Kinos in der Coronakrise Sitzabstand halten - und öfter mal lüften?

Seit Beginn der Coronakrise sind die Kinos geschlossen - wie geht es danach weiter?
Foto: Christoph Soeder/ picture alliance/ dpa"Wir sehen uns wieder - bleiben Sie gesund": Auf Berlins populärster Kinowerbewand am Delphi Filmpalast, wo sonst nahezu jede Woche ein neuer Film beworben wird, von Hand gemalt und mehrere Stockwerke hoch, wird in diesen Tagen nur ein freundlicher Gruß präsentiert. Wegen der Ausbreitung des Coronavirus bleiben die Leinwände im Delphi wie in allen deutschen Kinosälen seit mehr als sechs Wochen unbelichtet.
"Wirtschaftlich ist das natürlich eine Katastrophe", sagt Christian Bräuer, der in Berlin 14 Kinos betreibt, darunter den Delphi Filmpalast. Nach Angaben der Branchenorganisation "Hauptverband Deutscher Filmtheater", kurz HDF, entgehen den Kinobetreibern während der Schließungen Einnahmen von rund 17 Millionen Euro pro Woche.
Bei einer Umfrage unter den Kinos hat der HDF ermittelt, dass erste Betriebe ohne weitere Hilfen in den kommenden vier Wochen Insolvenz anmelden müssen. Mehr als die Hälfte der Kinobetreiber schätzten demnach, dass sie nur noch zwei bis drei Monate durchhalten können.
"Leider helfen uns Kinobetreibern öffentliche Fördermittel nur sehr wenig weiter. Unser Umsatz ist vollständig eingebrochen, die hohen Fixkosten laufen jedoch weiter", sagt die Sprecherin der Kinokette Cinemaxx auf Nachfrage des SPIEGEL. Zwar könnten in vielen Bundesländern Kinobetreiberinnen und -betreiber Kurzarbeitergeld, Soforthilfen oder Kredite anfordern. Doch häufig reicht das nicht, heißt es. Wenn die Miete für ein größeres Kino bereits mehr als 30.000 Euro im Monat koste, helfe etwa eine Finanzspritze von 5000 Euro nur bedingt weiter.
Der Schaden könne kaum noch abgewendet werden
"Wenn nicht umgehend andere Förderdimensionen und Förderinstrumente für alle Kinos in Deutschland bereitgestellt werden, ist der immense Schaden für die Kulturinstitution Kino kaum abzuwenden", sagt Christine Berg aus dem HDF-Vorstand. Deshalb fordert der Verband einen Stabilitätsfonds zur Rettung der ganzen Branche – und ein Konzept zur Wiedereröffnung.
Viele deutsche Museen etwa dürfen in den kommenden Wochen mit einem Hygienekonzept und unter Schutzauflagen wieder aufmachen. Wann das bei den Filmtheatern so weit sein wird, ist unklar. "Mittlerweile gehen wir nicht davon aus, dass wir die Kinos vor dem Hochsommer aufsperren werden", sagt Markus Eisele, der mehrere Kinos in Bayern und Thüringen betreibt. Weil der Kinowinter gut gelaufen sei und er für seine Häuser einen Puffer für den weniger gut besuchten Sommer angespart habe, sei sein Betrieb noch liquide bis Juni. Aber dann?
Christian Bräuer
Um zu planen, wie sie ihre Häuser wieder öffnen können, fordern Kinobetreiberinnen und -betreiber daher ein Konzept. Bis jetzt habe die Politik nicht mit ihnen gesprochen, sagt der Berliner Kinomann Bräuer, der auch der AG Kino-Gilde, einer Programmkino-Lobby, vorsitzt. "Und das fordern wir: Bezieht uns mit ein, lasst uns einen Fahrplan zur Wiedereröffnung entwickeln."
Denn, so argumentieren Kinobetreiberinnen und -betreiber bundesweit, Kinos könnten das leisten, was anderen Kultur- und Veranstaltungsorten nur schwer möglich ist: Abstand halten. Deshalb hat die HDF ein Hygienekonzept entwickelt.
Abstand, Desinfektion, Onlinetickets
Darin heißt es: Kinosäle sollten nicht voll besetzt und häufiger gelüftet werden, im Kassenbereich könnten Markierungen und Schutzwände angebracht, Tickets könnten online verkauft und Schlangen vermieden werden, Besucher das Kino über verschiedene Notausgänge verlassen. Und wie sieht es mit Popcorn, Snacks und Getränken aus, an denen Kinobetreiber nicht bloß verdienen – sondern die das Kino auch maßgeblich vom heimischen Wohnzimmer unterscheiden? "Auf Popcorn müsste man vermutlich verzichten, alles andere gibt es nur noch abgepackt", sagt Bräuer.
Doch auch wenn die Kinos mit weniger Sitzplätzen wieder aufsperren, wird es für einige Theater schwierig. Spärlich ausgelastete Säle bedeuten auch geringere Einnahmen. Auch für den Fall eines eingeschränkten Zugangs bräuchten viele Häuser finanzielle Unterstützung, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Und: Um zu öffnen, müsste man Filme zeigen können. Momentan aber haben alle Filmverleiher die Kinostarts verschoben. Sie bräuchten Vorlauf, um die Filme auf die Leinwand zu bringen – und sie zu bewerben.
Wird es also zu einem Kinosterben kommen? "Das ist möglich", sagt Kinobetreiber Eisele. Spätestens im Herbst müsse es wieder richtig losgehen, sonst sei die ganze Branche vom Ruin bedroht.
Markus Eisele
Unterdessen versuchen einige Kinoleute, mit anderen Kinokonzepten über die Corona-Zeiten zu kommen. Das Projekt "Window Flicks" etwa macht die Innenhöfe Berlins zur Kinoleinwand. Autokinos erleben ein Revival. Und auch die Freiluftkinosaison ist noch nicht ganz abgeschrieben.
Die sollte in Berlin-Kreuzberg am 8. Mai starten. "Das ist natürlich unrealistisch", sagt Arne Höhne, der für drei Freiluftkinos in Berlin spricht. Dennoch hofft er, dass die Kinos in diesem Sommer Filme unter freiem Himmel zeigen können – mit einem Hygieneplan. Auch dieser sieht weniger Sitzplätze, viel freie Fläche, kontrollierte Schlangen und Onlinetickets vor. "Genau das kann das Freiluftkino ja: Abstand", sagt er. Wenn die Erlaubnis zur Eröffnung der Saison kommen würde, könnte der Betrieb laut Höhne sehr schnell aufgenommen werden.
Streamingdienste als Corona-Gewinner
Vorerst bleibt vielen Kinoliebhaberinnen und -liebhabern nur der eigene Fernseher. Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime sind bislang Gewinner des Kino-Lockdowns. Womöglich auch darüber hinaus. Verlieren Kinos ihre Besucherinnen und Besucher nun endgültig an die Online-Videotheken? "Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Viele Menschen werden genervt sein vom Streamen. Und dann werden sie wieder in die Kinos kommen", sagt Eisele. In Gemeinschaft eine Filmstory erleben, das könne man nur im Kino.