Nachwuchs-Sänger Jürgen Vogel "Es war ein wahnsinniges Risiko"

Für den Film "Keine Lieder über Liebe" trat Jürgen Vogel erstmals als Sänger der Rockgruppe Hansen Band in Erscheinung. Mit SPIEGEL ONLINE sprach der 37-jährige Schauspieler über das Risiko, einen ganzen Film zu improvisieren und sein Lampenfieber auf der Bühne.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Vogel, bei "Keine Lieder über Liebe" gab es ein Drehbuch, das während des Drehs nicht ein einziges Mal zu Rate gezogen wurde. Der Plot entwickelte sich erst beim Drehen, so dass die Schauspieler ständig improvisieren müssen. Würden Sie gerne öfter unter solchen Bedingungen arbeiten?

Vogel: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, weil es sehr radikal wäre. Erstens ist es für einen normalen Schauspieler sehr schwer, so zu spielen, da es sämtlichen Regeln widerspricht. Schauspielerei bedeutet ja eigentlich: Man spielt eine andere Figur und diese Rolle ist so eine Art Schutzraum. Man darf keine Fehler machen und muss sich an eine bestimmte Dramaturgie und an bestimmte Spannungsbögen halten. Beim Improvisieren dagegen besteht die Gefahr, dass man den Abstand und die Weitsicht nicht hat und sich so viele Dinge wiederholen. Vielleicht greift man auch in der Sprachwahl daneben oder es rutscht zu viel durch, was mit einem selbst als Privatperson zu tun hat. Wenn bestimmte Dinge schon vorgegeben sind, hat man einfach mehr Sicherheit.

SPIEGEL ONLINE: Hat man demzufolge in "Keine Lieder über Liebe" so viel über die Privatperson Jürgen Vogel erfahren, wie noch in keinem anderen Ihrer Filme zuvor?

Vogel: Sagen wir mal so: Wer den Film gesehen hat, ist mit mir dreieinhalb Wochen auf eine Reise gegangen und hat auf jeden Fall sehr viele echte Momente von mir erlebt. Insofern war der Dreh wie eine Klassenfahrt oder ein Projekt, wo ein paar Wochen Echt-Lebenszeit eingefangen wurde. Es war wirklich so, wie man es dann im fertigen Film sieht: Ich hatte Angst vor den Auftritten mit der Hansen Band. Ich war gestresst und genervt. Und ich habe mich auf die Situation eingelassen, mir vorzustellen, dass ich einen One Night Stand mit der Freundin meines Bruders habe. In diesem Stress war ich wirklich. Aber als wir zusammen mit dem Regisseur Lars Kraume dieses Projekt geplant haben, wussten wir, dass wir es genau so und nicht anders machen wollen. Es war ein wahnsinniges Risiko.

SPIEGEL ONLINE: Bestand ein Risiko auch darin, dass die Besucher der Konzerte, die sie im Film als Sänger der Hansen Band bestritten haben, Ihren Auftritt als Rocksänger richtig schlecht hätten finden können?

Vogel: Genau. Es hätte genauso gut sein können, dass wir die Konzerte spielen und alle es grausam finden, in allen neun Städten. Dann wäre das eben ein Film über eine Band geworden, die komplett verkackt. Wir hätten das dann genauso in den Film packen müssen. Wir hatten ja keine Ahnung, wie das ausgeht, denn vor dem ersten Konzert wusste kein Konzertbesucher, dass ich der Sänger dieser Band sein werde.

SPIEGEL ONLINE: In der Hansen Band spielen unter anderem die Hamburger Musiker Thees Uhlmann von Tomte und Marcus Wiebusch von Kettcar mit. Sie schrieben auch die meisten Songs. War von vorneherein klar, dass Sie auf Deutsch singen werden?

Vogel: Auf jeden Fall. Es sollte ein Sänger sein, der deutsche Texte schreibt. Es ging uns nicht um ein Massen-Pop-Produkt, sondern um eine ganz spezielle Art von Musik. Lars Kraume und ich haben uns im Vorfeld sehr viele deutschsprachige Bands angehört, doch die Art der Sprache und der Umgang mit Sprache haben uns bei Kettcar und Tomte einfach am besten gefallen.

SPIEGEL ONLINE: Was genau macht die Texte denn so besonders?

Vogel: Das sind nicht so Sätze, die genau das sagen, was sie sagen sollen, sondern die sind so ein bisschen kryptisch. Und es ist eine treibende Musik, die Spaß macht. So etwas wie Element of Crime wäre uns für diesen Film zu intellektuell gewesen, obwohl die natürlich tolle Platten gemacht haben.

SPIEGEL ONLINE: Da es vorher keinerlei Berührungspunkte gab: Wie hat man sich das erste Aufeinandertreffen zwischen Ihnen, dem aus Fernsehen und Kino bekannten Schauspieler, und den aus der Independent-Szene stammenden Musikern vorzustellen?

Vogel: Wir sind halt mit dieser Wahnsinnsidee, ohne Drehbuch zu filmen, zum Hamburger Label Grand Hotel van Cleef, wo Kettcar und Tomte unter Vertrag stehen, gegangen und haben denen gesagt, dass wir ihre Musik toll finden und gerne mit ihnen zusammenarbeiten würden. Als wir unser Projekt dann dort vorgestellt haben, ist den Grand-Hotel-Leuten wohl auch bewusst geworden, dass das ganz schön mutig ist.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Vogel: Es bedeutete einfach, dass wir eine Band gründen müssen, dass ich singen lernen muss und dass ich irgendwann später auf der Bühne stehen muss und die Hose runterlasse. Ohne die Musik hätte es den Film nicht gegeben und umgekehrt. Die ganze Tour und die Clubs, in denen wir spielen, wurden dann vom Grand Hotel gebucht. Auf den Plakaten stand nur Hansen Band und Grand Hotel van Cleef drauf, mehr nicht.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben sie sich auf ihre neue Aufgabe als Rocksänger Markus Hansen vorbereitet?

Vogel: Ich habe mich mit Marcus Wiebusch hingesetzt und ihm ganz viel vorgesungen. Und er hat mir dann viele Sachen erklärt. Und als dann irgendwann die Tour losging, war das wie ein Alptraum für mich. Ich bin krank geworden, saß den ganzen Tag auf der Toilette und hatte Durchfall ohne Ende. Ich habe schon gesagt: Ich kann nicht drehen, ich bin krank, ich kann nicht arbeiten! Und die Musiker haben alle gesagt: Nee, nee, Vogel, das ist normal, wir hatten das auch mal. Als ich dann auf der Bühne stand und die ersten Töne gesungen habe, war das aber plötzlich vorbei. Ich musste mich natürlich auch im Proberaum erst mal daran gewöhnen, Sänger zu sein: Als es endlich richtig gut lief und ich daran glaubte, dass wir das alles schaffen könnten, bin ich vor Freude während des Singens so rumgehüpft. Thees Uhlmann meinte nur: "Wenn du das auf der Bühne machst, Vogelmann, dann trete ich dir von hinten in die Beine!"

Das Interview führte Jan Wigger

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