Musik-Doku "Marianne & Leonard - Words Of Love" Sie Sekretärin, er Popstar
Leonard Cohen schickt Verse aus dem Jenseits: "I'm almost at home, no-one to follow and nothing to teach." Das brummt der kanadische Sänger mit der legendären Grabesstimme in "The Goal", einem Song von "Thanks For The Dance", dem für Ende November angekündigten, posthum erscheinenden neuen Album: Ich bin fast zu Hause, muss niemandem folgen, nichts mehr beibringen.
Kurz vor seinem Tod am 7. November 2016 hatte Cohen seiner alten Liebe Marianne Ihlen noch etwas anderes versprochen. "Ich bin nur ein kleines Stück hinter dir, so nah, dass ich deine Hand berühren könnte", schrieb Cohen. "Wir sehen uns am Ende des Weges."
Die beiden sind schließlich im Abstand von nur dreieinhalb Monaten gestorben, im Tod endlich wieder vereint. So will es zumindest die rührende Geschichte um die Abschieds-Mail von Cohen, die Ihlen an ihrem Sterbebett erreichte. Der Dokumentarfilm "Marianne & Leonard - Words Of Love" zitiert diesen letzten Liebesbrief gleich zweimal.

Cohen hatte Ihlen schon einmal publikumswirksam verabschiedet, 50 Jahre zuvor. Sie ist die Marianne aus "So Long, Marianne", einem von Cohens bekanntesten Songs, 1967 auf seinem ersten Album erschienen. Kennengelernt hatten sie sich einige Jahre vorher auf der griechischen Insel Hydra, einem Aussteigerparadies für Menschen, die Sonne, Sex und Drogen nicht abgeneigt waren und romantische Vorstellungen von einem Künstlerleben hinter der Schreibmaschine hatten. Er war als erfolgloser Schriftsteller aus Montreal geflüchtet, sie aus Norwegen, hatte eine erste Ehe hinter sich und war alleinerziehend.
"Offene Ehe? Was soll das denn sein?"
Nick Broomfield, der britische Regisseur von "Marianne & Leonard", lernte Ihlen ebenfalls auf Hydra kennen. Es war das Jahr 1968 und Broomfield gerade 20. Die beiden liebten sich ein paar Wochen lang, und Ihlen ermutigte ihn, nach der Rückkehr nach England Filmemacher zu werden. So wie sie zuvor auch Cohen darin bestärkt hatte, Lieder zu schreiben. Das Verhältnis zwischen Ihlen und Cohen wandelte sich zu der Zeit gerade in eine On-off-Fernbeziehung und ging schließlich in die Brüche. Er wurde als Singer-Songwriter zum Weltstar, sie haderte mit den Folgen ihres alternativen Lebensentwurfs. Jahre später ließ sie sich in Oslo nieder, heiratete erneut und führte, wie man so sagt, ein normales Leben.
"Es war keine Liebesgeschichte wie aus der Pralinenschachtel", sagt Broomfield im Gespräch über Ihlens und Cohens Beziehung. Er betont, dass er selbst emotional involviert war und Ihlen als besondere Freundin sah. Broomfield reist mit dem Film also auch zum Ursprung seines eigenen Lebenswegs zurück.
"Marianne & Leonard - Words Of Love"
USA 2019
Buch und Regie: Nick Broomfield
Mit: Leonard Cohen, Marianne Ihlen, Judy Collins, Helle Goldman
Produktion: BBC, Kew Media Group
Verleih: Piece of Magic Entertainment
Länge: 119 Minuten
Start: 7. November 2019
Trotzdem wirkt "Marianne & Leonard" phasenweise wie aus anderer Leute Fotoalben abgefilmt. Broomfield hat damals auf Hydra nicht selbst gedreht und greift für die Zeit hauptsächlich auf Archivmaterial von D.A. Pennebaker zurück. Der im August 2019 gestorbene Dokumentarfilmer hatte Ihlen und ihren Sohn eine Zeit lang mit der Kamera begleitet. "Weiteres Material fand sich auf dem Dachboden eines Künstlers aus Norwegen", erzählt Broomfield. "Er hatte den Film noch gar nicht entwickelt. Es war eine Fleißarbeit, an all das Bildmaterial heranzukommen." Diese Aufnahmen werden aus dem Off angereichert mit Cohens Gedanken über die besondere Magie zwischen Mann und Frau.
Broomfields spezielle Masche ist, sich selbst zum Akteur seiner Dokus zu machen. Musikerporträts wie "Kurt & Courtney" und "Biggie & Tupac", aber auch zwei Filme über die mehrfache Mörderin Aileen Wuornos, die Broomfield über zehn Jahre lang bis zu ihrer Hinrichtung begleitete, sind so entstanden. Der Ansatz leuchtete auch Filmemachern wie Michael Moore ein und ist längst zu einem Standard bei Dokumentarfilmen geworden.
Absurderweise vertraut Broomfield seiner Strategie gerade bei diesem persönlichen Thema nicht so recht. Er führt stattdessen einen Haufen anderer Gewährsleute ein. Einen für Cohens Drogengeschichten, einen für Cohens Frauengeschichten, einen für Cohens erratische Management-Entscheidungen. Eine Freundin aus den Sechzigern erklärt, dass man einen solchen Mann - einen Dichter und Sänger! - unmöglich an sich hätte binden können. Sie ist es aber auch, die an den Hippiekram von der freien Liebe nicht mehr glauben will. "Offene Ehe? Was soll das denn sein?", fragt sie, obwohl sie damals selbst eine lebte.
Einfach zu Cohens Füßen
So erzählt "Marianne & Leonard" anhand einer Liebesgeschichte davon, was die Alternativkultur einst wollte und was davon übrig blieb. "Die Sechziger waren wie eine Suche nach einer höheren, spirituellen Art der Existenz", sagt Broomfield. "Marianne und Leonard waren ihr Leben lang auf dieser Suche, und mein Film spiegelt dieses Gefühl wieder: die Romantik, aber auch das Zerstörerische dieser Zeit."
Die übliche Rollenverteilung - er der geniale Künstler, sie die aufopfernde Muse - wirkt dabei wie ein Kollateralschaden. Ihlen erzählt selbst, wie sie auf der Terrasse einfach zu Cohens Füßen lag, um ihn zu inspirieren, während er schrieb. Er wiederum erinnert sich daran, dass sie das Essen nach Hause schaffte und ihm belegte Brote machte, auch wenn er auf Speed gar nicht so hungrig war. Sie wurde Sekretärin, er Popstar.
Broomfields Film betont diesen Gegensatz, ohne ihn werten zu wollen. Der Regisseur sieht das Problem weniger in den Geschlechterrollen als in der heutigen Wahrnehmung. "'Muse' ist mittlerweile ein verpöntes Wort. Das ist symptomatisch für unsere Zeit", findet er. "Marianne war sehr stolz darauf, die Person zu sein, die Leonard ermutigte, seine Wandlung vom Schriftsteller zum Sänger zu vollziehen. Sie hatte das Talent, die Stärke in Menschen zu erkennen, sie zu ermutigen, Risiken einzugehen, etwas Außergewöhnliches zu tun. Das ist eine Gabe, die nicht ausreichend gewürdigt wird."
Im Video: Der Trailer zu "Marianne & Leonard"
Leonard Cohen würdigte sie einst mit den Zeilen: "I'm standing on a ledge and your fine spider web is fastening my ankle to a stone." (etwa: Ich stehe auf einem Felsvorsprung, und deine feinen Spinnenweben binden meinen Knöchel an einen Stein). Und machte sich dann auf den Weg. "So Long, Marianne!"