Michael Haneke über sein Drama "Liebe": "Alter und Krankheit sind evakuiert"
Foto: X VerleihZwei alte Menschen und eine Pariser Wohnung voller Erinnerungen, die Liebe und der Tod: Der österreichische Regisseur Michael Haneke, 70, brauchte kein Brimborium, um ein Drama über letzte Wahrheiten in Szene zu setzen. Jean-Louis Trintignant ("Ein Mann und eine Frau") und Emmanuelle Riva, ("Hiroshima mon amour") die großen alten Stars der Nouvelle Vague, spielen ein Ehepaar, das um ein würdevolles und selbstbestimmtes Ende ihres gemeinsamen Lebens kämpft (ausführliche Kritik hier). In Cannes gab es dafür die Goldene Palme.
Im Video-Talk mit dem SPIEGEL-Kritiker Georg Diez spricht Haneke über den Dreh und die Bedeutung des Films - und stellt klar, dass es sich bei seinem Werk in erster Linie nicht um ein Sterbedrama handelt. Für ihn sei die zentrale Frage gewesen: "Wie gehe ich mit dem Leiden eines Menschen um, den ich liebe?" Für Haneke steht fest: "Die Liebe hat Priorität."
Dabei soll es bei den Vorbereitungen zum schmerzvollen Liebesmanifest alles andere als düster zugegangen sein. Haneke zitiert im Talk sogar Ingmar Bergman, der einmal bei einem besonders schweren und zermürbenden Stoff gesagt haben soll, dass man sich beim Dreh köstlich amüsiert habe. Zentrale Szenen von "Liebe" setzten Regisseur und Team dann allerdings doch zu, wie Haneke zugibt: "Es gab Momente beim Dreh, wo wir alle berührt waren."
Haneke, Schöpfer von formal wie inhaltlich leinwandsprengenden Werken wie "Die Klavierspielerin" oder "Das weiße Band", ist bekannt für seinen nüchternen Blick auf das menschliche Mit- und Gegeneinander. Ein Film nach dem Motto "schöner Sterben" ist mit ihm nicht zu machen. Gleichzeitig will er sein Werk auch nicht als Fingerzeig auf gesellschaftliche Schräglagen verstanden wissen. Im Interview mahnt er: "Die beiden großen Gefahren sind die Sentimentalität und der Miserabelismus." Beides blitzt in den gut zwei Stunden seines Films "Liebe" nicht ein einziges Mal auf. Der Zuschauer sieht: Zwei Menschen, die ihre Liebe leben. Zwei Menschen, die ihr Sterben zu bewältigen versuchen. Nicht mehr. Aber vor allem nicht weniger.
Haneke benennt, ohne zu bewerten. Wer moralische Erbauung sucht, wird bei seinem Film nicht fündig, die Kritik an den Verhältnissen ist Hanekes Sache ebenfalls nicht - auch wenn er durchaus so etwas wie den Status Quo der westlichen Welt in Sachen Sterben beschreibt. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der Alter und Krankheit evakuiert sind", sagt er im Video-Talk. "Früher hat der Tod und die Krankheit in der Familie stattgefunden. Das ist nicht mehr so."
Mit "Liebe", so viel steht fest, holt Michael Haneke das Thema Sterben auf schmerzliche, anrührende und verstörende Art und Weise zurück in den sozialen Raum.
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