
Liam Neeson: Zwischen Action und Arthouse
Action-Star Liam Neeson "Gott lacht über Pläne"
SPIEGEL ONLINE: Mister Neeson, wie wäre Ihre Reaktion ausgefallen, wenn man Ihnen vor zehn Jahren erzählt hätte, dass Sie im Frühjahr 2012 gleich in vier großen Actionfilmen zu sehen sind?
Neeson: Ich hätte die Person zum Arzt geschickt wegen Wahnvorstellungen, denn das klingt sogar heute noch unglaubwürdig. Schon seltsam, wie das Leben spielt. Ich hatte als Schauspieler früher nicht das geringste Bedürfnis, mit einer Waffe herumzurennen - doch gestern musste ich bei Dreharbeiten schon wieder einen Bösewicht erschießen. Aber sagen Sie mal: Welche vier Filme meinen Sie?
SPIEGEL ONLINE: Die Neustarts "The Grey - Unter Wölfen","Battleship" und "Zorn der Titanen" - sowie die 3D-Wiederaufführung von "Star Wars: Episode I".
Neeson: Ach ja, "Star Wars". Davon erfuhr ich auch erst aus der Zeitung, mitgearbeitet habe ich an der Neufassung nicht. Ich frage mich gerade, ob dafür noch mal eine Gage fällig wird...
SPIEGEL ONLINE: Wie wichtig ist Ihnen die Gage eigentlich bei einem Blockbuster wie "Battleship", in dem Sie als Admiral eine Alien-Attacke bekämpfen?
Neeson: Ich stand schon umsonst vor der Kamera, in anderen Fällen bin ich überbezahlt worden. Doch letztlich ist Geld nicht entscheidend. Ich denke auch nicht lange darüber nach, ob ein Projekt in meine Karriere passt, oder wie die Fachwelt reagieren mag. Bei "Battleship" rief mich mein alter Freund Peter Berg an, der Regie führte und produzierte. Ich kenne ihn als Schauspieler noch aus den Achtzigern - 48 Stunden später steckte ich auf Hawaii in der Uniform.
SPIEGEL ONLINE: Wie albern fühlt es sich an, Außerirdischen den Krieg zu erklären, wenn man vorher Filmgeschichte geschrieben hat mit "Schindlers Liste" oder "Rob Roy"?
Neeson: Das ist Hollywood! Mal berührt es uns mit ergreifenden Wahrheiten, dann unterhält es uns mit aufregendem Quatsch. Als Schauspieler versuche ich, meinen Platz zu finden und jedes Material ernst zu nehmen. Als ich für "Battleship" vor 500 Kadetten stand, um eine Rede zu halten, war ich nicht weniger fokussiert als in der Zusammenarbeit mit Steven Spielberg für "Schindlers Liste". Es geht immer um die Momente zwischen "Action" und "Cut", das ist meine Zeit. Anders als im Theater hast du jedoch nur 30 Sekunden für die Miniatur eines Dramas.
SPIEGEL ONLINE: Verändert das Fehlen des Publikums die Schauspielerei?
Neeson: Tatsächlich besitzt man auf der Bühne viel mehr Kontrolle als vor der Kamera. Der Vorhang öffnet sich achtmal in der Woche, man interagiert mit einem wechselnden Publikum und schafft zusammen an jedem Abend etwas Neues. Bei einem Klassiker wie Arthur Millers "Hexenjagd" hat schon das Vortragen des vertrauten Textes etwas Religiöses, und die Reaktion der Zuschauer gehört ebenso zum Stück wie meine Rolle.
SPIEGEL ONLINE: Wo droht Ihnen bei Kinorollen Kontrollverlust?
Neeson: Überall. Der Zeitplan, das Wetter, Skriptänderungen, Budgetfragen - an Filmsets ist der Schauspieler meistens nur ein Rädchen im Getriebe. "Battleship" war eine gigantische Produktion mit viel Technik, während wir "The Grey - Unter Wölfen" in eisigen Schneestürmen drehten. Pünktlich wie am Broadway war da keine Szene. Doch ich habe mit den Jahren gelernt, meine Energie zu konservieren für den richtigen Moment: eben diese 30 Sekunden, mehr Zeit hast du nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sie untertreiben. Für Spielbergs Film über Abraham Lincoln recherchierten Sie Jahre - bevor das Projekt dann doch mit Daniel Day-Lewis besetzt wurde.
Neeson: Der im Übrigen der Beste ist, den ich mir in der Rolle vorstellen kann. Warum es mit mir nichts wurde? Steven ist ein vielbeschäftigter Mann und ich war irgendwann zu alt für die Rolle. Kein Problem. Gott lacht über Pläne.
SPIEGEL ONLINE: Immerhin haben Sie Einfluss durch die Auswahl der Skripts. Wie erklären Sie sich Ihre Beliebtheit in Genrefilmen und beim jungen Publikum?
Neeson: Die Planeten müssen in einer sehr sonderbaren Konstellation zusammen gestanden haben, als Luc Besson auf die Idee kam, mich für den Rachethriller "96 Stunden" zu besetzen. Den Erfolg konnte niemand erahnen, nun surfe ich auf einer kurzen Welle. Meine lädierten Knie lassen diese anstrengende Arbeit bald ohnehin nicht mehr zu.
SPIEGEL ONLINE: Sie könnten kaum vitaler wirken. In "The Grey - Unter Wölfen" retten Sie die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes vor Wolfsattacken. Haben Sie einen Hang zum Alphamann?
Neeson: Das Leittier war Regisseur Joe Carnahan, der eine Truppe verschworener Schauspieler um sich sammelte und in eine Schlacht mit der Natur führte. Ich habe noch nie so extreme Dreharbeiten erlebt und war hauptsächlich damit beschäftigt, Schutz vor der Kälte zu finden. Verwechseln Sie mich nicht mit meinen Rollen. Ich sitze nicht gern mit dem Gewehr im Schnee. Ein guter Rotwein und ein Buch zu Hause sind mir lieber.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch drehen Sie in Paris gerade die Fortsetzung von "96 Stunden" und fördern Ihr Image als neuer Charles Bronson.
Neeson: Ich musste selbst lachen, als der Vorschlag für eine Fortsetzung kam. 'Wollt ihr seine Tochter etwa schon wieder entführen?', fragte ich Besson. Doch er hatte eine sehr überzeugende Idee, um die Geschichte weiter zu erzählen. Aber ich sehe keinen dieser Männer als Rächer oder als Macho. Sie sind im Grunde einfach und verletzlich. Und es ist spannend das auszuspielen, was passiert, wenn man sie ihrer Sicherheitsnetze beraubt.
Das Interview führte Roland Huschke