Kenneth Branagh über "Artemis Fowl" "Ich glaube nicht, dass das Kino verschwinden wird"

Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh
Foto: Leon Bennett / Getty ImagesKenneth Branagh, geboren 1960 in Belfast, wurde mit 23 Jahren Mitglied der Royal Shakespeare Company. Nach Auftritten in "Heinrich V." und "Romeo und Julia" gründete er seine eigene Theatergruppe "Renaissance Theatre Company". Mit seiner Verfilmung von "Heinrich V." machte er 1989 erstmalig international von sich reden, Branagh wurde sowohl als bester Hauptdarsteller als auch bester Regisseur für den Oscar nominiert. Seitdem hat Branagh bei über 20 Filmprojekten Regie geführt, zunächst bei weiteren Shakespeare-Verfilmungen wie "Hamlet", immer öfter aber bei Blockbustern wie "Thor", "Cinderella" und aktuell "Artemis Fowl".
SPIEGEL: Mr Branagh, Ihr neuer Film "Artemis Fowl" sollte eigentlich in die Kinos kommen. Stattdessen ist er nun, Corona-bedingt, bei Disney+ zu sehen, in den USA schon seit einigen Wochen, jetzt auch in Deutschland. Schmerzt einen das als Regisseur nicht?
Branagh: Ehrlich gesagt habe ich in der derzeitigen Situation nur Vorteile in dieser Lösung sehen können. Schließlich wünscht man sich als Filmemacher nichts mehr, als dass möglichst viele Menschen die eigene Arbeit sehen können. Selbstverständlich würde ich mich auch freuen, wenn das Publikum den Film irgendwann auf der großen Leinwand hätte sehen können. Aber auf diesem Wege nun den Familien Spaß und Abenteuer ins Wohnzimmer zu bringen, das durch die Pandemie mehr denn je zum Lebensmittelpunkt geworden ist, ist auch etwas sehr Besonderes.

Ferdia Shaw (r.) als Artemis Fowl in der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers
Foto: DisneySPIEGEL: Das klingt nett und erbaulich. Teilen Sie nicht die Sorge, dass der Aufstieg der Streamingdienste und nicht zuletzt die derzeitige Situation das Ende des Kinos bedeuten könnte?
Branagh: Nein, ich glaube nicht, dass das Kino verschwinden wird. Ich sehe eher Parallelen zu den Ängsten, die man hinsichtlich der Lichtspielhäuser hatte, als in den Fünfzigern das Fernsehen plötzlich in allen Haushalten Einzug hielt. Ohne Frage ist es aktuell noch unmöglich, die Langzeitfolgen der Coronakrise einschätzen zu können. Aber wenn ich mich selbst als Maßstab nehme, dann weiß ich einfach, dass wir uns über kurz oder lang alle nach gemeinschaftlichen Erlebnissen zurücksehen. Ich als Fußball-Fan kann es kaum erwarten, wieder in einem vollen Stadion zu stehen. Und genauso zieht es mich zurück ins Kino, wo ich normalerweise zweimal die Woche hingehe. Zu solchen Erfahrungen gehören andere Menschen zwingend dazu, das wird auch bleiben. Nicht umsonst wurden gerade die beiden anderen Projekte, mit denen ich zuletzt beschäftigt war, ganz dezidiert für die Leinwand gedreht und werden auch dort zu sehen sein: Christopher Nolans "Tenet", in dem ich eine Rolle spiele, sowie meine nächste Regiearbeit "Tod auf dem Nil".

Kenneth Branagh (r.) in "Dunkirk" von Christopher Nolan
Foto: Warner Bros.SPIEGEL: Täuscht der Eindruck oder ist Ihnen Ihre Arbeit als Schauspieler zuletzt nicht mehr so wichtig? Vor der Kamera standen Sie in den vergangenen fünf Jahren eigentlich höchstens noch für sich selbst - oder eben Nolan...
Branagh: Oh, ich hätte nichts dagegen, bis zu meinem Lebensende nur noch von Christopher Nolan inszeniert zu werden. In den letzten Jahren haben einfach meine eigenen Regiearbeiten so viel Zeit gekostet, dass ich kaum noch anderes drehen konnte. Dabei juckt es mir eigentlich in den Fingern, ich will wieder mehr spielen. Danny Boyle hat mal zu mir gesagt, er würde mich beneiden, weil ich als Schauspieler die Chance habe, andere Regisseure bei der Arbeit zu beobachten. Und er hat recht. Das größte Geschenk an der Schauspielerei ist es, mit tollen Filmemachern zusammenzuarbeiten. Was übrigens auch gilt, wenn sie als Produzenten tätig sind, so wie Ridley Scott bei meinen Hercule-Poirot-Filmen. Wenn jemand wie er mir Feedback gibt zu einer Arbeitsfassung von "Tod auf dem Nil" (geplanter Deutschland-Start: 22. Oktober, Anm.d.R.), dann bin ich einfach nur dankbar.
SPIEGEL: Lassen Sie uns noch über "Artemis Fowl" sprechen. Was hat Sie daran interessiert, einen Fantasyroman für junge Leser zu verfilmen?
Branagh: Natürlich hatte ich von dieser Romanreihe noch nie gehört, bis ich 2014 in den Skiurlaub fuhr und meine beiden Neffen - damals neun und elf Jahre alt - diese Bücher verschlangen. Sie meinten, die solle ich doch mal verfilmen! Also habe ich den ersten Teil gelesen und war richtig begeistert. Ich mochte diesen jungen Helden, mit seiner Intelligenz, aber auch Arroganz. Mir gefiel, wie eigenständig und detailreich die von Eoin Colfer geschaffene Welt wirkte - was kein Kinderspiel ist, wenn man in Zeiten nach "Harry Potter" noch von Magie und Elfen erzählen will. Außerdem sprachen mich als Belfaster die explizit irischen Elemente der Geschichte an. Als - rein zufällig - ein paar Wochen nach dem Skiurlaub Disney fragte, ob ich mit dem Titel "Artemis Fowl" etwas anfangen könne, war ich gleich interessiert.
SPIEGEL: Früher waren Sie stets der Mann für die großen Shakespeare-Stoffe, von "Heinrich V." über "Viel Lärm um nichts" bis "Hamlet". Dass Sie heute CGI-lastige Blockbuster wie "Thor", "Cinderella" oder eben nun "Artemis Fowl" inszenieren, verwundert manchmal noch...
Branagh: Spannend, nicht wahr? Aber man sollte nicht vergessen, dass es auch bei Shakespeare immer wieder um Magie ging. Oder Gespenster. Das letzte halbe Dutzend seiner Stücke zum Beispiel waren eigentlich Märchen. Als ich mit der Arbeit an "Cinderella" begann, war einer der ersten Texte, die ich las, nicht zufällig ein Vergleich des Grimm'schen Märchens mit "König Lear". Natürlich sind die Mittel, mit denen man im Digitalzeitalter des Kinos erzählen kann, vollkommen andere als die des Theaters zu Shakespeares Zeiten. Aber inhaltlich ist für mich da eine große Nähe zu entdecken, weil auch am Theater die größten Autoren in ihren Werken immer wieder auf Motive zeitloser Mythen, Fabeln und Märchen zurückgegriffen haben.
SPIEGEL: Andere große Filmemacher können etwa dem Superhelden-Genre viel weniger abgewinnen. Man denke nur an die Kritik von Martin Scorsese, der solche Filme mit Vergnügungspark-Attraktionen verglich. Können Sie diese Sicht nachvollziehen?
Branagh: Das kann ich - in dem Sinne, dass auch ich jemand bin, der mangelnde Qualität nicht akzeptiert. Für mich zielten seine Aussagen mehr auf eine gewisse Herangehensweise und deren Folgen. Ich weiß, dass Martin jemand ist, der die Arbeiten von anderen stets lobt und feiert, wenn sie ihn begeistern. Er setzt sich für das Medium Film und das Kino ein wie wenige sonst. Deswegen habe ich seine Aussagen weniger als einen generellen Angriff auf sogenannte Blockbuster verstanden, sondern mehr auf eine gewisse Lieblosigkeit, die Einzug halten kann, wenn man nicht aufpasst. Denn egal in welchem Genre sollten wir als Künstler immer unser Bestes geben und nicht faul und nachlässig werden. Ich bin überzeugt davon, dass sich dort, wie überall sonst auch, Qualität durchsetzt und das Publikum schnell merkt, wenn sich jemand keine Mühe gibt. Deswegen mache ich mir keine Sorgen, dass unsere Kinos dauerhaft von Mist dominiert werden könnten.