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Oscar-Anwärter "La La Land" Ein unwiderstehlicher Groove

Ist das der Film, auf den sich in dieser Oscar-Saison alle einigen können? Das Musical "La La Land" mit Emma Stone und Ryan Gosling erzählt die bittersüße Romanze eines Träumerpärchens in Hollywood.

"Wie willst du zum Revolutionär werden, wenn du so ein Traditionalist bist?", wird der in alten Jazz vernarrte Pianist Sebastian (Ryan Gosling) in "La La Land" gefragt. Das ist durchaus auch als Selbstgespräch des Regisseurs zu verstehen: Damien Chazelle, ein Hobby-Jazzer, ist erst 31 Jahre alt, hat aber Hollywood bereits nachhaltig verzaubert.

Vor zwei Jahren begeisterte er mit "Whiplash!" Publikum und Kritiker. Das furiose Drummer-Drama gewann drei Oscars und bescherte Chazelle eine Nominierung als bester Drehbuchautor. Mit seinem dritten Film, bei dem er erneut Regie führte und das Drehbuch selbst schrieb, steht der Filmemacher nun an der Schwelle zum ganz großen Ruhm: "La La Land" zählt zu den großen Favoriten bei den wichtigen Preisverleihungen der Branche in diesem Winter, den Golden Globes und den Oscars. Gelobt wird Chazelle vor allem dafür, ein traditionelles Hollywood-Genre, das Musical, mit neuen Impulsen zu versehen.

Ob er das wirklich tut, darüber lässt sich streiten. Es gehört zum Charme von "La La Land", dass der Film Tradition und Moderne miteinander in Dialog setzt, mit viel Chuzpe und Sentiment zum Schwingen bringt. Die intensive Leidenschaft für die große Gefühls- und Eskapismuskunst Kino ist so entwaffnend spürbar in diesem Film, dass man ihm seine nostalgische Naivität nicht nur gerne verzeiht, sondern sich von ihr sogar wohlig umarmen lässt.

Jeder in seiner eigenen Blechblase

Das Thema von "La La Land" ist so alt wie Hollywood selbst, denn es handelt von den Verheißungen der Entertainment-Metropole an der kalifornischen Westküste. "La La Land", das ist ein alter Kosename für Los Angeles, die unwirkliche Showbiz-Megalopolis unter Palmen, in der zu jeder Jahreszeit perfektes Sommerwetter herrscht (worüber sich der Film lustig macht).

Bis heute zieht sie Millionen Träumer an, die mit ihrer künstlerischen Ambition nach den Sternen greifen wollen - als Schauspieler, Tänzer, Musiker, Sänger, Autor, ganz egal. Sie alle kommen nach L.A. und stehen auf einem der Mega-Freeways im Stau, jeder in seiner eigenen kleinen Blase aus Blech - berauscht, aber nicht vom Smog, sondern von der Möglichkeit, ins Rampenlicht zu treten.

Fotostrecke

"La La Land": All that Jazz!

Foto: Studiocanal

Mit diesem Bild beginnt "La La Land", auf einer mehrspurigen Autobahn irgendwo im Moloch L.A. Es ist Winter, und die Sonne brennt. "Another Day of Sun" heißt dann auch die erste Song-and-Dance-Nummer, die den Film auf altmodische, aber schwungvolle Art eröffnet: Junge Menschen beginnen in ihren Vehikeln zu singen, steigen aus, tanzen über Autodächer, befreien eine Percussion-Gruppe aus einem U-Haul-Truck - und zelebrieren einen weiteren Tag auf der Jagd nach dem großen Traum.

Bittersüße Liebesgeschichte

Zu ihnen gehören auch Sebastian, der in seinem alten Straßenkreuzer-Cabrio Jazz aus dem Kassettenspieler hört - und die angehende Schauspielerin Mia (Emma Stone), die in ihrem ökogerechten Hybrid-Toyota fürs nächste Casting übt. Ihr erstes Zusammentreffen beginnt mit einer Dissonanz: Sebastian hupt Mia laut an, weil sie nicht rechtzeitig losfährt, als sich der Stau löst.

Verflixt bleibt es auch, als sie sich wenig später zufällig wiederbegegnen, in einer Bar, wo Sebastian gerade vom Manager ("Whiplash!"-Oscargewinner J.K. Simmons) gefeuert wird, weil er es nicht schafft, Weihnachtslieder herunterzuklimpern, ohne dabei in Free-Jazz-Improvisationen zu verfallen. Eine seiner Blue-Note-lastigen Etüden lockt Mia in den Klub. Als er hinausstürmt, will sie ihn ansprechen, doch er zeigt ihr buchstäblich die kalte Schulter.

Einige lustige Turbulenzen später sind sie beiden aber schon im purpur-orangenen Dämmerungspanorama in einer ersten gemeinsamen Tanz- und Gesangseinlage zu sehen, die klarmacht: Die beiden kabbeln sich zwar noch, aber sie sind einander bereits verfallen - weil jeder im anderen die eigene Hingabe an den Traum erkennt.

La La Land

USA 2016

Regie/Drehbuch: Damien Chazelle

Darsteller: Emma Stone, Ryan Gosling, John Legend, J.K. Simmons, Rosemarie DeWitt

Produktion: Black Label Media, Gilbert Films, Impostor Pictures, Marc Platt Productions

Verleih: Studio Canal

Länge: 128 Minuten

FSK: ohne Beschränkung

Start: 12. Januar 2017

Sebastian, der Jazz-Purist, hegt zu Hause einen Hocker, auf dem angeblich einst Piano-Legende Hoagy Carmichael saß und träumt davon, einen eigenen Klub zu eröffnen. Mia, über deren WG-Bett überlebensgroß Ingrid Bergmans Gesicht hängt, verausgabt ihr Talent in demütigenden Sekunden-Castings für generische TV-Serien, obwohl sie nach L.A. kam, um ihre eigenen Theaterstücke zu inszenieren.

Wie man Karriere macht und seinen romantischen Idealen treu bleibt, welche Kompromisse man dabei eingeht und letztlich auch schmerzhafte Konsequenzen man ziehen muss, davon erzählt "La La Land" entlang einer bittersüßen Liebesgeschichte, die nicht ganz so verkitscht endet, wie man es sich in einem auf die Vierziger- und Fünfzigerjahre rekurrierenden Hollywood-Musical erwarten würde. Sein Publikum dennoch von den Füßen in einen magischen Raum zu heben, wie Sebastian und Mia in einer grandiosen Szene im berühmten Griffith-Observatorium, das ist vielleicht die größte Innovationsleistung, die man Chazelle zuschreiben könnte.

Dabei braucht das Genre, das er angeblich erneuert, gar kein Revival, es floriert bereits seit Jahren wieder in der Populärkultur, von TV-Shows wie "Glee" und Teenie-Spektakeln wie "High School Musical" bis hin zu Musikfilmen ("Once", "Chi-raq") und Bühnenerfolgen wie "Hamilton". Der Kino-Auteur und ehemalige Hobby-Jazzer Chazelle drückt dem Trend vielmehr seinen persönlichen Stempel auf, vor allem sein eigenes, missionierendes Faible für Jazz, das sich in den flammenden Plädoyers Sebastians für das sterbende Genre im "La La Land" manifestiert.

Wie ein kompetentes Jazz-Trio

Schon in seinem Debütfilm "Guy and Madeline on a Park Bench" (2009), ging es um den Konflikt zwischen Ambition und Romanze. Die Hauptfiguren, ein ehrgeiziger Trompeter und ein antriebsloses Mädchen, hießen wie zwei Protagonisten aus Jacques Demys "Die Regenschirme von Cherbourg", der für "La La Land" ebenso als Blaupause diente wie der Gene-Kelly-Klassiker "Singin' In The Rain". Eine ähnliche Konstellation, freilich mit viel mehr Fokus auf der männlichen Figur, gab es auch in "Whiplash!". Nun variierte Chazelle sein Ur-Thema ein weiteres Mal.

Seine Filme sind sogar strukturiert wie Jazz-Kompositionen: ein packendes Auf- und Abwogen von Montagen, Motiven und Zitaten, akustisch illustriert von den sentimentalen, zum Teil aber sensationellen Songs und Kompositionen des Komponisten Justin Hurwitz, mit dem Chazelle auch bei "La La Land" erneut zusammenarbeitete.

"La La Land"-Trailer ansehen:

Aus Kompromissen und Konflikten bestehe der Jazz, erklärt Sebastian einmal im Film, und so ist auch dieser Film letztlich ein Balanceakt: Dass dieses unverschämte Kunststück gelingt, aus persönlichen Nerd-Passionen einen massenkompatiblen Hollywood-Film zu machen, ist einerseits Chazelles immer souveräner werdendem Inszenierungs-Swing zu verdanken, vor allem aber seinen beiden Hauptdarstellern.

Emma Stone und Ryan Gosling sind zum dritten Mal (nach "Crazy, Stupid, Love" und "Gangster Squad") zusammen auf der Leinwand zu sehen und harmonieren ganz offensichtlich hervorragend miteinander. Stone zeigt hier vor allem in den Casting-Szenen, allein auf ihr mimisches Talent zurückgeworfen, die bisher eindrucksvollste Leistung ihrer Karriere - und zieht durch ihr strahlendes Spiel auch Gosling ("Drive") aus seiner oft statisch wirkenden Stoffeligkeit.

Es klickt in dieser kompetenten Combo aus Regisseur und Darstellern wie in einem guten Jazz-Trio. Zusammen geben sie "La La Land" einen unwiderstehlichen Groove.

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