Kinodrama "Gran Torino" Der alte Mann und das Gewehr

Dirty Harry in Detroit: In "Gran Torino" zieht Clint Eastwood als pensionierter Autoschlosser ins Gefecht gegen die Gangs seiner Nachbarschaft. Eine ironische Elegie aus dem verwaisten Herzland Amerikas - der Altmeister bringt darin seinen eigenen Mythos zur Strecke.

Ist er nur ein verbitterter Rentner oder ist er der Rächer einer untergehenden Industrienation? Wenn Walt Kowalski mit zusammengekniffenen Augen und vorgehaltener Flinte "Runter von meinem Rasen!" in Richtung unliebsamer Nachbarn oder halbwüchsiger Gangster knurrt, ist auf jeden Fall von weiteren Diskussionen abzusehen. Der Mann weiß, wie man eine mit Sternenbanner geschmückte Vorort-Veranda von unamerikanischen Umtrieben freihält.

Einst war seine Nachbarschaft so was wie die Wiege der US-Autoindustrie. Hier schlief es, das Blue-Collar-Heer, das die Autofabriken von Detroit am Laufen hielt. Doch nicht erst seit die Bosse der amerikanischen PS-Wirtschaft beim neuen Präsidenten betteln gehen, ist Michigans einst prosperierende Vorortwelt eine verwaiste Region geworden. Über viele Jahre schaut sich Kowalski, der Fließband-Veteran von Ford, nun schon mit immer griesgrämigerer Visage an, wie seine Nachbarschaft von Gangs und Migranten erobert wird.

Hinten in seiner Garage steht ein 1972er Ford Gran Torino, den er einst selbst im Werk zusammengeschraubt hat, vorne auf seinem gestutzten Rasen rüstet der Alte zum Kulturkampf. Schwarze Tagediebe versperren jungen Frauen den Weg, hispanische Kleinkriminelle fuchteln mit Revolvern herum, asiatische Gangmitglieder terrorisieren ihre Nachbarn mit Drive-By-Shooting-Anschlägen. Das Schlimmste für den Koreakrieg-Veteran Walt Kowalski ist allerdings, dass die Oma von der asiatischen Familie nebenan seinen grantig ausgespuckten Kautabak mit einem noch viel grantiger ausgespuckten braunen Schwall kontert.

Hart an der Karikatur verkörpert Clint Eastwood in "Gran Torino" eine Art hoch verdichtete Rächerfigur: Er greint, er knurrt, er zieht die Augen zusammen, als wolle er in der Rolle des Kowalski noch einmal alle wortkargen, aber umso gewaltbereiteren Revolverhelden seiner Schauspielerlaufbahn vereinen. Von Harry Callahan aus der "Dirty Harry"-Saga über Bill Munny aus "The Unforgiven" bis hin zu den vielen Namenlosen der frühen Italo-Western zieht er alle Register. Und nicht zu vergessen ist natürlich sein Boxtrainer Frankie Dunn im oscargekrönten "Million Dollar Baby", der mit "Tough ain't enough" einen Wahlspruch ausgegeben hat, den auch Kowalski an der Tür seines sorgsam gehüteten Waffenschranks hängen haben könnte.

Umso erstaunlicher ist es da, wie dieser in nur fünf Wochen leichthändig abgedrehte Film bei aller Ironie und bei aller Selbstbespiegelung des Gesamtkunstwerks Clint Eastwoods nach und nach an Tiefe und Tragik gewinnt. Das liegt zum einen natürlich daran, dass der Regisseur bei seiner Detroiter Nachbarschaftsballade genau in jenes amerikanische Herzland vorgestoßen ist, in dem die Wirtschaftskrise zurzeit die größten sichtbaren sozialen Verwerfungen zeitigt. Das liegt zum anderen aber auch daran, wie er hier fast ohne jede Revolver-Rhetorik die verheerende Wirkung von Gewalt nachzeichnet.

Denn stellvertretend für all die Rächer und Rechtsbeuger, die Unberührbaren und Erbarmungslosen, die er im Laufe seiner Karriere verkörpert hat, demonstriert Eastwood an seinem pensionierten Autoschrauber, dass Töten niemals folgenlos ist.

So selbstgerecht sein Walt Kowalski auch auf der Veranda die Budweiser-Dosen zischen lässt - der Koreakrieg-Veteran wird von Erinnerungen getrieben, die er mit niemandem teilen kann und will. Kein Wunder, dass er den jungen Priester, der ihn immer wieder zum Beichten einlädt, mit virtuos blasphemischen Sprüchen zum Teufel schickt. Die Absolution, nach der sich Kowalski sehnt, gibt es nicht für ein paar Vaterunser.

Und doch entwickelt sich das anfänglich so milde Vorortporträt zu einem veritablen Schuld-und-Sühne-Drama (Buch: Nick Schenk). Denn als Walt Kowalski, menschenfeindlich und rassistisch wie er nun mal ist, ein paar junge asiatische Gangster aus seiner Straße verscheucht, wird er unfreiwillig zum Helden der asiatischen Gemeinde. Die Hmong-Vietnamesen nebenan überschütten ihn fortan mit Köstlichkeiten und Höflichkeiten. Bald lässt sich der alte xenophobe Knochen von der Tochter des Hauses in die fremden Sitten einführen und berät den vergeistigten Sohn in Lebensfragen.

Und als eine Gang Jagd auf den Nachbarsjungen macht, rüstet Kowalski, der offensichtlich einige Menschenleben auf dem Gewissen hat, zum letzten Gefecht. Als moralisches Kompensationsgeschäft wirkt diese Handlungswendung arg überspitzt, dafür unterwandert das Ende alle Erwartungshaltungen. Zwar behängt sich der Kampfgreis Kowalski hier noch einmal mit Patronengurten und Handfeuerwaffen, als gelte es, ein ganzes Fort zu erobern. Doch das Finale nimmt einen vollkommen unerwarteten Ausgang.

Es ist, als demontierte Eastwood mit dem passiven Widerstand, den er seinen Protagonisten leisten lässt, sämtliche aktionsbereiten Helden, die er ehedem verkörpert hat. So könnte die Rächer-Elegie "Gran Torino", die in den USA besser gelaufen ist als jeder Eastwood-Film zuvor, tatsächlich der letzte Auftritt des 78-Jährigen als Schauspieler sein, wie immer wieder gemunkelt wird.

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