Kino-Thriller "Verblendung" Lisbeth hätte Besseres verdient
Stieg Larsson war vielleicht ein guter Journalist, aber er war kein guter Schriftsteller. Wer einmal den Versuch unternommen hat, seine inzwischen weltbekannte "Millennium"-Trilogie zu lesen, weiß, dass es eine Qual ist, über die ersten 100 Seiten hinweg zu kommen, so steif ist Larssons Sprache selbst in der deutschen Übersetzung, so rumpelnd und stotternd kommt die Handlung (Inhaltsangabe bei Wikipedia ) in die Gänge. Aber Larsson erfand in diesen drei Büchern eben auch Lisbeth Salander, eine schillernde, wütende, verletzte Heldin für das 21. Jahrhundert.
Dank dieser faszinierenden Romanfigur hat es der schwedische Autor sieben Jahre nach seinem Tod nun sogar bis nach Hollywood geschafft. An diesem Donnerstag läuft die US-Verfilmung des ersten "Millennium"-Bandes, "Verblendung", in den deutschen Kinos an. Regie führte ein Mann, der im US-Kino zurzeit als König Midas gilt: Was er anfasst, wird trotz Arthouse-Anspruch zum Publikumserfolg - die Kritiker lieben ohnehin alles, was David Fincher macht. Der ehemalige Werbefilmregisseur begann seine Karriere mit dem Serienkiller-Schocker "Sieben", glänzte mit kunstvollen Psycho-Thrillern wie "Fight Club" und "Zodiac", rührte mit "Benjamin Button" zu Tränen und ging im vergangenen Jahr mit dem klugen Facebook-Film "The Social Network" ins Oscar-Rennen um den besten Film.

"Verblendung": Schweden in Schwarzweiß
Entsprechend groß war das Staunen, als bekannt wurde, dass Fincher, 49, erstmals die Regie bei einem Remake übernehmen würde, denn Larssons Bestseller wurden bereits 2010 in Schweden für die Leinwand adaptiert. Die drei Filme setzten weltweit mehr als 100 Millionen Dollar um, davon allerdings nur rund 10 Millionen in den USA, denn die Amerikaner, bei denen ausländische Filme nicht synchronisiert werden, mögen keine Untertitel, so dass europäische Produktionen zumeist nur von Kinofans in den Metropolen gesehen werden. Larssons Bücher aber waren auch in den USA Bestseller, also lag eine Neuverfilmung nahe.
Fincher hätten zwei Dinge gereizt, sagte er dem britischen "Telegraph": Zum einen fand er die Idee bestechend, eine Blockbuster-Trilogie zu drehen, die sich nicht, wie sonst im "Harry Potter"/"Twilight"-Kosmos, an Teenager richtet, sondern an Erwachsene. Zum anderen habe ihn die Beziehung der beiden Hauptfiguren gereizt: Die vom Staat vergewaltigte Super-Hackerin Salander und der von der Wirtschaft ausgebootete Top-Journalist Mikael Blomkvist - wie sich diese beiden zutiefst verwundeten, gänzlich unterschiedlichen Charaktere aufeinander zu bewegten, das sei doch faszinierend.
Das stimmt. Nur leider nimmt dieser Aspekt in Finchers nun fertigem Film, dem ersten der zu erwartenden Trilogie, den geringsten Platz ein. Dabei wäre bei 158 Minuten Laufzeit eigentlich genügend Raum vorhanden, sich voll und ganz der Heroine und ihrem unwahrscheinlichen Verbündeten zu widmen. Doch Fincher und sein nicht minder prominenter Drehbuchautor Steven Zaillian ("Schindlers Liste") füllen die Zeit mit ermüdend vielen anderen Dingen.
Von Larsson lösen
Der größte Fehler war ganz offenbar, sich allzu eng an Stieg Larssons Erzählstruktur zu halten. So treffen Blomkvist und Salander erst nach gut einer Stunde zum ersten Mal aufeinander. Hätte man sich entschieden, den ungelenken und mit seinen Verweisen auf Wirtschaftsverbrechen, soziale Missstände und Schwedens Nazi-Vergangenheit reichlich überladenen Plot radikal zu kürzen und einzudampfen, wäre vielleicht ein spannendes Psychogramm des "Girl With The Dragon Tattoo" (so der Originaltitel des Films) entstanden. Eingebettet in die zahlreichen Ereignisse jedoch, die der Film vorlagentreu abspult, bleibt die von Fincher beschworene Anziehungskraft zwischen den beiden Hauptfiguren kaum mehr als bloße Behauptung.
Salander und Blomkvist, zu muskulös und attraktiv besetzt mit Daniel Craig, sind Figuren, die perfekt in das extreme Außenseiter-Personal passen, das David Fincher in seinen bisherigen Filmen gerne porträtierte. Allein Salander ist eine Art Spiegelbild des in "The Social Network" porträtierten Facebook-Gründers Mark Zuckerberg: Beide Figuren sind absolute Cracks im Umgang mit moderner Informationstechnologie, beide fühlen sich von der Gesellschaft ausgestoßen und missverstanden. Der eine wehrt sich mittels seiner Software, die andere setzt sich mit Hackerangriffen über das Gesetz hinweg und wird, wenn das nicht ausreicht, handgreiflich - oder rast als lederbewehrtes Batgirl auf dem Motorrad durch die schwedische Nacht.
Wie selbstverständlich bedient sie sich krimineller Machenschaften, zuerst, um Blomkvists Leben auszuspionieren, und dann, um ihm bei der Aufklärung des Verbrechens zu helfen. Fast so, als könne man sich als Lichtgestalt in einer dunklen Welt nur dadurch zur Wehr setzen, indem man selbst mit dem Verbotenen arbeitet. Salander und Blomqvist sind moralisch äußerst labile Charaktere, nur leider werden sie in Finchers Film nicht tief genug ausgelotet.
Dass ist umso mehr schade, als dass Rooney Mara als Cyberpunk-Girl eine durchaus gute Figur macht. Im Gegensatz zur Schwedin Noomi Rapace, die mit den Originalfilmen ihre internationale Karriere begründete und Salander als zähes Miststück anlegte, bemüht sich die Amerikanerin, der gequälten Außenseiterin mehr Verletzlichkeit und Tiefe zu geben. Unter allen Piercings, Tattoos und Hässlichkeiten lässt sie eine linkische, mädchenhafte Anmut erkennen. Furchtlos bewältigt die Newcomerin, die in "The Social Network" bereits einen kleinen Auftritt hatte, auch die extremsten Szenen des Films: die Vergewaltigung durch ihren staatlichen Vormund, den ekelerregend fettleibigen und machtbesoffenen Bjurman (Yorick Van Wageningen), sowie ihre perfide konstruierte Rache an ihrem Peiniger mit Hilfe einer Tätowiernadel.
Verloren in schönen Bildern
Diese plakativen Sequenzen gehören zum Kern von Larssons Erzählung, durch sie wird der gespaltene Charakter Lisbeth Salanders auf drastische Weise deutlich. Und auch Fincher, wie schon sein schwedischer Vorgänger Niels Arden Oplev, nimmt sich Zeit für die Entfaltung dieser Gewaltausbrüche. Dennoch wirken beide Szenen im US-Remake viel weniger schockierend als in der europäischen Verfilmung. Das mag ein Zugeständnis an Hollywoods Normen sein, vielleicht kam Fincher aber auch sein unbedingter Stilwille in die Quere.
Denn der Regisseur verwendet zusammen mit seinem bewährten Kameramann Jeff Cronenweth ("Fight Club", "Social Network") viel Akribie darauf, der zum Teil elendig tristen Fernsehfilm-Optik des schwedischen Originals einen kraftvollen visuellen Stil entgegen zu setzen. Finchers schwedische Winterlandschaft ist so durchkomponiert blaugrau, schwarz und weiß, dass selbst der kleinste Farbklecks wie ein Fremdkörper wirkt. Die Botschaft ist unmissverständlich: Schweden ist ein Land, das durch und durch verdorben ist, es liegt sozusagen unter einem Schatten der moralischen Verkümmerung.
Finchers Talent, eine Atmosphäre der unterschwelligen Bedrohung allein durch Farbspiele, geschickte Schnitte und Bildkompositionen zu erzeugen, kommt hier erneut grandios zum Einsatz. Dräuend kratzt und schabt über diese frostige Szenerie der beklemmende Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross, die für ihre Musik zu "The Social Network" mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. Allein in der Ausgestaltung dieser düsteren Vision Schwedens kann man sich verlieren, und vielleicht hat sich auch der Regisseur selbst zu sehr in seine Bilder verliebt - und darüber den Fokus auf seine Hauptfiguren verloren.
Was bleibt, ist ein ästhetisch beeindruckender, handwerklich brillanter Thriller, der allerdings darüber hinaus kaum etwas der schwedischen Vorlage hinzufügen kann. Immerhin eine seiner Zielvorgaben hat Fincher erfüllt: Dank eines R-Ratings in den USA dürfen tatsächlich nur Erwachsene "Verblendung" sehen, was sich allerdings auf den Umsatz auswirkte: Nach drei Wochen im US-Masseneinsatz spielte der Film nur rund 77 Millionen Dollar ein. Gemessen am Produktionsbudget von über 90 Millionen ist das noch recht wenig. Und noch ist offen, wie "Verblendung" in Europa laufen wird, wo viel mehr Leute noch vor gar nicht langer Zeit die schwedischen Originale gesehen haben.
Grünes Licht für die beiden weiteren Teile hat es wohl trotzdem schon gegeben, Daniel Craig und Rooney Mara haben bereits signalisiert, dass sie weitermachen würden. Man kann nur hoffen, dass auch David Fincher dabei bleibt, denn man möchte schon sehen, ob es ihm nicht doch noch gelingt, zu der magischen Verbindung zwischen Mikael Blomqvist und Lisbeth Salander vorzudringen. Er müsste einfach nur Stieg Larsson vergessen und endlich seine eigene Geschichte erzählen.