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Pitt und Clooney: Sonnyboys spiegeln Amerikas Seele

Foto: AP/ Sony Pictures

Neue Filme von Pitt und Clooney Stunde der Patrioten

Ein Baseball-Coach mit Underdog-Charme, ein politischer Hoffnungsträger mit Dreck am Stecken: In "Moneyball" und "The Ides Of March" zeigen sich die liberalen Sonnyboys Brad Pitt und George Clooney als beinharte Patrioten - und bescheren tiefe Einblicke in Amerikas Seelenzustand.

Toronto hat sich hübsch gemacht für die 35. Ausgabe seines internationalen Filmfestivals, das als wichtigstes Schaufenster für den nordamerikanischen Kinomarkt gilt und sich damit brüsten kann, stets Monate vor den Nominierungen die wahrscheinlichen Oscar-Anwärter zu zeigen. Vor zwei Jahren zog das vormals in Universitätsnähe abgehaltene Festival in die Downtown der kanadischen Großstadt am Lake Ontario in einen millionenschweren, hochmodernen Gebäudekomplex, fast mitten hinein in die gläsernen und stählernen Wolkenkratzer des Finanzbezirks. Von der "Lightbox", der Zentrale des Festivals mit den meisten Kinosälen, sind es nur ein paar Blocks bis zur ebenso modernistischen Roy Thomson Hall, der Festhalle, in der die großen Filmpremieren zelebriert werden.

Vor dem Halbrund der Halle auf dem roten Teppich, über den am Freitagabend Stars wie Brad Pitt und Angelina Jolie, George Clooney, Philip Seymour Hoffman und Ryan Gosling schritten, ragt der CN Tower auf, Torontos Wahrzeichen und eines der höchsten Gebäude der Welt. Unter diesem Leuchtturm vibriert die Stadt, vor allem im alten Künstlerviertel westlich der Innenstadt, zwischen King und Queen Street, der neuen Heimat des liebevoll Tiff abgekürzten Festivals, wo in den vergangenen Jahren Plattenläden und alteingesessene Kramläden teuren Hipster-Boutiquen und einer eindrucksvollen Zahl von Baustellen weichen mussten. Fährt man auf dem Gardiner Expressway vom Flughafen kommend in die Stadt herein, ergeben die leuchtenden Türme und flirrenden Lichter das Bild einer prosperierenden, blitzsauberen Metropole.

Unter dem Highway jedoch ein ganz anderes Bild: Unter der von verrotteten Stahlträgern gehaltenen Hochtrasse laufen Odachlose mit großen Pappbechern bettelnd an den im Stau stehenden Autos entlang. Wie überall im Nordamerika der Finanzkrisen-Ära liegen Elend und Reichtum nah beieinander. Dass Toronto in Kanada und nicht in den USA liegt, ist dabei nebensächlich. Zumindest für die zehn Tage des Festivals wird die Stadt zur Projektionsfläche für die Sorgen und Nöte der amerikanischen Gesellschaft. Die mutigsten und engagiertesten Filmemacher der USA zeigen hier ihre neuen Werke der Öffentlichkeit.

So auch die Superstars Brad Pitt und George Clooney, die mit ihren neuen Filmen am Freitagabend für eine glamouröse und von Kritik wie Publikum bejubelte Doppelpremiere in der Roy Thomson Hall sorgten. Pitt als Schauspieler und Produzent in der Bestseller-Verfilmung "Moneyball", Clooney als Regisseur und Schauspieler in der Politiker-Fabel "The Ides Of March", die bereits in der vorvergangenen Woche beim Festival in Venedig ihre Weltpremiere feierte. Beide Filme, so unterschiedlich sie sein mögen, behandeln uramerikanische Themen und zeigen das Bild einer Nation, die in einer tiefen Glaubenskrise steckt und mit den Regeln und Systemen hadert, die ihre Gesellschaft seit den vergangenen Jahrzehnten bestimmen.

Viel Ball wird nicht gespielt

"Moneyball" basiert auf dem gleichnamigen Buch von Michael Lewis über den gewieften New Yorker Baseball-Trainer Billy Beane (Pitt), der im kalifornischen Oakland antritt und ein Team radikaler Außenseiter und Underdogs gegen jede Regel zu Sieg und Anerkennung führt. Es ist die altbekannte, aber sympathische Geschichte eines Mannes, der an etwas glaubt und nichts unversucht lässt, um seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen - einer der Grundpfeiler des amerikanischen Traums.

Ball gespielt - der europäische Kinofan mag aufatmen - wird gar nicht so viel in "Moneyball". Vielmehr zeigt der unterhaltsame und manchmal komische Film, wie Beane sich mit Verve und Elan gegen die Starrköpfigkeit der Talent-Scouts stemmt, wie er aus dem kümmerlichen Haufen, der ihm zur Verfügung steht, eine eingeschworene Mannschaft formt, die sich mit Teamgeist und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gegen alle Widerstände durchsetzt. Brad Pitt werden für seine beherzte, gleichzeitig aber reduzierte und fein nuancierte Darstellung des Baseball-Coaches bereits Oscar-Chancen eingeräumt. Doch Sportlerfilme haben es schwer bei der Academy, man denke nur an Robert Redfords Kevin Costners "Field Of Dreams" (1989), der als bester Film nominiert war, aber am Ende leer ausging. Oder Robert Redfords "The Natural", der, von der Kritik als sicherer Kandidat betrachtet, noch nicht einmal nominiert wurde.

Neuer Clooney-Film: Moralstück über Amerikas Krise

Vielleicht kann Brad Pitt diesen Fluch mit "Moneyball" brechen, zumal bereits die Entstehungsgeschichte des Films Stoff für einen Kinoabend enthält: Nachdem Sony die Rechte an Lewis' Buch 2003 kaufte, waren diverse routinierte Hollywood-Kräfte an der Entwicklung des Skripts beteiligt, doch erst als Außenseiter Steven Soderbergh, ein ausgewiesener Baseball-Fan, im Jahr 2009 das Ruder in die Hand nahm und seinen Freund Brad Pitt mitbrachte, nahm das Projekt Fahrt auf. Sony war jedoch nicht glücklich mit dem dokumentarischen Ansatz, den Soderbergh verfolgte und feuerte den renommierten Independent-Regisseur ("Sex, Lügen und Videotape"), was in der Branche als finaler Todesstoß für "Moneyball" gewertet wurde.

Doch wundersamerweise hielt Brad Pitt dem Film die Treue und suchte letztlich höchstpersönlich den Regisseur aus: Bennett Miller, der seit seinem oscarnominierten Debüt "Capote" (2005) keinen neuen Film mehr gedreht hatte. Ein Glücksgriff, wie sich nun zeigt. Das Drehbuch überarbeitete Aaron Sorkin, der zuletzt mit David Fincher an "The Social Network" gearbeitet hatte. Pitt, längst nicht nur ein gefragter Schauspieler, sondern auch einflussreicher Produzent, nahm also auch hinter den Kulissen eine Art Billy-Beane-Rolle ein - und sorgte mit Kampfgeist und Beharrlichkeit dafür, dass "Moneyball" realisiert und zum künstlerisch wertvollen Film wurde.

Sehnsucht nach einem aufrechteren Amerika

Weniger sportlich, aber nicht minder spannend geht es in der neuen Regie-Arbeit eines weiteren Pitt-Kumpels zu: George Clooney bleibt mit "The Ides Of March" (deutsch: "Die Iden des März") nach "Good Night, And Good Luck", "Michael Clayton" und "Syriana" seinem Faible für den engagierten Politthriller im Siebziger-Jahre-Stil treu - und erzählt die Geschichte des jungen Wahlkampfleiters Stephen Myers (Ryan Gosling), der dem charismatischen demokratischen Gouverneur Mike Morris (Clooney) zur Präsidentschaft verhelfen soll, aber an den Realitäten der Politik scheitert.

Ähnlich wie Billy Beane in "Moneyball" glaubt Myers zunächst noch daran, dass Morris integer ist und an all das, was er von der Energiewende, der Bildungsoffensive und der Besteuerung der Reichen erzählt. Am Ende jedoch muss er einsehen, dass der strahlende Politstar, den er so loyal unterstützt, Dreck am Stecken hat - und die Demokraten genau so schmutzige Intrigen und Ränkespiele pflegen wie die Republikaner. "The Ides Of March" ist ein Moralstück im besten Sinne: konzentriert, düster ohne Zynismus, sehnsüchtig in seinem Glauben an ein besseres, aufrechteres Amerika. In sehenswerten Nebenrollen glänzen Philip Seymour Hoffman, Evan Rachel Wood und Paul Giamatti.

So sind es ausgerechnet die beiden wohl liberalsten Sonnyboys, die Hollywoods jüngere Geschichte hervorgebracht hat, die sich hier in Toronto mit ihren Filmen als beinharte Patrioten zeigen - ein Patriotismus, der sich auf Werte wie Anstand, Moral und Kampfgeist stützt, statt auf dumpfes Amerika-über-Alles. Man mag das belächeln und diese Art des amerikanischen Selbstvergewisserungskinos als schablonenhaft, naiv oder - völlig zu Unrecht - als Erbauungskitsch abtun. Dahinter jedoch steht eine kritische Haltung einem Polit- und Gesellschaftssystem gegenüber, das, besoffen von Macht und Gier, seine Balance verloren hat.

Wie sehr, das zeigt die ebenfalls am Freitag gezeigte Dokumentation " Sarah Palin - You Betcha!" von Nick Broomfield und Joan Churchill über eine der möglichen Präsidentschaftskandidatinnen der Republikaner im kommenden Jahr. Der britische Filmemacher, der mit Filmen wie "Soldier Girls" oder "Kurt And Courtney" Agit-Dokumentaristen wie Michael Moore und Morgan Spurlock beeinflusst hat, reiste nach Wasilla, um Palins Vergangenheit auf den Zahn zu fühlen. Und er hält sich wunderbar zurück, während er das erzkonservative und bedenklich religiös gefärbte Weltbild der ehemaligen Gouverneurin von Alaska und heutigen Tea-Party--Galionsfigur auffächert. Das wirkt so bedrohlich, dass es gar keiner Stimmungs- und Krawallpropaganda im Stile Moores bedarf.

Dann lieber George Clooney for President.

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