Kirill Serebrennikov Kreml-kritischer Regisseur festgenommen

Kirill Serebrennikov
Foto: Bernd Weissbrod/ dpaDer russische Theater-, Opern- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov, der der russischen Führung offen kritisch gegenüber steht, ist wegen angeblichen Betrugsverdachts festgenommen worden. Das teilte das Staatliche Ermittlungskomitee am Dienstag in Moskau mit. Der Leiter des Moskauer Gogol-Zentrums stehe im Verdacht, zwischen 2011 und 2014 staatliche Gelder von 68 Millionen Rubel (knapp eine Million Euro) veruntreut zu haben.
Serebrennikov wurde in Sankt Petersburg festgenommen, wo er sich zu Dreharbeiten aufhielt. Er wurde zu weiteren Vernehmungen nach Moskau gebracht. Er bestreitet jegliche Schuld. Die Entscheidung über einen Haftbefehl könne noch am Dienstag fallen, sagten Justizquellen der Agentur Interfax. "Weil Serebrennikov als Drahtzieher des Betrugs verdächtigt wird, ist bei ihm Freiheitsentzug wahrscheinlich", sagte ein Sprecher. Dies würde Untersuchungshaft bedeuten, im günstigeren Falle Hausarrest.
Die Justiz wirft Serebrennikov Betrug in einem besonders schweren Fall vor. Der entsprechende Paragraf des russischen Strafrechts sieht hohe Geldstrafen oder bis zu zehn Jahre Haft vor. Zwei von Serebrennikovs früheren Mitarbeitern sind in derselben Sache bereits im Mai festgenommen worden, auch Serebrennikov war damals kurzzeitig festgesetzt worden.
Das Gogol-Zentrum gilt als eines der besten Theater Moskaus und ist vor allem beim liberalen gebildeten Publikum beliebt. "So viele Menschen wollen mit dir ins Gespräch kommen, einfach weil es keine Medien gibt, in denen noch ernsthafte Auseinandersetzungen stattfinden", hat Serebrennikov Anfang des Jahres im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE über den Status des Theaters in Moskau erzählt. "Die Leute werden von Propaganda überschüttet - durchs Fernsehen, durchs Radio, durch die Zeitungen."
Der Konflikt um mögliche Veruntreuungen am Gogol-Zentrum schwelt seit mehreren Monaten. Bereits im Mai wurden das Theater sowie Serebrennikovs Wohnung durchsucht. Die Polizei holte Serebrennikov damals ab. Es hieß, er sei ein Zeuge im Fall der angeblichen Veruntreuung. Noch am selben Abend wurde er wieder freigelassen. Weil aber sein Pass eingezogen war und er nicht ins Ausland reisen durfte, fürchtete auch er eine Festnahme.
Anstoß an Homosexualität?
Laut einer knappen Mitteilung der Ermittlungsbehördem ging es damals um umgerechnet 3,2 Millionen Euro von Staatsgeldern, die demnach zwischen 2011 und 2014 von unbekannten Personen aus der Leitung der Produktionsfirma "Siebtes Studio" gestohlen worden sein sollen. Serebrennikov leitet das Theaterstudio seit 2012.
Der ehemalige Generaldirektor und die ehemalige Chefbuchhalterin des "Siebten Studios" wurden damals festgenommen, in den Vernehmungen hat die Buchhalterin Serebrennikov belastet. Den Vorwurf der Veruntreuung hat er jedoch mehrfach zurückgewiesen. Nach Serebrennikovs Angaben werfen die Ermittler ihm vor, eine bestellte Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" sei nicht zustande gekommen. Die Aufführung ist allerdings mehrfach in Russland und im Ausland gezeigt und in den russischen Medien besprochen worden.
Das Verfahren um mögliche Veruntreuungen ist nicht der einzige Konflikt, der Serebrennikovs Arbeit in Russland zusetzt. Erst im Juli hatte das Moskauer Bolschoi-Theater drei Tage vor der Welturaufführung eine Ballett-Inszenierung Serebrennikovs über den russischen Startänzer Rudolf Nurejew abgesagt. Das Bolschoi dementierte damals, es hätte die Aufführung abgesagt, weil in dem Stück Nurejews Homosexualität offen thematisiert würde. Doch der Fall erinnert an ein Filmprojekt Serebrennikovs: Vor einigen Jahren wurden ihm bereits genehmigte Fördergelder für ein Filmprojekt über Pyotr Tschaikowsky entzogen, weil bekannt wurde, dass Tschaikowskys Homosexualität im Film vorkommen sollte.
"Schwere Folgen für die Atmosphäre im Land"
International ist Serebrennikov vor allem als Film- und Opernregisseur bekannt: Im Januar 2017 lief in den deutschen Kinos sein religions- und gesellschaftskritischer Film "Der die Zeichen liest" an, für den er nach den Erfahrungen mit dem Tschaikowsky-Projekt keine russischen Fördergelder mehr einwarb und ihn stattdessen komplett international finanzierte.
Immer wieder arbeitet Serebrennikov auch an deutschen Opernhäusern. An der Komischen Oper Berlin ist zurzeit seine Inszenierung von "Der Barbier von Sevilla" zu sehen. Im Oktober soll Serebrennikov in Stuttgart die Märchenoper "Hänsel und Gretel" inszenieren.
"Das wird schwere Folgen für die Atmosphäre im Land haben", sagte der Publizist Nikolai Swanidse, zugleich Mitglied im Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten. Der Filmemacher Pawel Lungin und der frühere Finanzminister Alexej Kudrin riefen dazu auf, Serebrennikow nicht in Haft zu nehmen. "Die Festnahme eines Regisseurs schießt eindeutig über das Ziel hinaus", schrieb Kudrin auf Twitter.
Korrekturhinweis: In einer früheren Fassung hatten wir geschrieben, dass Serebrennikov in Moskau vernommen worden sei. Tatsächlich wurde er in Sankt Petersburg verhaftet.