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Weltraum-Epos "Interstellar" Willkommen im Wurmloch

Wohin geht der Mensch, wenn die Erde stirbt? Christopher Nolan beantwortet die Frage in seinem Sci-Fi-Epos "Interstellar" mit Quantenphysik und Weltraum-Action - der Plot bleibt bei der Reise leider auf der Strecke.

"Früher blickten wir hoch in den Himmel und fragten uns, wo unser Platz in den Sternen ist, heute gucken wir nur noch zu Boden und denken über unseren Platz im Dreck nach": Cooper (Matthew McConaughey) ist desillusioniert. Früher war er ein tollkühner Testpilot, jetzt bewirtschaftet er Maisfelder, und seine größte Leistung besteht darin, ziellos umherfliegende Aufklärungsdrohnen abzufangen, auszuschlachten und ihre Roboterhirne in seine Mähdrescher einzubauen. Zusammen mit seinem halbwüchsigen Sohn und seiner zehnjährigen Tochter lebt er in einem Farmhaus, das an Dorothys Zuhause in "Der Zauberer von Oz" erinnert, drumherum erstrecken sich endlose Felder, vielleicht die von Kansas.

In naher Zukunft, so beginnt Christopher Nolans knapp dreistündiges Science-Fiction-Epos "Interstellar", droht die Erde zu verdorren. Gigantische Sandstürme fegen über Amerikas heartland hinweg, Mais ist das letzte Getreide, das noch wächst. Doch Hunger ist nicht das einzige Problem: Je weniger Pflanzen, desto weniger Sauerstoff - die Erde wird zum feindlichen Lebensraum, doch wohin soll die Menschheit fliehen?

Nolan, der zusammen mit seinem Bruder Jonathan das Drehbuch schrieb, nimmt den drohenden Öko-Kollaps zum Anlass, um eine neue, zeitgeistige Version seines erklärten Lieblingsfilms "2001 - Odyssee im Weltraum" zu entwerfen. Stanley Kubricks philosophisch-psychedelische Space-Oper beflügelte vor 45 Jahren die im Aufbruch begriffene Generation der 68er, die bereit war, die Grenzen des Bewusstseins und der Vorstellung zu erweitern. Dank Apollo-Kapseln und Mondlandung schienen die Sterne zum Greifen nah.

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Sci-Fi-Epos "Interstellar": Weltraum, Zeit und Liebe

Foto: Warner Bros.

In der ernüchterten Zukunftswelt von "Interstellar" gilt, zu Coopers Entsetzen, schon im Schulunterricht die Doktrin, das Weltraumprogramm der Nasa sei nur ein Popanz gewesen, um die Sowjetunion in den finanziellen Ruin zu treiben. Den notorischen Witz, dass Kubrick die Mondlandung in einem Filmstudio inszeniert habe, spart sich Nolan, aber es gibt viele andere, mehr oder minder dezente Referenzen an "2001" in "Interstellar".

Ein schwarzes Loch namens "Gargantua"

Die Nasa ist passend zum Zeitgeist in den Untergrund gegangen - und findet im Ex-Piloten Cooper genau den Pioniergeist und Draufgänger, den sie gesucht hat, um ein Himmelfahrtskommando zu starten: Vor Jahren schickte man eine Reihe Wissenschaftler durch ein ominöses, vielleicht von außerirdischen Mächten nahe Saturn platziertes Wurmloch, um in einer fernen Galaxie bewohnbare Planeten auszukundschaften. Kontakt ist über interstellare Entfernungen schwierig, so dass nun jemand hinterherfliegen muss, um die Bewohnbarkeit vor Ort zu überprüfen. Plan A: Um die Menschheit gegebenenfalls nachzuholen, oder, Plan B: um mit tiefgekühlten befruchteten Eizellen eine neue Zivilisation zu gründen.

Tränenreich verabschiedet sich Cooper von seinen Kindern, um die Menschheit zu retten. Vor allem die kleine Murphy (Mackenzie Foy), die ihrem Daddy in Sachen Abenteurersinn und Wissensdurst nacheifert, fühlt sich im Stich gelassen und ringt Cooper das Versprechen ab, zu ihr zurückzukehren. Die Bringschuld wird zum emotionalen, mit reichlich Familien-Pathos und Cowboy-Spirit ausgestattetem Leitmotiv des Films, der sich von da an auf eine visuell oft überwältigende, teilweise packende und actionreiche Weltraum-Odyssee zu fremden Welten, durch Wurmlöcher und ein "Gargantua" genanntes Schwarzes Loch begibt.

Nebenfiguren wie die Tochter des Nasa-Masterminds Professor Brand (Michael Caine), gespielt von Anne Hathaway, sowie einige Mit-Astronauten (Wes Bentley und David Gyasi) dienen Cooper als Dialogstützen für allerlei metaphysische und quantenphysikalische Überlegungen über die existenziellen Fragen der Menschheit. Für humorige Einlagen sorgen zudem zwei aufwendig konstruierte und animierte Roboter, schlaubergernde Techno-Geschöpfe zwischen Kubricks Hal 9000 und R2-D2. Einen amüsanten Cameo-Auftritt eines weiteren Hollywoodstars auf einem zum Eisklumpen erstarrten Planeten gibt es auch noch, ebenso wie eine riesige Tsunami-Welle, die selbst Profi-Surfern Respekt einflößen dürfte.

Brillant im Detail, aber...

"Interstellar" ist, ganz klar, das Kino-Ereignis des Herbstes und wird im Zuge der neuerlichen Weltall-Begeisterung, die Alfonso Cuaróns Space-Kammerspiel "Gravity" auslöste, ein Massenpublikum in Gedankenspiele über die Relativitätstheorie und Astrophysik verwickeln. Das allein ist eine Leistung, die wohl nur ein zurzeit mit allen erdenklichen Freiheiten ausgestatteter Blockbuster-Lieferant wie "Dark Knight"-Regisseur Nolan vollbringen kann. Wie kein anderer Filmemacher seiner Generation steht er für intelligentes, ambitioniertes Massen-Kino.

Überwältigend in seiner mit Hans Zimmers an- und abschwellenden Orgelklängen dramatisierten Epik ist "Interstellar" allemal. Allerdings wünscht man sich zuweilen, ein strenger Produzent hätte Nolan in seiner Freizügigkeit beschnitten, denn Plot-Stringenz und Dramaturgie gehörten noch nie zu dessen Stärken. Zwar versteht er es geschickt, Ungereimtheiten mit Action zu übertünchen. Andererseits bleibt sein Film eine an der Oberfläche schillernde, aber undurchdringliche Kugel wie der Gravitationsstrudel "Gargantua", in denen sich Zeit und Raum auf unerklärliche Weise zu einem ewigen Kreis schließen. Und es Cooper letztlich erlauben, kosmische Distanzen und Jahrzehnte zu überbrücken.

Die Faszination von "2001" besteht bis heute darin, dass Kubrick seine sinfonisch aufgebaute Transzendenz von Zeit und Raum eben nicht erklären wollte, geschweige denn konnte - sie bleibt zugunsten von Ästhetik und Komposition der Imagination überlassen, to the wonder. Nolan scheitert am Versuch, seine fantastische Reise wissenschaftlich fundieren zu wollen und gleichzeitig seinen zahlreichen Kino-Vorgängern und Inspirationen gerecht zu werden, von "Oz" bis "Odyssee". Dabei brilliert und verblüfft er, wie schon in seinen Batman-Filmen und natürlich in "Inception" oder "Memento" , immer wieder im Detail.

Das große Ganze aber, Herz und Zusammenhalt seiner Story, verliert er aus den Augen.

Interstellar

Regie: Christopher Nolan

Buch: Christopher Nolan, Jonathan Nolan

Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, John Lithgow, Mackenzie Foy, Jessica Chastain, Casey Affleck, Ellen Burstyn, Wes Bentley, David Gyasi

Produktion: Lynda Obst Productions, Paramount, Syncopy, Legendary, Warner Bros

Verleih: Warner Bros.

Länge: 169 Minuten

Start: 6. November 2014

Interstellar:offizielle Website zum Film 
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