Kino "Aimée und Jaguar" - NS- Liebesdrama
Im Berliner Regierungsviertel wird eine Wohnung frei. Die Interessenten drängen durch das verlebte Interieur, listen in Gedanken die Renovierungskosten auf, während eine alte Frau sprachlos auf ihren Transport ins Altenheim wartet. Mit der Vormieterin werden auch die Spuren einer unseligen Vergangenheit ausquartiert, die in diesen Räumen ihren zentralen Schauplatz hatte. Die leidenschaftlich tragische Liebesgeschichte zwischen der treudeutschen Mutterkreuzträgerin Lilly Wust und der lebenslustigen Jüdin Felice Schragenheim hat es in dem authentischen Roman von Erica Fischer bereits zu Bestsellerehren gebracht. Man darf also davon ausgehen, daß die sichere Aussicht auf ein ebenso teilnehmendes Interesse des Kinopublikums bei der freizügigen Vergabe öffentlicher Fördermittel (Bundesministerium des Innern, NRW, Berlin Brandenburg, Hamburg, Bayern) eine ebenso große Rolle gespielt hat, wie die moralische Pflicht, einer wohl ewig unbewältigten Vergangenheit ein mahnendes Andenken zu bewahren. Daß der ethische Anspruch dennoch nicht zu kurz kam, ist dem Kinodebüt des TV- und Theaterregisseurs Max Färberböck und einem in allen Belangen weit überdurchschnittlichen Ensemble zu danken.
Felice (Maria Schrader) ist Mittelpunkt eines sinnenfrohen Lesbenzirkels im Berlin von 1943. Alliierte Luftangriffe haben das Ende des tausendjährigen Reiches bereits angezeigt, im Rußlandfeldzug vollzieht sich die Wende, aber die Judenvernichtung wird mit sardonischem Eifer fortgesetzt. Felice verbirgt ihre jüdische Abstammung mit todesverachtender Kaltschnäuzigkeit. Sie arbeitet unter falschem Namen in der Redaktion einer Nazi-Zeitung. Die allgegenwärtige Gefahr der Enttarnung ist für sie eine stimulierende Herausforderung. Sie genießt das Leben, verdingt sich mit Pin-up-Fotos und beschafft falsche Papiere für den politischen Widerstand. Sie ist schön, geistreich und verführerisch, und ihr bezwingender Charme scheint sie selbst dem Zugriff der NS-Schergen zu entziehen.
Doch als sie die biedere Hausfrau Lilly Wust (Juliane Köhler) kennenlernt, läuft ihr das Schicksal aus dem Ruder. Sie weckt bei der vierfachen Mutter ungeahnte Sinnlichkeit und eine Liebe, der sich beide hemmungslos hingeben, bis Lillys Mann (Detlev Buck) auf Heimaturlaub von der Ostfront nach Hause kommt. Ein Schicksal in Deutschland, das seine exemplarische Wahrheit gerade in seiner bizarren Einzigartigkeit entfaltet. Die homosexuelle Liebe, die bis heute aus dem Halbdunkel gesellschaftlicher Ächtung nicht herausgefunden hat, verkürzt die historische Distanz auf greifbare Länge und schafft eine beklemmende Nähe zum Schicksal der Figuren. Hier kommt kein melodramatischer Zug ins Spiel, die akademische Präzison der Inszenierung verweigert sich jeden sentimentalen Schlenker. Maria Schrader, in Sachen Vergangenheitsbewältigung Anfang März gleich ein zweites Mal im Einsatz ("Meschugge"), und Juliane Köhler, die sich mit ihrer Arbeit am Münchener Prinzregententheater für die Rolle empfohlen hat, steigern ihr Spiel zu rauschhafter Intensität. Die Reihe der Nebendarsteller von Heike Makatsch über Detlev Buck, Johanna Wokalek bis Peter Weck versammelt ein schauspielerisches Potential, das sich jeder internationalen Konkurrenz stellen kann. So wird der bußfertige Blick in die Geschichte zugleich zur selbstbewußten Leistungsschau der deutschen Filmindustrie, mit der am Mittwoch die Berlinale eröffnet.