Hollywoodveteran Hal B. Wallis nahm die begnadeten Goldesel für die Paramount unter Vertrag, und so entstanden bis 1956 zwischen Auftritten, Plattenaufnahmen, Radioshows und der eigenen TV-Sendung "The Dean Martin & Jerry Lewis Show" sechzehn Spielfilme.

Dabei beeinträchtige das bisweilen arg schwankende Niveau der Schnellschussproduktionen keineswegs den finanziellen Gewinn, der diese Filme zu den größten Kassenerfolgen ihrer Zeit machte. Neben den gängigen Nummernrevuen vor wechselnder Kulisse - zum Beispiel im Wilden Westen, in der Zirkusmanege oder bei der Marine - finden sich zudem einige äußerst liebevoll gestaltete Komödienkleinode. Die selbstreflexive Showbusiness-Persiflage "The Stooge" (Der Prügelknabe) etwa oder die Hypochonderposse "Living It Up!" (Patient mit Dachschaden), die als gelungenes Remake von William A. Wellmanns Screwball-Klassiker "Nothing Sacred" gelten darf, und natürlich das knallbunte Spektakel "Artists and Models" (Der Agentenschreck) aus dem Jahr 1955.

Zwischen Cartoon und "Cahiers du Cinéma"

Vielleicht steht letztgenannter Titel sogar für die beste gemeinsame Kinoarbeit von Martin und Lewis, mit Sicherheit aber für die visuell Aufregendste. Dabei spielt das Doppelpack auch hier in minimaler Variation seine bewährten Rollen durch. Dean Martin singt und trickst sich als erfolgloser Maler ins Herz der Traumfrau, während Jerry Lewis den herzensguten Freund mimt, welcher diesmal durch seine Comicleidenschaft in eine aberwitzige Spionagekolportage gerät und am Ende von der unwiderstehlich chargierenden Shirley MacLaine geehelicht wird.

Herausragend ist die Umsetzung des höchstens serviettendicken Drehbuchs durch den ehemaligen Cartoonfilmer Frank Tashlin, der keine Gelegenheit für optische Gags auslässt: Wenn MacLaine den hilflos an einen Wasserspender gedrückten Lewis so hitzig küsst, dass der Trinkbrunnen buchstäblich zu kochen anfängt, dann ist dies nur eines von vielen großartigen Details dieser überbordenden Technicolor-Phantasie. Tashlin schuf mit seiner animierten Bildsprache das ideale Umfeld für Lewis' über Jahre perfekt stilisierten Charakter des "Kid", jenen ewig 13-jährigen, halbpubertären, anrührenden und gleichsam enervierenden Kindskopf mit dem goldenen Herzen.

In Tashlin fand Jerry Lewis somit das Vorbild für seine eigenen Regieambitionen, die er nach der endgültigen Trennung von Dean Martin realisieren sollte. Das bittere Ende dieser einzigartigen, über ein Jahrzehnt hinweg nahezu symbiotischen, aber letztlich zwischen Produktionsdruck und Egomanie aufgeriebenen Freund- und Partnerschaft hat Lewis nach eigener Aussage nie verwunden. Und auch wenn er nach der Abnabelung als alleinverantwortliches Multitalent seine größten künstlerischen Triumphe feiern sollte, war die spürbare Innigkeit, die anarchische Naivität und die charmante Sexyness der "Martin & Lewis"-Ära verloren.

Dafür untermauerte Lewis in den sechziger Jahren mit virtuos inszenierten Solokomödien wie "The Bell Boy" (Hallo, Page!) "Cinderfella" (Aschenblödel) und "The Nutty Professor" (Der verrückte Professor) seinen Anspruch, als ernsthafter Filmemacher akzeptiert zu werden. Was ihm die Landsleute trotz seines andauernden Erfolgs verweigerten, gaben ihm die verzückten Franzosen: Nie um eine steile These verlegen, attestierte Jean-Luc Godard dem "Total Filmmaker" - so der Titel von Lewis' selbstverfasstem Filmmanifest - im honorigen Fachblatt "Cahiers du Cinéma" sogleich die Innovationskraft eines Orson Welles oder Hitchcock.

Der Mann hinter der Grimasse

Während sich Publikum und Kritik in Europa weiterhin begeistert vom absurden Pantomimenhumor "ihres" Jerry zeigten und auch die x-te Vorführung der unsichtbaren Schreibmaschine intellektuell adelten, galt Lewis unter amerikanischen Filmpublizisten ab den Siebzigern nur noch als "Big in France" - und das war damals wie heute kein Kompliment in den latent frankophoben USA. Tatsächlich litten selbst Lewis' formal brillante Komödien an einer Überdosis Sentiment und Selbstbeweihräucherung bei gleichzeitigem Mangel jeglicher Distanz zum übermächtigen Ego des Künstlers.

Fatale Flops wie die Kriegssatire "Which Way To The Front?" oder das nie veröffentlichte Holocaust-Drama "The Day The Clown Cried" setzten ihm ebenso zu wie seine zahlreichen gesundheitlichen Probleme, angefangen bei einem chronischem Rückenschaden in Folge eines Bühnenunfalls über Diabetes und Herzinfarkt bis hin zu einer schweren Lungenkrankheit. Nichts davon hinderte den sechsfachen Vater jedoch je bei der alljährlichen Akquise von Millionen an Spendengeldern für die Muscular Dystrophy Association, die sich der Bekämfung und Behandlung der Muskelschwunderkrankungen verschrieben hat.
Die Hartnäckigkeit und der Ernst, mit welchen Lewis' sein vielfach ausgezeichnetes soziales Engagement betreibt, finden ihre Entsprechung in den wenigen prägnanten Auftritten des Künstlers außerhalb der Spaßsphäre. Sein unterkühlter TV-Profi in Martin Scorseses "The King of Comedy" (1982), der abgebrühte Cadillac-Händler aus "Arizona Dream" (1992) von Emir Kusturica oder das genaue Porträt eines ehemaligen Entertainers in der tiefdunklen Familienkomödie "Funny Bones" (1994) lassen indes erahnen, wie der Mann hinter der Grimasse souverän mit John F. Kennedy parlierte oder seine Freizeit mit engen Freunden wie Frank Sinatra und Sammy Davis jr. verbrachte.

Doch am bisher greifbarsten wird Jerry Lewis für sein Publikum bezeichnenderweise im 2005 erschienenen Erinnerungsband "Dean & Me: (A Love Story)". Lewis, der vielleicht immer ein bisschen zu gut wusste, wie viel Einfluss er auf die Entwicklung seiner Kunst hatte - man lasse vor dem inneren Auge nur mal kurz Adam Sandler, Jim Carrey und Roberto Benigni vorbeistolpern - und dies auch mit Vehemenz allen einbläute, artikuliert hier äußerst zärtlich und bescheiden seine Bewunderung und Zuneigung für den 1995 verstorbenen Ex-Partner. Und ganz gleich welches Jubiläum Jerry Lewis nun mehr bedeuten mag, zu so viel Größe kann man dem 80-jährigen Kid nur gratulieren.

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