Neuer Bond-Film "Skyfall" Heul doch, James!
Am Dienstagabend feiert James Bond im großen Stil in London Weltpremiere: "Skyfall" läuft in Großbritannien an (deutsche Zuschauer müssen noch bis zum 1. November warten), der 23. Film der Bond-Reihe, die vor 50 Jahren mit "Dr. No" startete. Neben den üblichen Karambolagen mit den neuesten Modellen großer Automarken legt der britische Regisseur Sam Mendes ("American Beauty") vor allem Wert auf die psychologische Ausdeutung: Am Ende des Zweieinhalb-Stunden-Action-Epos führt die Handlung ins verwaiste Elternhaus des Helden in den schottischen Highlands. Doch lohnt sich der Ausflug dorthin auch für die Zuschauer?
Vier SPIEGEL-ONLINE-Kritiker sagen, was sie vom neuen Bond halten.
Vollwaise auf Gewaltreise

Bond in "Skyfall": Bedingungslose Kampfmaschine - mit einem labilen Kern
Foto: Sony Pictures"Wolkenbruch"? Wer verdammt noch mal nennt sein Anwesen "Wolkenbruch"? Aber genau so, eben "Skyfall", heißt das Zuhause von James Bond in den endlosen Weiten der schottischen Highlands, das er drei Jahrzehnte nicht mehr besucht hat. Wie ein verwaistes Familienanwesen in einem Klassiker von Hitchcock oder Welles liegt es da und beherbergt das Geheimnis des Titelhelden. Hier wurde er, was er ist: die bedingungslose Kampfmaschine - mit einem labilen Kern.
Regisseur Sam Mendes inszeniert den Action-Thriller als psychologisches Drama: Das Trauma von 007, dem früh und gewaltsam die Eltern abhanden gekommen sind, wird vom britischen Theatermann als Antriebskraft interpretiert. Ein Versuch, dem Spion tragische Größe zu verleihen. Allerdings kein ganz neuer. Craig versuchte die Figur trotz der Ich-leg-dich-jetzt-sofort-hier-und-jetzt-flach-Attitüde ja zuvor schon mit zeitgemäßer männlicher Empfindsamkeit zu verkörpern - was ihm bislang stets nur halb gelang.
Neben den gängigen, nicht besonders spektakulären Karambolagen gibt es im neuen Bond also wieder Melodramatisches. Phasenweise zittert dem traumatisierten und inzwischen alkoholkranken 007 die Hand so stark, dass er mit dem Revolver das Ziel verfehlt. Am Ende gibt es trotzdem mit anachronistischen Schusswaffen ein anständiges Shoot-out. Die Wut, sie steht der Vollwaise Bond diesmal recht gut. Christian Buß
Psychoquark ohne Erotik

Judi Dench beim "Skyfall"-Dreh: Noch bräsiger als sonst
Foto: Sony PicturesUm nicht zu viel von der Top-Secret-Handlung zu verraten, schauen wir uns mal an, was der Werbetrailer offenbart. Zunächst viel Getöse. Kampfchoreografie und sonstiger Krawumm sind so amtlich realisiert, wie man das bei geschätzten Herstellungskosten von 200 Millionen Dollar erwarten kann. Die Action-Abteilung hat also top gearbeitet. Kann da der überschätzte Beziehungskistenregisseur Sam Mendes was für?
Dessen Domäne dürfte eher der Psychoquark sein, in anderen Kritiken gerne mal "Tiefgang" genannt. Bond, angeschossen und für tot gehalten, rutscht nämlich in eine Sinnkrise ab, die sich wohl auch auf die Libido niederschlägt. Viel mehr Erotik als im Trailer gibt's nämlich nicht. Tiefpunkt statt Tiefgang.
Mehr als Daniel Craig, der sich nun endgültig mit dem stiernackigen Charme des staatlich lizenzierten Totschlägers nach Connery, Brosnan, Moore und Lazenby als fünftbester 007-Darsteller etabliert hat, macht da schon Javier Bardem her. Der flamboyanteste Bond-Gegenspieler seit 1977, mit fast so diabolischer Haartracht wie in "No Country for Old Men", spricht den Schlüsselsatz: "Mami war sehr böse."
Nun ist das aber das Allerletzte, was man im Bond sehen will. Der Schurke soll böse sein, aber doch nicht Mami. Mami (noch bräsiger als sonst: Judi Dench) sollte gar nicht mitspielen, wir sind ja hier nicht bei Hitchcocks "Psycho". Aber das kommt davon, wenn Comic-Charaktere aus dem Edeltrash-Umfeld, wo sie eigentlich hingehören, herausemanzipiert werden sollen. Als Pop war James Bond mal Weltklasse, nach küchenpsychologischer Renovierung ist er nur noch zweite Liga. Andreas Banaski
Der Feind lauert in der Seele

Bond in "Skyfall": Versteckt in der eigenen Seelenlandschaft
Foto: Sony PicturesWer Bond-Filme mit zu viel Bedeutung belastet, verdirbt dem Publikum den Fun an der Action, so sollte man meinen. Doch Daniel Craig, der schauspielerisch kompetenteste Bond-Darsteller, den die Serie bisher hatte, bringt Charakterwidersprüche und Seelenkonflikte in "Skyfall" plausibel auf die Leinwand. Man ahnt es bald: Bonds gefährlichster Feind kommt von innen. Ganz innen. Versteckt sich in der eigenen Seelenlandschaft. Und man wird recht bekommen.
Bedient sich der brillante Regie-Kopf Sam Mendes in den ersten beiden Dritteln von "Skyfall" mit all den Verfolgungsjagden und Schießereien im bestens bekannten dramaturgischen Arsenal des Genres, so sprengt er dessen Grenzen virtuos im Finale. Mit M (Judi Dench) als Köder zieht sich James Bond an die Stätte seiner Kindheit zurück, ins nebelverhangene schottische Hochland. Im DB5, im grauen Bond-Mobil, fährt er die Chefin des MI6 zum Landsitz Skyfall, wissend, dass ihnen Schurke Raoul Silva auf den Fersen ist. Im eigenen Elternhaus verschanzt, unweit vom Grab der Eltern Andrew Bond und Monique Delacroix, bereitet er sich auf den Angriff Silvas vor. Der - einst auch ein MI6-Agent, allerdings verstoßen und verraten - scheint nun am Ziel seines Rachefeldzugs: der Tötung von M.
Schauerlich-gespenstisch, als wäre es das letzte Kapitel einer Gothic-Novel, inszeniert Mendes den Endkampf zwischen Gut und Böse. Bond und Silva, das sind im Grunde Brüder, nicht biologisch, aber in Seele und Schicksal. Psychoanalytisch geschulte Geister werden ihre Freude haben an der Pointe des Plots. Und wenn es uns bis dahin entging, dann merken wir es spätestens mit "Skyfall": M, das ist der erste Buchstabe des Wortes "Mother". Michael Marti (Autor des Buches "James Bond und die Schweiz" und stellvertretender Chefredakteur von tagesanzeiger.ch)
Bond liegt am Boden

"Skyfall"-Plakat in der U-Bahn in London: Da liegt Bond!
Foto: Siegfried TescheDa liegt er nun. Bond am Boden. Auf einem Plakat in der Londoner U-Bahn. Bond liegt und Bond schießt. Das ist neu. Auf den Plakaten der 007-Reihe seit dem Jahr 1962 trat uns stets der bestimmende Held gegenüber, der weltläufige Top-Agent. Er hat eine (gerne auch mehrere) leicht bekleidete Frauen im Arm. Um ihn herum explodieren Dinge, Fäuste fliegen durch die Luft, Fahrzeuge in der Regel auch. Aber Bond am Boden?
Die Wahl des Plakatmotivs erklärt sich wohl dadurch, dass er dieses Mal wirklich verletzt und getroffen ist, nahezu am Boden zerstört sogar. Aber für wen kämpft Bond denn auch? Wofür setzt er sein Leben aufs Spiel? Seine Eltern starben, so ist es in Ian Flemings Romanen zu lesen, bei einem Bergunfall in den Schweizer Alpen. Vesper Lynd, seine erste große Liebe, entpuppte sich als Doppelagentin und ging in den Tod. Seine Frau wurde "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" auf dem Weg in die Flitterwochen erschossen - in Roman und Film. Und wenn Bond an Tracys Grab steht und Blumen niederlegt (wie "In tödlicher Mission") quält ihn der Schmerz der Erinnerung.

Die James-Bond-Filmplakate: 007 als Posterboy
Wer bleibt ihm also? Es sind drei Menschen, seine Ersatzfamilie: M, Q und Miss Moneypenny. Und was ist das Ziel von "Skyfall"-Bösewicht Silva? Die Jagd auf M. Also schützt Bond nicht das Vaterland, sondern seine Ersatzfamilie und das - ausgerechnet! - auf dem heimischen Anwesen in Schottland, wo selbst die hauseigene Kapelle keinen wirklichen Schutz bietet. Dort muss Bond dann weinen. Als Peter Hunt 1969 den Tod von Bonds Frau inszenierte, verbat er dem Agenten jede Träne. Jetzt durfte er.
Und wir warten auf einen noch radikaleren Bond. 007 hat einen unehelichen Sohn namens James Suzuki, der in dem Roman "Man lebt nur zweimal" geboren wird. Sollte der je in einem Film auftauchen und in Gefahr geraten, Bond wäre wahrhaftig am Boden. Mal sehen, ob die Produzenten sich das trauen. Siegfried Tesche