Kino-Aktion "Pay After" Erst gucken, dann zahlen

"Sneak Previews" hat mittlerweile jeder, ein Freiburger Kino hat mehr: Bei "Pay After" zahlen die Zuschauer für den Überraschungsfilm erst hinterher, je nachdem, was ihnen die Sache wert war. Die ungewöhnliche Aktion läuft so gut, dass der Kinobetreiber sich mittlerweile Tricks einfallen lassen muss, um die Leute fern zu halten.
Von David Frogier de Ponlevoy

Mittwoch, 20.30 Uhr vor dem Programmkino "Friedrichsbau". Der Bürgersteig ist dicht. Geduldig stehen die Besucher im Regen und warten. Das kleine Kino in Freiburg hat nur eine Kasse, deswegen stehen bis zu 200 Wartende meist eine Stunde vor der Tür, um eine Karte zu bekommen. Der Massenandrang verstört sowohl die restlichen Kinobesucher als auch die Passanten. Irgend jemand spöttelt: "Gibt's hier was umsonst?"

Ja und nein. Selbst bestimmen können soll der Kinobesucher seinen Eintrittspreis, deshalb hat Kinobetreiber Michael Wiedemann sein Spektakel auch "Pay After" getauft. Das New Yorker Museum of Modern Arts hat den 48-Jährigen mit einer ähnlichen Aktion auf die Idee gebracht, Initialzündung waren aber schließlich die Münchner Filmfestspiele 2001. "Da habe ich den Film 'Duets' ("Traumpaare") gesehen", erzählt Wiedemann, "es ging um Karaoke, und es war ein wunderbarer Film, aber ich wusste - da würde kein Schwein reingehen." Als erster "Pay After" wurde der Film allerdings ein Riesenerfolg, der Kinosaal war voll, die Zuschauer begeistert. Seitdem bietet der Bürgersteig vor dem Kino alle zwei Wochen dasselbe Bild: Wartende Menschen.

Allerdings ist "Pay After" keine Gratis-Veranstaltung. Immerhin zahlt Wiedemann ganz regulär für den Film und ist deshalb auf die Mitarbeit der Publikums angewiesen. "Wenn der Durchschnittspreis irgendwann mal dauerhaft unter drei Euro fallen sollte, hören wir damit auf", klärt der Mann vor jedem Film die Zuschauer auf. Darüber hinaus verlangt der Kinobetreiber anschließend von seinen Gästen, dass sie per Umfragezettel Auskunft darüber geben, wie sehr ihnen der Film gefallen hat - und warum.

Wer den Abend genossen hat und eine ehrliche Haut ist, der kommt folglich unter dem Strich nicht viel günstiger weg als bei einem gewöhnlichen Kino-Besuch. Naja, ein wenig günstiger vielleicht schon. Das häufigste Argument bei den Zuschauern in der Warteschlange ist dann auch der Preis: "Ich find's gut, dass man für einen schlechten Film wenigstens nicht noch zahlen muss", sagt einer. Das Publikum: Erwartungsgemäß viele Studenten.

Trotzdem, wer bei denen nachfragt, die bereits seit mehreren Monaten "Pay After" zum festen Termin gemacht haben, hört auch Kommentare wie: "Die Filme hier sind einfach immer gut, nicht so wie in irgend einer Sneak Preview". Immerhin hängen Wiedemanns Einnahmen davon ab, ob er den richtigen Film ausgesucht hat. "Im Endeffekt geht es auch mir darum, Filme zu transportieren, die man sehen muss, aber sonst nicht sehen würde. 'Bowling for Columbine' ist ein gutes Beispiel", sagt der Kinobetreiber.

Manche Perlen waren in den vergangenen zwei Jahren darunter, die deutschlandweit durchaus erfolgreich waren. Christopher Nolans "Memento" etwa, oder "Amélie". Bei dem französischen Erfolgsfilm schrieb eine Besucherin als Kommentar schlicht 52-Mal "Danke" auf ihren Umfragezettel. Später landete ein 20-Mark-Schein in der Kasse. "Das war aber keine rechte Kunst, solche Filme auszuwählen", wiegelt Wiedemann ab. Viel stolzer ist er auf die eher unbekannten Kino-Produktionen: "My Sweet Home" von Filipos Tzitos, eine deutsch-griechische Multikulti-Komödie, hatte bei ihrer Pay-After-Premiere noch nicht mal einen Verleih. "Soll dieser Film jemals das Licht der Leinwand erblicken?", stand auf dem Umfragezettel. Eindeutige Antwort der Freiburger: Ja!

Auch an diesem Mittwoch verliest Wiedemann vor Filmstart erst die Zuschauerkommentare zum Film vor zwei Wochen: "My Big Fat Greek Wedding". "Nur eine Person fand ihn so richtig schlecht", verkündet er. Wirklich überzeugt hat er jedoch offenbar nicht: "Viel zu sehr Mainstream", schrieb einer der Zuschauer.

Den vielleicht überragendsten Erfolg feierte vor einem Jahr "Vaya con dios", ebenfalls eine deutsche Produktion über drei singende Mönche, die durch Baden-Württemberg reisen, um in Italien ihre Ordensbrüder zu finden. Nur sieben von 300 Besuchern fanden den Film "schlecht", 86 Prozent der abgegebenen Stimmzettel feierten den Streifen irgendwo zwischen "gut" und "genial", unter anderem mit Kommentaren wie: "Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobt der Name Friedrichsbau." Wiedemann schickte darauf hin die komplette Auswertung, sechs Seiten mit Zuschauerkommentaren, an den Produzenten Dieter-Ulrich Aselmann, der darauf hin mitsamt Regisseur Zoltan Spirandelli und Hauptdarsteller Daniel Brühl zur offiziellen Premiere nach Freiburg kam.

Nach solchen Erfolgen muss Wiedemann regelmäßig zu Tricks greifen. Dann zeigt er zwei Wochen später schwer verdauliche Filme wie die dänische Produktion "Songs From The Second Floor" oder das neuseeländische Drama "Rain". "Damit kann man den Zuschauerstrom für den nächsten Film schon regulieren", sagt der Kinoinhaber mit einem zurückhaltenden Lächeln. Andernfalls wäre die Nachfrage einfach zu erdrückend.

Natürlich ist "Pay After" Eigenwerbung und Trendsuche zugleich: Die Mönche aus "Vaya con dios" singen mittlerweile seit einem Jahr im "Friedrichsbau" - ohne den Pay-After-Erfolg wäre eine dermaßen lange Spielzeit wohl kaum möglich gewesen. Klar ist auch: Am Pay-After-Tag laufen vor allem Filme, die ohnehin für das eigene Programm geplant waren. Mit großen Populärproduktionen aus Hollywood wäre die Sache nicht möglich - da wird vor dem Kinostart oft gar kein Filmband ausgeliefert. Und schließlich lockt die Aktion die vielen Studenten in Freiburg an, die sich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass hier nicht nur Filme in Schwarzweiß gezeigt werden, wie Wiedemann es ausdrückt. Vorurteile, mit denen ein Programmkino oft zu kämpfen hat.

"Das Freiburger Publikum hat eine wichtige Meinung für uns", erklärt Bernd Kuhn vom Filmverleih Arsenal ("Elling", "Atanarjuat"), der an diesem Mittwoch zum "Pay After" gekommen ist, den Kinozuschauern. Die hören so etwas natürlich gern. Die Leute von Arsenal nutzen die detaillierte Auswertung beim "Pay After" gerne und schicken regelmäßig Filme zum Vorab-Test an den "Friedrichsbau".

Nicht allen Filmverleihern war oder ist die Sache ganz geheuer. Filme, bei denen erst am Anschluss gezahlt wird - das funktioniert? Wiedemann musste einiges an Überzeugungsarbeit leisten. "Dabei geben die gleichzeitig ein Riesengeld für Research-Aktionen aus, um festzustellen, ob ihre Filme ankommen - könnten sie alles viel einfacher haben", meint der Kinobetreiber. In der Tat: Der japanische Streifen "19" von Kazushi Watanabe, ein Entführer-Roadmovie, floppte vor ein paar Wochen beim Pay-After-Publikum aus einem ganz naheliegenden Grund: Bei dem ohnehin schon gewöhnungsbedürftigen Film, der die ganze Zeit mit aufgezogener Blende in grellweißem Licht spielt, hatte der deutsche Verleiher die Untertitel weiß aufgedruckt - und weiß auf weiß war logischerweise unlesbar.

Ähnlich ging es der Armee-Komödie "Buffalo Soldiers" (die in Deutschland unter dem Titel "Army Go Home" lief). Wiedemann gefiel der Film mit seinem schwarzen Humor eigentlich ganz gut, viele Kritiker lobten den Film als glänzende Satire, das Land Baden-Württemberg gab Zuschüsse für den Drehort Karlsruhe. Im "Pay After" floppte der Film, weil er wahlweise als zu armeeverherrlichend, zu albern oder zu verworren bezeichnet wurde. "Man vergisst als Filmverleih vor Filmbegeisterung manchmal, dass es auch ein Publikum geben muss, dass den Film ansehen soll", erzählt auch Kuhn an diesem Abend aus eigener Erfahrung. Anschließend heißt es Vorhang auf für den heutigen Film: Oscar-Gewinner "No Man's Land", der Film eines bosnischen Regisseurs über zwei Soldaten, die zwischen den Fronten festsitzen.

So fasziniert die meisten Besucher anschließend von dem Film sind: Die derzeitige Sparwut in Deutschlang bekommt seit einigen Wochen auch "Pay After" zu spüren. Bei "My Big Fat Greek Wedding" kamen im Schnitt gerade mal 2,16 Euro zusammen. Zu wenig. "Man hat das Gefühl, die Geldbeutel werden zur Zeit nicht leer von dem Kleingeld", sagt Wiedemann, für den immer noch feststeht: Auf Dauer lässt sich das Projekt nicht unter dem Durchschnitt von drei Euro finanzieren. Andererseits, der Mann der seit 30 Jahren im Kinogeschäft ist ("ich kann einfach nichts anderes machen") hat sich bereits einmal von einem Lieblingsprojekt verabschieden müssen: "Ich habe damals auch die 'Sneak Preview' erfunden. Als das jeder hatte, wusste ich, ich muss jetzt was anderes machen", erzählt er und kündigt an: "Ideen habe ich noch genug."

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