"Marie Antoinette" Das Törtchen von Versailles

Rock' den Rokoko: Sofia Coppola zeigt in "Marie Antoinette" das Leben der französischen Königin als konsequent oberflächliche Seifenoper - und enttäuscht dabei virtuos die Erwartungen der Zuschauer.
Von Jenny Hoch

Ihr Leben als Königin beginnt mit einer Bloßstellung. Kirsten Dunst steht als 14-jährige Österreicherin Maria Antonia Josepha Johanna nackt und alleine in einem Zelt an der Grenze zu Frankreich. Lakaien haben ihr die Kleider ausgezogen und das niedliche Schoßhündchen weggenommen. Nichts darf mehr an ihre Herkunft erinnern. Als sei sie ein Ankleidepüppchen, wird das Mädchen zur Dauphine umgestaltet. Sie soll die Bühne von Versailles nicht als Privatperson, sondern in der Rolle der Marie Antoinette, der zukünftigen Königin von Frankreich und Gemahlin von Louis XVI betreten.

Dass ihr mit der äußeren Erscheinung und dem Spielzeug auch die fragile Jungmädchen-Identität genommen wird, ist nicht verbürgt. Das ist die spezielle Lesart der Regisseurin Sofia Coppola, die in ihrem dritten Kinofilm "Marie Antoinette" den historischen Stoff um Frankreichs meistgehasste Königin gehörig gegen den Strich gebürstet hat. Was die Oscarpreisträgerin nach dem Welterfolg "Lost in Translation" und ihrem eigenwilligen Erstling "The Virgin Suicides" aber diesmal abgeliefert hat, ließ die Kritiker schon bei der Uraufführung in Cannes in diesem Frühjahr ratlos zurück: "Marie Antoinette" ist kein Historienfilm, sondern der Pop gewordene Widergänger eines Kostümfilms. "Marie Antoinette" ist ein Traum in rosa, eine wild gewordene Mädchenphantasie, ein pastellfarbener Sahnebaiser – außen appetitlich, innen hohl.

Tatsächlich besticht die 40-Millionen-Dollar- Ausstattungsorgie zunächst vor allem durch konsequente Oberflächenbetrachtung. Sofia Coppola tut gar nicht erst so, als interessiere sie sich für die politischen Ränkespiele des Ancien Régime, für die Französische Revolution, für soziale Missstände oder etwa die öffentliche Enthauptung der Marie Antoinette im Jahr 1793 – historische Tatsachen wie diese kommen in ihrem Film schlicht nicht vor. Wofür sich die 35-Jährige allerdings immens interessiert, das sind die Sorgen und Befindlichkeiten eines Teenagers, der unter – gelinde gesagt – privilegierten Umständen aufwächst. Ihr großes Thema, das sie bisher in jedem ihrer Filme behandelt hat, ist das Erwachsenwerden mit all seinen Begleiterscheinungen. Wozu neben Liebeswirren und Selbstbehauptung vor allem die Frage nach dem richtigen Outfit gehört.

Partymarathon der "Jeunesse dorée"

Zum Soundtrack aus der Postpunk-Ära mit Songs von The Cure, New Order oder Gang of Four frönt Marie Antoinette zusammen mit ihrer Entourage hemmungslos ihrer Vergnügungssucht. Vom eher tumben Ehemann (Jason Schwartzman) links liegengelassen, lässt sie sich auf der Oberfläche der Dinge treiben und vermeidet sorgfältig, auch nur mit dem kleinen Zeh in die Untiefen der Realität hinabzutauchen. Sieben Jahre dauert es, bis die Ehe des Königspaares endlich vollzogen wird, und solange vertreibt sich die junge Königin eben die Zeit so angenehm wie möglich.

Sofia Coppola hat den Partymarathon dieser sorg- wie ahnungslosen "Jeunesse dorée" zu einer einzigen rauschhaften Sequenz zusammen geschnitten, die genauso gut auch in der Gegenwart stattfinden könnte. Falls nicht gerade eine weitere Champagnerparty geschmissen wird, blättert man gelangweilt in den neuesten Klatschmagazinen, amüsiert sich über den Gossip - "wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen"- der über die Königin verbreitet wird und lässt sich zum Powershopping die neuesten Kreationen der Couturiers vorführen. Das Volk, die Armut, die revolutionären Umstürzler haben hier keinen Platz, sie sind erst ganz am Schluss schemenhaft im Bild - am unteren Ende der Leinwand. Im Mittelpunkt steht etwas anderes: Einmal ist für Sekunden inmitten prächtiger historischer Tanzpumps ein fliederfarbener Converse-Turnschuh zu sehen - eine der vielen Referenzen an die Popkultur.

Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man in "Marie Antoinette" gewisse Parallelen zur Glamourmaschinerie Hollywood und zu Coppolas eigenem Leben als Tochter des legendären Regisseurs Francis Ford Coppola zu erkennen glaubt: Detailbesessen und atmosphärisch dicht zeigt der Film das Leben eines jungen Mädchens unter ständiger Beobachtung eines ganzen Hofstaates, ihren Drang, es allen Recht machen zu wollen in einer Welt, in der statt Wahrhaftigkeit und Authentizität nur Schein und Inszenierung zählen.

Freiwillig gefangen im goldenen Käfig

Geradezu reflexhaft sucht der entsprechend konditionierte Zuschauer deshalb nach Hinweisen auf einen dunklen Abgrund hinter der Zuckerbäcker-Fassade – und wird enttäuscht. Der Charme dieses Marshmellow-artigen Films besteht gerade darin, dass die Regisseurin ihrer Figur unverhohlene Sympathie entgegenbringt. Und Kirsten Dunst spielt das ignorante Fashion Victim Marie Antoinette mit so viel Natürlichkeit und Frische, das man gar nicht anders kann, als das reiche Mädchen zu mögen.

Ungewohnt, aber wahr: Dieser Film zeigt ein It-Girl des Rokoko, das auf keinen Fall aus seinem goldenen Käfig heraus will. Die Frage ist nur, warum. Darauf gibt Sofia Coppola wohl mit Absicht keine Antwort. Sie nimmt einen nicht bei der Hand und doziert darüber, was gut und was schlecht ist. Fest steht nur, dass für ein Leben in Saus und Braus ein gewisser Preis zu bezahlen ist. Denn bei genauerer Betrachtung sind die Verhältnisse nicht immer so rosig, wie sie scheinen. Da ist zum Beispiel die tägliche erniedrigende Anziehprozedur im Schloss: Die ranghöchsten Hofdamen stehen bereit, den nackten Körper der Königin mit Hilfe von Miedern, prächtigen Gewändern und kostbarem Schmuck zu dem zu formen, das er zu repräsentieren auserkoren ist: den Star bei Hofe. "Das ist lächerlich", sagt das Mädchen zu ihrer Hofdame. "Das ist Versailles", bekommt sie zu hören. Es könnte auch heißen: "Das ist das Leben im Rampenlicht".

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