"Million Dollar Baby" Ausweitung der Kampfzone
Dass Hollywood diesen Film umarmt, ist logisch. Hätte Clint Eastwood sein Boxer-Drama in Schwarzweiß gedreht, könnte man meinen, "Million Dollar Baby" stamme aus den dreißiger oder vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Einer Zeit also, in der das Studio-System der Traumfabrik noch auf Hochtouren lief. Die Rebellen und Kunstfilmer kamen erst Mitte der Sechziger zum Zuge, als das Publikum keine Lust mehr auf die formatierten Geschichten der Traumfabrik hatte. Martin Scorsese war einer dieser jungen Wilden des "New Hollywood", der die Welt in "Hexenkessel" und "Taxi Driver" so zeigen wollte, wie sie wirklich war: grausam und unerbittlich.
Ein alter junger Wilder
Dass Scorsese, der bei der Oscarverleihung in diesem Jahr mit "The Aviator" nominiert war, in den Kategorien "bester Film" und "beste Regie" gegen Eastwood verlor, erscheint ebenso logisch. Die Oscars repräsentieren das alte Hollywood, und dort wurden die Rebellen schon immer mit Unbehagen betrachtet. Stets versuchte man, sie mit aller gebotenen Höflichkeit und dem nötigen Respekt zu ignorieren. Die Oscar-Nominierung für Scorsese ist daher der größte running gag westlich der Rocky Mountains. Er wird ihn nie bekommen.
Der Fall ist also klar: "Million Dollar Baby" gewann, weil er so schön altmodisch ist, "Aviator" verlor, weil Scorseses Porträt eines durchgeknallten Millionärs so rebellisch ist? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn Eastwoods Film mag vom Ambiente her an die alten Studio-Produktionen erinnern, dennoch wirkt Scorseses dreistündiger Kostümfilm daneben wie "Vom Winde verweht".
Denn nur vordergründig ist "Million Dollar Baby" ein Film voller Klischees und cleverer Attacken auf die Tränendrüsen. Hinter einer klassischen Hollywood-Story verbirgt sich ein pessimistisches Drama über die Brutalität des Lebens. Der Plot ist denkbar übersichtlich: Frankie Dunn (Clint Eastwood) ist ein sehniger alter Knochen mit einer Boxschule in einem der ärmeren Viertel von Los Angeles. Er war früher ein "cut man", einer, der im Ring die Boxer verarztet, damit sie weiterkämpfen können.
Der Box- als Lebenskampf
Zu großen Erfolgen mit seinen Schülern hat er es nie gebracht und ist darauf sogar ein bisschen stolz. Er selbst nennt diesen Rückzug vor dem großen, bösen Boxgeschäft "gesunden Menschenverstand". Vielleicht glaubt er aber auch, er hätte so viel Glück nicht verdient, denn wie fast immer in Eastwoods eigenen Filmen, die stets ein Hauch Katholizismus durchweht, geht es um Schuld, Sühne und Erlösung. Vor Jahren hat Frank seine Tochter verloren und kommt darüber nicht hinweg. Er schreibt ihr regelmäßig Briefe, die immer wieder zurückkommen, liest lakonische Gedichte von Yeats und nervt bei täglichen Kirchenbesuchen den jungen Priester mit seinen Theorien über die Wege Gottes.
Der gute Geist in Frankies Boxschule ist der Hausmeister Eddie Dupris (Morgan Freeman), ein alter Ex-Boxer, der ebenfalls einen Verlust zu beklagen hat: Bei einem Kampf verlor er ein Auge. Was Dunn an Nihilismus aufbringt, kompensiert Dupris mit gutmütigen Sprüchen und altväterlichem Humor. Eines Tages taucht die 30-jährige junge Kellnerin Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) auf und will Boxunterricht. Natürlich blitzt sie bei Frankie ab, der partout keine Frauen trainieren will, schon gar nicht, wenn sie in einem Alter sind, in dem anderen Boxer bereits an den Ruhestand denken: "Girlie, tough ain't enough" - "hart ist nicht genug" - sagt er knurrend zu ihr, als sie versucht, ihn von ihrer Zähigkeit zu überzeugen. Dupris ist es schließlich, der ihr eine Chance gibt und Dunn überzeugt, es mit ihr als Schülerin zu versuchen.
Tatsächlich erweist sich Maggie als Naturtalent und gewinnt Kampf um Kampf, zumeist, indem sie ihre Gegnerinnen gleich in der ersten Runde K.O. schlägt. Frankies Skepsis entwickelt sich zu echter Zuneigung. Er gibt Maggie den gälischen Spitznamen "Ma Cushla" und schickt sie widerstrebend in einen Titelkampf. Das Märchen von dem hässlichen Entlein, dem "white trash girl", das sich aus der Gosse zu strahlender Schönheit hervorkämpft, scheint wahr zu werden.
Schlagkräftige Klischees
Doch bis hierhin ist erst die Hälfte des Films vorbei. Was folgt, kann beim besten Willen nicht verraten werden. Nur so viel sei gesagt: Die Diskussionen in religiösen Kreisen der USA, die "Million Dollar Baby" wegen seines unvermuteten Endes provozierte, wirken im Nachhinein wie Präliminarien zur aktuellen Debatte um die bedauernswerte Komapatientin Terry Schiavo. Und noch eines sei verraten: Clint Eastwood, der große, harte Mann des US-Kinos, zerdrückt am Ende ein paar Tränen. Man hätte nicht gedacht, dass er das überhaupt kann.
Ohnehin sind es vor allem die Schauspieler, die dem Film seine Glaubwürdigkeit und emotionale Wucht verleihen: Hilary Swank, zu Recht mit einem Oscar ausgezeichnet, gibt die kämpferische Unschuld vom Lande mit breitem Südstaatendialekt. Morgan Freeman und Clint Eastwood brillieren als altes Kumpel-Ehepaar. Die Szenen, in denen sich die beiden Veteranen freundliche Frotzeleien zuknurren, gehören zu den stärksten Momenten in "Million Dollar Baby".
In seiner ruhig dahin fließenden Adaption einer Story des Iren F.X. Toole benutzt Eastwood das Genre des Boxer-Dramas, um seine eigene Botschaft unterzubringen: Du kannst es schaffen, dich aus dem Dreck hervorzuwühlen, aber glaub' ja nicht, dass du dafür keinen Preis bezahlen musst. Die Figuren sind derart deutliche Klischees, dass es ein bisschen wehtut: Der knurrige Alte, der noch einmal die Chance erhält, sich um eine Tochter zu bemühen, trifft auf die arme Hinterwäldlerin mit der kaputten Familie, die sich kraft seiner Wärme und Unterstützung zum Star aufschwingt.
Rastlose Seelen, zerstörte Körper
Das gewaltsame Bild des Boxers steht hier auch für den Kampf des Schwächsten in der Gesellschaft. Er muss sich seinen Platz mit den Fäusten erringen und trägt dabei Blessuren davon. In der brutalsten Szene des Films bekommt Maggie einen Schlag ab, der ihr das Nasenbein bricht. Eastwood lässt die Kamera so erbarmungslos jedes blutige Detail abbilden, dass man fast nicht hinsehen mag. Maggie kämpft natürlich tapfer weiter, nachdem sie von ihrem väterlichen "cut man" verarztet worden ist.
Ähnlich wie in seinem Thriller "Mystic River" zeigt Eastwood Charaktere, die schwer an ihrer Vergangenheit tragen. Er versucht, hinter die Mechanismen, die geheimen Codes des menschlichen Zusammenlebens zu gelangen, scheint herausfinden zu wollen, was es ist, das uns immer wieder aufstehen lässt, wenn uns die Umstände zu Boden geworfen haben.
In "Million Dollar Baby" verengt er seinen Blick auf einen noch kleineren Mikrokosmos. Die Welt der billigen und schmierigen kleinen Boxerklitschen ist eine Parallelgesellschaft voller Randexistenzen. Für seine desillusionierten Figuren besteht der amerikanische Traum nur noch darin, in Würde zu überleben. Frankie und Maggie sind rastlose Seelen, die Erlösung und Trost in einer Liebesbeziehung finden, die mit Körperlichkeit nichts zu tun hat, obwohl beide ausgerechnet die körperlichste aller Sportarten für sich gewählt haben.
In einem Hollywoodfilm der vierziger Jahre gäbe es für eine Geschichte wie diese ein Happy End, denn das alte System entlässt seine Zuschauer nicht gern in eine kalte Welt. Am Ende sollen stets Erbauung, Hoffnung und ein gutes Beispiel stehen. Clint Eastwood verweigert diesen Dienst in "Million Dollar Baby" noch konsequenter als in "Mystic River": Nichts ist gut, nichts ist gewonnen, aber das Leben geht trotzdem weiter. Mit dieser Haltung ist der alte Mann den jungen Rebellen von damals näher, als er selbst vielleicht ahnt.
Million Dollar Baby
USA 2004. Regie: Clint Eastwood. Buch: Paul Haggis, F.X. Toole (Story). Darsteller: Hilary Swank, Clint Eastwood, Morgan Freeman. Produktion: Malpaso Productions, Lakeshore Entertainment, Albert S. Ruddy Productions, Warner Bros. Verleih: Kinowelt. Länge: 132 Minuten. Start: 24. März 2005