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Schauspielerin Pegah Ferydoni: Eine Frau, ein Vielvölkerstaat

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Nachwuchs-Star Pegah Ferydoni Bye, bye, Kopftuchmädchen

Von der Klischee-Muslima zur Charaktermimin: Die Schauspielerin Pegah Ferydoni begann ihre Karriere in der ARD-Erfolgsserie "Türkisch für Anfänger". Jetzt brilliert die iranischstämmige Berlinerin in dem Kinofilm "Women Without Men". Porträt einer Frau, die es hasst, Erwartungen zu erfüllen.

"Das ist allerbestes Material hier", sagt Pegah Ferydoni. Sie sitzt vor einem Café in Neukölln in der Sonne und schaut auf eine Frau mit Kopftuch, die einen Kinderwagen vorbeischiebt, auf einen Bauarbeiter, der die Straße entlang läuft, auf eine ältere Dame, auf zwei dieser hippen Neuberliner, weiße Kopfhörer, funky Schuhe. "Das echte Leben!"

Ferydoni zitiert Claudia aus Charlottenburg; eine Rolle, die sie in den vergangenen Wochen an einem Berliner Off-Theater gespielt hat. "Sisters" hieß das Stück, sie wurde als ganz normale junge Berlinerin besetzt. Keine Muslima, keine Südamerikanerin, wie so oft bisher. Claudia, die Westberliner Bildungsbürgergöre, geht nach Neukölln, "Volk angucken".

Ferydoni wohnt inzwischen selbst in dem als Klischeeproblemviertel bekannten Berliner Bezirk. Mit ihrer dunkelblauen Lederjacke und den Sneakern mit Silberstreifen passt sie zu den anderen Kreativen, die seit zwei Jahren Nordneukölln als Lieblingsviertel für sich entdecken. "Als Kind dachte ich - wie alle anderen auch -, nach Neukölln zu ziehen, wäre ein sozialer Abstieg. Das Überraschende ist: Man kann dieses Viertel in keine Schublade stecken."

Das gefällt ihr. Mit Verve sagt Ferydoni, dass sie es hasst, Erwartungen zu erfüllen; sie kämpft dagegen, endlich nicht mehr voreilig einsortiert zu werden. Deswegen freut sie sich über Rollen wie die der Claudia; über die Lana, die Til Schweiger sie in "Keinohrhasen" spielen ließ; über die Kneipenwirtin, die sie vor ein paar Wochen in einem ZDF-Film war, mit Lippenpiercing und punkiger Zöpfchenfrisur. Bekannt wurde sie, als sie in der ARD-Vorabendserie "Türkisch für Anfänger" die junge Türkin Yagmur Öztürk spielte, die gegen ihren Vater rebelliert, indem sie in die Koranschule geht, sich züchtig gibt. Und Kopftuch trägt.

Pegah Ferydoni freut sich daher auch, wenn irgendwo aus Versehen steht, sie sei in Berlin geboren. In Wahrheit kam sie 1983 in Teheran auf die Welt, ihre Eltern: Künstler, Musiker, politische Intellektuelle. Sie war ein Kleinkind, als die Eltern mit ihr über Istanbul nach West-Berlin flohen, ins Asylbewerberheim. Die Eltern trennten sich, Pegah blieb bei der Mutter.

"Es hat sofort Peng gemacht"

Ihre Eltern waren am Konservatorium ausgebildet, doch die Mutter ging putzen. Kunst? Das war Hobby. Sie selbst versteht sich erst als Schauspielerin, seitdem sie dank "Türkisch für Anfänger" ihren Lebensunterhalt damit bestreiten kann. "Man will nie das werden, was die Eltern sind", sagt Pegah Ferydoni. Und doch: die politische Ader, das künstlerische Talent, sie ließen sich auch durch ein Philosophiestudium nicht unterdrücken.

Nun spielt Ferydoni also im ersten Kinofilm der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, die mit ihren Fotos und Videoinstallationen immer wieder die patriarchalen Strukturen in Iran anprangert, bei der das Verstummen und Verhüllen der Frauen, das grafische Schwarz-Weiß zum Leitmotiv wurde. "Women Without Men" erhielt im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig den Silbernen Löwen.

Eine Geschichte, die im Teheran von 1953 spielt, zum Zeitpunkt des Militärputschs, Tumulte überall. Ferydoni ist Faezeh, die sich in den tyrannischen Bruder ihrer besten Freundin verliebt - und in einem verwunschenen Garten mit zwei anderen Frauen erlebt, dass auch ein freieres Leben möglich ist. Die Aktualität der Geschichte ist vor dem Hintergrund der Aufstände 2009 immer unheimlicher geworden. Die Realität hat die Fiktion eingeholt. Auf dem roten Teppich in Venedig trugen alle grün, aus Solidarität mit den Demonstranten in Iran.

"Es hat sofort Peng gemacht", sagt sie über die erste Begegnung mit Neshat; die emotionale Nähe ist unüberhörbar, bald besucht sie sie wieder in New York. Ihre Ähnlichkeit ist verblüffend. "Ich sehe aus wie ihre Tochter, das sagt selbst Shirins Mutter." Ferydoni lacht. Dieselben hohen Wangenknochen, die großen, schleier-schwarzen Augen, das lange Haar, die dominanten Augenbrauen, die schmalen Lippen.

Ferydonis Familie in Iran verfolgt ihre Karriere, sie haben sich nach der Flucht nie mehr gesehen. Jemand hat ihr erzählt, dass sie die erste iranische Schauspielerin seit 30 Jahren sei, die barbusig in einem iranischen Film zu sehen sei. Es ist gefährlich geworden für sie, dorthin zu reisen. "Meine Familie weiß mehr über mich, als ich über sie". Manchmal komme ihr das alles "surreal" vor.

"Schon in meiner Abizeitung stand, ich drücke mich etwas verquast aus", sie zuckt mit den Schultern. Man merkt jedem ihrer Sätze an, dass sie Sprache liebt, dass sie Worte hegt und pflegt, um sie an der richtigen Stelle einzusetzen. Selten hört man, dass Konsonanten derart anstrengungslos und zart geformt werden, jede Silbe präzise.

Diese Präzision hat sie wohl gerettet. Als Pegah Ferydoni in der elften Klasse war, knapp 17, sagte die Mutter: Ich gehe nach Frankreich, ein neuer Mann; und die Tochter antwortete: Ich bleibe. Sie habe Schüler-Bafög beantragt, in Clubs gearbeitet, in der Schule durfte keiner wissen, dass sie allein war. "Um so etwas als Kind zu überleben, entwickelt man eine Art Zen-Buddhismus." Die Alternative: Drogen, Absturz, Gosse. Aber das, scheint es, wäre bei ihr wohl nie eine Alternative gewesen; sie wirkt zu determiniert in ihrem Tun; mit elf erklärte sie in der "taz": "Es sollte für Kinder so etwas wie Sozialkarten geben. Damit sie sich ihr eigenes Geld abheben können".

"Ich habe die Härten schon hinter mir"

Damals besuchte sie mit der Schule das Berliner Ensemble - und entdeckte die öffentliche Kantine des Theaters. "Ab da fuhr ich von Reinickendorf mit der S1 jeden Abend dorthin". Das Mädchen, das mit neun mit einem Amnesty-International-Anwalt über die Todesstrafe diskutierte, das mit der Crème de la Crème der iranischen Exil-Gesellschaft zu Hause auf dem Teppich spielte, hatte keine Probleme, mit Schauspielern, Dramaturgen, Regisseuren ins Gespräch zu kommen. Über den Seiteneingang habe sie sich regelmäßig ins Theater geschummelt, es wurde ihr Wohnzimmer.

Dort in der Kantine lernte sie auch Mehdi Moinzadeh kennen, mit ihm spielte sie zuletzt in "Ayla", einer Ehrenmordgeschichte ohne Ehrenmord. Sie sind Teil einer engagierten iranischen Künstlerszene in Berlin. Sie haben alle ähnliche Biographien: Rund um die iranische Revolution 1979 in Iran geboren, die Eltern Politaktivisten, nach Deutschland geflohen. "Wir müssen uns gegenseitig nicht erklären." Das sei ihre "Ersatzfamilie", ihr Berlin. Ihre Eltern sind weit weg. Man habe sich auseinandergelebt.

Das Remake eines amerikanischen Stummfilms unter der Regie von Shirin Neshat ist in Planung, "sehr expressionistisch", die Kinoversion von "Türkisch für Anfänger" wird vermutlich noch in diesem Jahr gedreht. Mit ihrer neuen Band, noch ohne Namen, will sie demnächst ein Album aufnehmen; mit viel Funk, Soul. Den weltmusikhaften Stil ihrer alten Band Shanghai Electric hat sie satt. Mit 15 hatte sie schon mal einen Plattendeal, jetzt will sie wieder mehr Musik machen, sie habe zu viele Pläne für ein Leben, meint sie.

Klar, das alles könne schon morgen vorbei sein. Aber, hey, "Ich habe die Härten schon hinter mir", sagt sie. "Mein Leben ist ein Ponyhof". Sie regt sich nicht mehr so auf, wenn am Set wieder irgendjemand bittet, sie solle doch einer Frau mit Muslima-Rolle das Kopftuch binden, sie sei doch "eine von denen". Sie boxt. Und zieht in Talkshows die Mundwinkel nach unten, imitiert Angela Merkel, das verwirrt.

Sie liebt US-Popcornkino, Filme mit echten Helden. "Man kann alles sein", sagt sie, "man muss sich seine Identität einfach selbst bauen." Pegah Ferydoni hat längst damit angefangen. Sie ist ihr eigener Vielvölkerstaat.

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