Moulin Rouge Glückstrunkenes Märchen mit Moral
Die ersten Töne von Baz Luhrmanns "Moulin Rouge" sind Programm. Wenn in der Auftaktfanfare die Titelmelodie von "The Sound Of Music" anklingt, dann ist klar: Wir befinden uns auf einer Zeitreise. Zurück in die Ära, als pompöse Musicals ihr Publikum in künstliche Universen schossen. Robert Wises "Meine Lieder - Meine Träume" (deutsch für "The Sound Of Music") war der letzte Koloss dieser Epoche, der Massen ins Kino ziehen konnte. Jetzt griff sein jüngerer australischer Kollege ("William Shakespeares Romeo & Julia") mit beiden Händen in die Trickkiste des Genres. Heraus kam ein Rausch von Bildern und Tönen, der selbst den Musical-Guru Busby Berkeley zu Beifallsstürmen hingerissen hätte. Kurz: "Moulin Rouge" ist bis jetzt die beste amerikanische Studioproduktion dieses Jahres. Weil es alle Mittel, die Hollywood früher so perfekt beherrschte, virtuos und hemmungslos einsetzt.
Luhrmanns dritter Film bietet eine Tour de Force der großen Gefühle, mit Mut zur Selbstironie und Kitsch zugleich. Die Geschichte, die in den Paris-Epen von "La Traviata" bis "Kinder des Olymp" wildert, ist eine Sache weniger Worte: Armer Künstler und reicher Fiesling lieben todkranke Tänzerin. Aber Luhrmann und sein Co-Autor Craig Pearce wühlen aus diesen Klischees die größtmöglichen emotionalen Konflikte und Verwirrungen heraus. Sie zelebrieren die altmodischen Motive und variieren sie - wenigstens weitgehend - zu einer atemberaubenden Farce.
Trotzdem: In klassischer Musical-Manier verschwindet die Handlung beinah komplett unter einem optischen Zuckerguss. Für die bonbonbunten Phantasien zeichnen die Ausstattungs- und Kostümchefin Catherine Martin und Kameramann Donald McAlpine verantwortlich. Zusammen mit Luhrmann schufen sie eine glitzernde Scheinwelt, rücksichtslos inszeniert mit jenen Stilschnörkeln, die moderne Kamera- und Tricktechnik eben erlauben. Dass die Showbiz-Biene Satine, auf die die Begierden der männlichen Protagonisten zielen, von der kühl-schönen Nicole Kidman gespielt wird, verstärkt den artifiziellen Charakter noch. Man stelle sich Grace Kelly in Ginger Rogers Fußstapfen vor...
Wie einige der besten Musicals baut "Moulin Rouge" zudem auf das kollektive Musikgedächtnis seines Publikums. Statt eigens komponierter Songs intonieren die Darsteller Evergreens von Madonna bis Nirvana. Der Effekt ist mitunter überwältigend: In diese neue Umgebung verpflanzt, entfalten scheinbar abgehörte Melodien unerwarteten Zauber. Nicht weiter erstaunlich, dass der Soundtrack in den USA zum Millionenseller wurde. Der Film selbst lief dagegen nur mittelprächtig.
Das wiederum könnte an einer Konstruktionsschwäche der Story liegen: Über weite Strecken geriert sich "Moulin Rouge" wie der Inbegriff des klassischen Musicals. Das wiederum ist nichts weiter als ein glückstrunkenes Märchen. Luhrmann versucht sich jedoch auch als opernhaftes Melodram und beginnt, sich ernst zu nehmen. Statt Happy End gibt es eine traurige Moral. Aber genau dieser Spagat ist unmöglich. Gleichwohl, auf seine Frage "Voulez-vous coucher avec moi?" verdient "Moulin Rouge" nur eine Antwort: Toujours!
"Moulin Rouge". USA 2001. Regie: Baz Luhrmann; Buch: Baz Luhrmann, Craig Pearce; Darsteller: Ewan McGregor, Nicole Kidman, John Leguizamo, Jim Broadbent, Kylie Minogue; Länge: 125 Minuten; Verleih: Fox; Start: 18. Oktober 2001.