Vanessa Paradis spielt Pornoproduzentin Schlitzen, filmen, lieben

Vanessa Paradis spielt Pornoproduzentin: Schlitzen, filmen, lieben
Foto: Edition SalzgeberSanft streifen Hände über das 16mm-Filmmaterial, legen es über Schienen und Spulen, der Projektor fängt an zu rattern, und rosastichige, körnige Bilder werden sichtbar, auf denen sich zwei nackte Jungs küssen. Einer der beiden schaut dabei verführerisch in die Kamera. Schnitt. Die Cutterin greift ein, mit scharfen Klingen ins weiche Filmmaterial, so wie wenig später eine Klinge in den Körper des Hauptdarstellers fährt.
Yann Gonzalez fackelt nicht lange mit seiner Engführung von Schlitzerfilm und Filmmontage. Seine meisterhafte Giallo-Hommage "Messer im Herz" evoziert selbst ein Kinoerlebnis wie eine körperliche Liebkosung und erzeugt gleichzeitig einen wohligen Schauer vor dem nächsten Schnitt.
Vanessa Paradis spielt Anne Parèze, eine Produzentin schwuler Pornofilme, die maßlos in ihre Cutterin verliebt ist. Das allein ist ein Besetzungscoup, der für Gonzalez' Liebe zum Kino als altmodische Kunst spricht, die auf dem heutigen Markt nichts mehr wert zu sein scheint. Denn Paradis scheint mit ihrer Trademark-Schneidezahnlücke wie aus den Neunzigerjahren in diesen Film gefallen zu sein. Die Whiskyflasche stets im Anschlag wirbelt sie mit verraucht-kratziger Mädchen-Stimme zwischen hübschen nackten Jungs umher, von denen sie die gleiche Leidenschaft, die gleiche Ausdruckskraft verlangt, wie sie selbst sie in diese Hauptrolle legt.

Giallo-Hommage "Messer im Herz": Weiche Haut, harte Schnitte
Der Film spielt 1979 in Paris. Ein Schlitzer dezimiert die Darsteller aus Annes verspielten, fast unschuldigen Pornofilmen mit einem Dildo, der ein scharfes Geheimnis birgt. 1979 ist auch das Jahr, in dem William Friedkin "Cruising" dreht, in dem ein schwuler Serienkiller die New Yorker Lederszene unsicher macht. Der hohe ästhetische Aufwand von "Messer im Herz" spricht allerdings weniger die Macho-Sprache Friedkins, als dass er den Schund der Handlung und die Schönheit der Körper fetischisiert und damit an das Kino von Mario Bava und Dario Argento anschließt.
Und gleichzeitig lässt er ehemalige französische Stars wie Romane Bohringer ("Wilde Nächte") auftreten, deren große Zeiten im schwulen Gedächtnis mit Aids verbunden sind, der Krankheit, die einer verspielten schwulen Sexualität erst mal ein Ende bereitet hat. Und wäre das Spiel mit den film- und szenegeschichtlichen Bezügen damit nicht schon komplex genug, verliebt sich Gonzalez' Ästhetik in längst vergangene Texturen, in heiße Farben auf 35mm, eingehüllt in einen Soundtrack der Band M83, die billige Porno-Grooves in einen immersiven Dolby-Surround-Teppich ausfransen lässt.
"Messer im Herz"
Originaltitel: "Un couteau dans le coeur"
Frankreich, Mexiko, Schweiz 2018
Regisseur: Yann Gonzalez
Drehbuch: Yann Gonzalez, Cristiano Mangione
Darsteller: Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran, Jonathan Genet, Félix Maritaud
Produktion: CG Cinéma, Piano, Garidi Films, Radio Télévision Suisse (RTS)
Verleih: Edition Salzgeber
FSK: ab 16 Jahren
Länge: 102 Minuten
Start: 18. Juli 2019
Das Retro-Spiel des Films ist dabei nicht ironisch. Es transportiert einen melancholischen Glauben an die Zaubertricks des analogen Kinos, das längst von den CGI-Effekten aus Hollywood und Babelsberg zum Verschwinden gebracht worden ist. Ein "Kino der Inkohärenz" nennt der befreundete Filmemacher Bertrand Mandico in einem "Manifest" von 2012 das, worauf sich jüngere Regisseure wie Yann Gonzalez oder Marie Losier beziehen. In "Messer im Herz" spielt Mandico einen Kameramann.
Inkohärenz beweist der Film nicht zuletzt auch in der Serienkiller-Geschichte, die immer wieder auf schöne Seitenwege gerät. So zeigt sich gerade in der Figur des Mörders Gonzalez' große Einfühlsamkeit gegenüber den von der Gesellschaft Ausgestoßenen. Die genre-übliche Maske des Killers liegt über dem versehrten Gesicht wie ein Flickenteppich aus Leder an, dessen Naht wie eine Tränenspur unter dem Auge verläuft. Er ist ein trauriges Monster, das die jugendlichen Liebhaber zerschneiden will, weil es selbst keine Liebe mehr in sich hat.
Und er spiegelt sich in der Figur von Anne. Die habe aus ihrer betrunkenen Liebe zur Cutterin Lois "ein Monster" gemacht, wie diese ihr zwischendurch eröffnet. Tatsächlich bedient sich Anne ihrer Gefühle, um neue Filme zu schaffen. Während der Mörder unter ihren Darstellern umhergeht, produziert sie ihr Meisterwerk "Der Homo-Killer", für das sie selbst die Maske des Schlitzers aufsetzt. Das Spiel mit dem Film-im-Film wird so zu einem ganz haptischen Zusammenfügen von Oberflächen, einer Montage, an der man sich nicht sattsehen kann und die unmittelbar berührt.
Im Video: Der Trailer von "Messer im Herz"
Natürlich endet der Showdown von "Messer im Herz" in einem Kino, und natürlich diffundiert die Regisseurin dabei in der von ihren eigenen Bildern bespielten Leinwand. Wenn man selbst am Ende das Kino verlässt (und nur dort sollte man "Messer im Herz" sehen), fühlt man sich ein wenig, als hätte man mit einem Film geschlafen. Oder wäre zumindest von ihm gestreichelt worden.