
Künstlerkomödie von Andreas Dresen Whisky, Wodka und Tango im Gesicht
Ist das nun Fahrlässigkeit oder vorbildliche Rollenvorbereitung? Als der alternde Schauspieler Otto Kullberg (Henry Hübchen) eine Szene hat, in der er als leicht alkoholisierter Lebemann eine Cognacflasche durchs Bild schwenken muss, erscheint er sternhagelvoll am Set. Wer es gut mit ihm meint, darf ihm attestieren, er lebe seine Rollen. Leider verpatzt der gefährlich schwankende Star jeden Einsatz, dabei muss er doch bei seinem Auftritt eigentlich nur im richtigen Moment sein Lieblingswort sagen: Arschloch.
Doch einer wie Kullberg lässt sich nicht lenken, der lenkt selbst. Und zwar das gesamte Team - vom persönlichen Assistenten, der den Kaffee in der Thermoskanne mit der richtigen Menge an Schnaps zu versetzen hat, bis zum Regisseur, der schon mal Szenen nach dem Gemütszustand seines Hauptdarstellers umschreiben muss. Zaghafte Anweisungen seitens des Spielleiters werden von Kullberg meist abschlägig beschieden. Einer der schönsten Dialoge im Film "Whisky mit Wodka", platziert in den Dreh einer aufwändigen Tanzszene, geht so: "Otto, geht ein bisschen mehr Tango? Ich meine, mit den Füßen." Die Antwort des Alten: "Tango? Hab ich im Gesicht."
Nein, Kullberg ist nicht der Typ für übertriebene Körperlichkeit; er setzt auf Aura statt Verausgabung. Blöde nur, dass die Produzenten dem alten Selbstdarsteller einen modernen, jungen und experimentierfreudigen Gegenpart vor die Nase setzen: Arno Runge (dargestellt vom Burgtheater-Schauspieler Markus Hering) ist so ein Regietheaterfatzke, der seine Rolle umständlich ausdiskutieren und physisch aufpeppen will.
Alle Szenen werden doppelt gedreht, einmal mit King Otto, einmal mit Kronprinz Runge. Sollte Kullberg am Ende alkoholbedingt ganz ausfallen, nimmt man eben die Parts seines Konkurrenten. Als Ansporn, sich mehr ins Zeug zu legen und weniger tief in die Flasche zu gucken, macht der Zukauf nach Meinung der Geldgeber allemal Sinn. Also muss auch Otto bald Boxszenen und andere gymnastische Übungen absolvieren. Erstaunlich, was seine alten Knochen noch hergeben.
Auf dem Jahrmarkt der Lächerlichkeiten
Männer in lustigen Unterhosen und Frauen in schicken Negligees, pillenschluckende Regisseure und cholerische Produzenten: Andreas Dresen ("Halbe Treppe") hat einen Film übers Filmemachen gedreht, eine Tragödie über falschen Glamour und echte Verzweiflung, eine Komödie über aberwitzige Patzer und knallende Wohnwagentüren.
Klar, das mag auf den ersten Blick ein wenig abwegig erscheinen. Ausgerechnet Dresen, der mit der wackeligen Handkamera Beamten ("Die Polizistin") und Imbissbesitzern ("Halbe Treppe) durch die ostdeutsche Tristesse gefolgt ist, soll sich jetzt in verspielten Film-im-Film-Konstruktionen üben? Ausgerechnet Dresen, der präzise die schmucklose Welt von Gebrauchtwagenhändlern ("Willenbrock") und Arbeitslosen ("Sommer vorm Balkon") porträtiert hat, begibt sich auf den Jahrmarkt der Lächerlichkeiten?
Wenn man genauer hinschaut, erkennt man aber, dass es sich bei "Whisky mit Wodka" um einen echten Dresen handelt: Denn natürlich ist auch sein tragischer Held Otto Kullberg ein Opfer der Verhältnisse - und, zugegeben, der eigenen Eitelkeiten. Auf narzisstische Extratouren, für artistische Kreativmaschen, für umständliches Ausprobieren hat man heutzutage ja auch im deutschen Filmbetrieb keine Zeit mehr. Rationalisierung und Preiskampf bestimmen dort wie im Rest der Gesellschaft das Geschäft. Auch hinter einem Star wie Kullberg steht immer einer, der es williger und billiger macht. Schon mal an Vorruhestand gedacht, Otto?
Kollektiv der Eitelkeiten
Dabei basiert Dresens Arbeitsweltbesichtigung auf einer schon historischen Begebenheit: Der Defa-Regisseur Kurt Maetzig drehte 1957 mit seinem alkoholgefährdeten Hauptdarsteller Raimund Schelcher "Schlösser und Katen" in Doppelbesetzung. Der ostdeutsche Drehbuchveteran Wolfgang Kohlhaase, der mit "Berlin Ecke Schönhauser" oder "Solo Sunny" für einige der feinsten Dialoge in Defa-Klassikern verantwortlich zeichnet, verarbeitete die Ereignisse nun für Dresen zu einer Hommage ans Filmemachen, in der die ostdeutsche Geschichte erst in die gesamtdeutsche Gegenwart und schließlich in eine universale Reflexion über die Kunst des Illusionismus überführt: Was ist ein Filmteam anderes als ein Kollektiv der Eitelkeiten, in dem Wunschdenken und ökonomische Wirklichkeit unversöhnlich aufeinander prallen?
Beim Filmemachen, so wie es Dresen und Kohlhaase sehen, ist es so: Jeder agiert hier gegen jeden, und alle zusammen begehren gegen die Wirklichkeit auf. In seinen besten Momenten erinnert "Whisky mit Wodka" an Truffauts "Amerikanische Nacht", den vielleicht reinsten und wahrsten Film über das Kino. Wie der Franzose verdichten auch die Deutschen jede kleine Vögelei und Narretei zum großen kreativen Kampf, wie im Klassiker haben auch die amourösen Verstrickungen vor der Kamera Auswirkungen auf die dahinter.
Saufen als Maß aller Dinge
In einem der gelungensten Momente von "Whisky mit Wodka" sieht man die in Liebesdingen eher erratische Hauptdarstellerin Bettina Moll (Corinna Harfouch) dreimal bei der gleichen Liebesszene: erst mit dem einen Filmpartner, dann mit dem anderen, schließlich mit ihrem Regie-führenden Ehemann (Sylvester Groth). Beinahe unmöglich zu sagen, welcher Kuss echt und welcher gespielt ist.
Paradoxerweise ist es ausgerechnet der ewig beduselte Altstar Kullberg, der inmitten des entfesselten Illusionismus einen klaren Blick behält. Sein junger, ehrgeiziger Gegenpart fädelt nämlich eine Sauftour ein, durch die er Otto endgültig aus dem Verkehr ziehen will. Während der Frischling seine Schnapsgläser anfangs in den Blumentopf schüttet, trinkt der Veteran seine korrekt aus. Am nächsten Morgen ist trotzdem der Junge seinen Job los, während der Alte erfolgreich die Dreharbeiten zu Ende bringt.
Da blitzt kurz mal so etwas wie eine Moral auf in dieser ansonsten angenehm moralfreien Studie über Selbstbetrug und Gemeinschaftslüge, über Wirklichkeitsverlust und Weltenerfindung: Wer beim Saufen schummelt, hat sowieso schon verloren.