Melodram "Julieta" Frauen am Rande der Niedergeschlagenheit

Mit einer Kurzgeschichtenverfilmung meldet sich Regisseur Pedro Almodóvar ("Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs") im Kino zurück. Darin setzt er auf viel Farbe - und düstere Stimmung.
Von Jörg Schöning
Melodram "Julieta": Frauen am Rande der Niedergeschlagenheit

Melodram "Julieta": Frauen am Rande der Niedergeschlagenheit

Foto: Tobis Film/ El Deseo/ Manolo Pavon

"Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?" fragte der US-Maler Barnett Newman 1966 auf dem Höhepunkt des Pop. Und dann brachte er in den folgenden Jahren die drei Primärfarben in vier unterschiedlichen Versionen so konsequent auf die großformatige Leinwand, dass psychisch instabile Museumsbesucher sich immer mal wieder provoziert fühlten von den grellen, monochromen Flächen und sie im Furor sogar mit Messern traktierten.

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"Julieta" von Pedro Almodóvar: Weibliches Leiden in Primärfarben

Foto: Tobis Film/ El Deseo/ Manolo Pavon

Pedro Almodóvar ist erkennbar ein Kind des Pop. Der spanische Regisseur, mit dem sich Zuschreibungen wie "bunt", "schrill" und "provokant" seit jeher verbinden, ist für konsequente Farbigkeit bekannt. In seinem jüngsten Film "Julieta" treibt er das Farbenspiel nun auf die Spitze. Das Besondere daran: Die melodramatische Verfilmung dreier Kurzgeschichten seiner Lieblingsschriftstellerin Alice Munro ist im Grunde ein Film Noir!

"Die Dinge geschahen ohne meine Teilhabe, eines ergab das andere", muss sich Julieta, eine attraktive Witwe und Mutter, im Verlauf einer schweren seelischen Krise eingestehen. Vor zwölf Jahren hat ihre damals gerade volljährig gewordene Tochter Antía sie verlassen und jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. Ohne je den Grund dafür erfahren zu haben, hat Julieta die Verschollene komplett aus ihrem Leben ausradiert. Bis zu jenem Tag, an dem sie zufällig auf der Straße eine ehemalige Freundin ihrer Tochter trifft und erfährt: Antía geht es gut, sie hat drei Kinder und lebt in der Schweiz.

Dies ist für Julieta Anlass, die Geschichte ihrer Mutterschaft und Ehe zu rekapitulieren - und für Almodóvar, sie den Kinozuschauern in Rückblenden vor Augen zu führen. Es ist eine sehr weibliche Geschichte: Sie handelt von Julietas Liebe zu Xoan, ihrem Mann und Antías Vater, der ein Fischer war, bis er ertrank.

Von Männern, die ihre Frauen wegsperren und betrügen, und von Frauen, die um Männer rivalisieren. Sie handelt von Versagensangst und niemals eingestandenen Schuldgefühlen.

Almodóvar ist ein genial vereinfachender Stilist

Und diese düstere Geschichte erstrahlt auf der Leinwand in den leuchtendsten Farben, vorwiegend aber in Rot, Gelb und Blau. Seitdem Jean-Luc Godard in den Filmen seiner frühen Phase, ab Mitte der Sechzigerjahre, das klare Rot-Weiß-Blau der französischen Trikolore um ein kräftiges Gelb ergänzte, hat kein zweiter Filmemacher die Primärfarben so unvermischt auf die Leinwand gebracht.

Almodóvars kontrastreiche Palette ist dabei ein wirksames Mittel, den fatalistischen Sog der melodramatischen Handlung zu konterkarieren. Während er einerseits in einer lustvollen Choreografie der Schickschalsschläge seine Protagonistinnen an den Rand der Niedergeschlagenheit - und darüber hinaus - bugsiert, hilft er ihnen mit seinen farblichen Aufmunterungen wieder auf die Beine. Almodóvars Großaufnahmen von leinwandfüllenden Frauengesichtern beziehen sich auch auf die Pop-Ikonen von Roy Lichtenstein. So kombiniert er die seelische Anamnese des Melodrams mit der Plakativität des Comics.

Wenn Julietas Existenz in Scherben zu fallen droht, zeigen sich im Mauerwerk hinter ihr doch wahrhaftig Risse! Dass hier ein in Schwarz gekleideter Reisender tatsächlich todgeweiht ist und eine Todesnachricht vor einem schwarzweißen Wandgemälde überbracht wird, ist ebenso simpel wie wirkungsvoll. Mit visuellen Signalen wie diesen erweist sich Almodóvar als ein genial vereinfachender Stilist.

Der Einfühlung in die manchmal wie Schablonen wirkenden Charaktere dient dies allerdings nur in Maßen. Bedingt wohl auch durch die Kombination gleich dreier Kurzgeschichten, lässt die Handlung keine Gelegenheit zur Abschweifung aus. Das hat einen ganzen Reigen von Nebenfiguren zur Folge, die scheinbar ebenso willkürlich und zweidimensional aufploppen wie die Pop-up-Karte (in kräftigem Blau-Rot!) zu Antías neunzehntem Geburtstag.

Schicksal und Schabernack - in Almodóvars schönen Bildern findet beides zusammen. Die Verbindung des scheinbar Unvereinbaren gelingt ihm nicht zuletzt mithilfe der Musik: Im Score des Komponisten Alberto Iglesias kündigt sich alles Drohende in dräuenden Klängen an. Dunkle Jazz-Sounds, wie Miles Davis sie einst für den französischen Noir-Thriller improvisierte, wechseln da mit spanischen Gitarren. Bevor das Unheil in Julietas Leben eintritt, hört es das Publikum schon.

"Jeder bekommt, was er verdient", lautet im Film einer der vielen fatalistischen Sätze. Für seine sehr einnehmend-überzeugend von Adriana Ugarte (als jung und wagemutig), dann von Emma Suárez (als vom Leben belehrt) verkörperte Protagonistin Julieta hält Almodóvar - so viel darf verraten werden, ohne das Ende vorwegzunehmen - ein treffliches Finale bereit: Sie kommt mit einem blauen Auge davon!

Im Video: Der Trailer zu "Julieta"

"Julieta"

Spanien 2016

Regie: Pedro Almodóvar

Drehbuch: Pedro Almodóvar

Darsteller: junge Julieta: Adriana Ugarte, erwachsene Julieta: Emma Suárez, Daniel Grao, Inma Cuesta, Darío Grandinetti, Michelle Jenner, Rossy de Palma

Verleih: Tobis Film

Länge: 100 Minuten

FSK: ab 6 freigegeben

Start: 4. August 2016

"Julieta" - Offizielle Website 
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