Kinothriller "Caché" Schrecken verstecken
Mit der Angst im Kino ist das so eine Sache. Hinter Schlafzimmergardinen aufblitzende Messer oder teuflische Visagen können uns einen gehörigen Schrecken einjagen, nachhaltige Beunruhigung verbreiten solche Bilder beim geübten Filmkonsumenten aber schon lange nicht mehr. Ein echtes Gefühl der Bedrohung kann im Kino vielleicht nur noch aus den aller banalsten Bildwelten erwachsen - so wie aus dem Videoband, das in diesem Film einer arrivierten Kleinfamilie anonym zugespielt wird. Darauf ist nichts anderes zu sehen als das eigene städtische Anwesen, aus dem der Hausherr heraustritt.

Michael Hanekes "Caché": Erosion der Sicherheit
Was soll man mit so einem Band anfangen? Georges (Daniel Auteuil) und seine Frau Anne (Juliette Binoche) sind ratlos. Er ist Literaturkritiker mit eigener Fernsehsendung, sie arbeitet als Lektorin. Das Entziffern und Interpretieren gehört also zu ihrer Profession, doch hier endet die Deutungshoheit der beiden. Ob sie das obskure Tape nun anstarren oder es im Schnelldurchlauf abspulen - es verrät erstmal nicht, was der Produzent dieser Bilder eigentlich bezweckt. Sie verbreiten keinen Schrecken, filtrieren aber eine gestaltlose, massive Angst ins bildungsbürgerliche Refugium.
"Caché" hat der Österreicher Michael Haneke, der seit geraumer Zeit in Frankreich arbeitet, seinen Film genannt. Unsichtbar, verborgen, geheim: So lauten die lexikalischen Übersetzungen, die der Verleiher denn auch als deutschen Untertitel gewählt hat.
Aus gutem Grund: Der Zuschauer fungiert nicht als Ermittler, der Hinweise sammelt, um diese korrekt zu kombinieren und dadurch eine detektivische Genugtuung zu erlangen. Das Geheime bleibt geheim; es gibt keine Lösung - und erst recht keine kathartische Auflösung. Dazu bleibt Haneke zu sehr auf Distanz zu der verunsicherten Familie. Der Zuschauer ist also einerseits nicht schlauer als die Figuren im Film, darf andererseits aber nicht mit ihnen leiden. Aktives Zuschauen könnte man Hanekes Technik nennen, das Publikum ist zur schonungslosen Selbstbefragung gezwungen.
Denn wie will man sie denn nun verstehen, die stillen Erschütterungen, von denen Hanekes humanistischer Haushalt aus Vater, Mutter und Kind, aus Bücherborden, Weinregalen und Videoschrankwänden heimgesucht wird? Mit dem Vertrauen hapert es offensichtlich zwischen den Eheleuten, der Sohn geht bald auf Distanz zu seinen Eltern.
Es könnte sein, dass die Frau ein Verhältnis hat. Und es könnte auch sein, dass der Vater und TV-Talker karrieretechnisch doch nicht so fest im Sattel sitzt, wie das den Anschein hat. Als nämlich ein weiteres obskures Videotape beim Arbeitgeber auftaucht, bittet der ihn freundlich, aber bestimmt zur zügigen Aufklärung der Angelegenheit - schon deshalb, weil man doch den geplanten Ausbau der Literatursendung nicht gefährden wolle.
Es treffen weitere Bänder ein - und konfrontieren den Fernsehmann mit seiner Kindheit: Als er sechs war, nahmen sich seine Eltern einer algerischen Waise an. Weil er den Fremden nicht bei sich wohnen haben wollte, drängte der kleine Georges ihn mit kindlicher Perfidität aus dem Haus. Er stiftete ihn dazu an, einen Hahn zu köpfen - wofür der andere dann ins Waisenhaus verfrachtet wurde. Nachforschungen zu den Videobändern führen den TV-Prominenten nun zu dem Widersacher aus Kindertagen. Der versichert jedoch, nichts von den Tapes zu wissen. George droht dem Algerier trotzdem mit Ärger. Berechtigte Panik, verdrängte Schuldgefühle oder reine Paranoia? Der Film gibt keine eindeutige Antwort.
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten wie "Benny's Video" oder "Funny Games", deren brachialer medienpädagogischer Impetus oft den klassischen Erzählrahmen sprengte, variiert der Regisseur Haneke mit "Caché" raffiniert das Thrillerfach. Er ahmt die Struktur des Genres nach, ohne sich dessen Zwangsläufigkeiten zu unterwerfen.
Wie in so vielen anderen Filmen der Sparte gerät die empfindlichste aller sozialen Einheiten, die Familie, in Gefahr. So kommt "Caché" gewissermaßen als Arthouse-Variante von "Cape Fear" daher. Die Bedrohung wirkt allerdings viel monströser als die Fratze Robert De Niros, der in Scorseses Thriller den psychopathischen Schurken gab - eben weil diese Bedrohung irgendwo in der Biographie des Helden vergraben ist. Da erscheint es nur konsequent, dass der Fremde, der anfänglich für die Ursache allen Übels gehalten wird, durch Suizid aus der Handlung scheidet - und die Verunsicherung sich trotzdem nicht auflöst.
In Hanekes kühlem Schocker ist viel aktueller gesellschaftlicher Zündstoff: Fremdenangst, mediale Manipulation, brüchige Sozialstrukturen. Der wahre Horror aber erwächst vor allem aus einer sehr menschlichen Eigenschaft: die Unfähigkeit, die Konfrontation mit sich selbst zu ertragen. Ein Film, der wirklich Angst macht.