Neues Polit-Kino aus den USA Die amerikanischen Träumer

Ist Gewalt okay? Sogar gegen Menschen? Zwei neue US-Filme beschäftigen sich mit Polit-Widerstand im eigenen Land, beide erfreulich unhysterisch. In "The Company You Keep" wird ein Anti-Vietnam-Aktivist von seiner Vergangenheit eingeholt, in "The East" kämpfen junge Idealisten gegen Großkonzerne.
Neues Polit-Kino aus den USA: Die amerikanischen Träumer

Neues Polit-Kino aus den USA: Die amerikanischen Träumer

Foto: 20th Century Fox

Der Terrorismus hat das US-Kino in den vergangenen Jahren in vielerlei Form beschäftigt. Das Spektrum der Arbeiten, die sich mit 9/11 und den Folgen befassen, reicht vom Familiendrama bis zum Kriegsfilm. Sie handeln von Wut, Trauer und Ohnmacht, manche üben Kritik an Politik und Militär, andere artikulieren den Wunsch nach Vergeltung oder zeigen den Preis dafür auf.

In den vergangenen zwölf Jahren ist der Ausnahmezustand so zum Alltag in Hollywood geworden, und in den meisten Filmen droht dem "Homeland" Gefahr von außen. Es herrscht Misstrauen gegenüber der Welt jenseits der eigenen Grenzen, im Kino ebenso wie bei der National Security Agency, die den Globus auf der Suche nach potentiellen Feinden belauscht.

Der Dissens im eigenen Land wird dagegen fast ausgeblendet, und wo man Widerspruch und Subversion sehen könnte, hatte Hollywood in der jüngeren Vergangenheit meist einen blinden Fleck. Darum ist es bemerkenswert, wenn nun im Abstand von einer Woche zwei US-Produktionen in unseren Kinos starten, die den Blick nach innen richten: "The East" von Zal Batmanglij porträtiert ein jugendliches Untergrundkollektiv, das mit illegalen Aktionen gegen Großkonzerne vorgeht. Robert Redford wiederum inszenierte "The Company You Keep" und spielt darin selbst ein unter falscher Identität lebendes Ex-Mitglied des Weather Underground, jener militanten Absplitterung der Studentenbewegung, die vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs einen gewaltsamen Kampf gegen die US-Regierung führen wollte.

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Es sind Erzählungen über Protestgenerationen, zwischen denen Dekaden anderer Erfahrungen und Weltsichten liegen. Auch die Filmemacher trennen Jahrzehnte: Batmanglij ist Anfang 30, Redford wird im August 77. Dennoch verbindet ihre Filme mehr, als ein erster Blick vermuten lässt.

Protagonistin von "The East" ist Sarah Moss, die nach ihrem Ausstieg beim FBI für einen privaten Sicherheitskonzern mit exklusivem Kundenkreis arbeitet. Gespielt wird sie von Brit Marling ("Another Earth"), die zusammen mit Batmanglij auch das Drehbuch verfasste. Sarahs Chefin Sharon (Patricia Clarkson) wählt die junge Frau für einen Undercover-Einsatz aus: Die mysteriöse Gruppe "The East" macht die Führungspersonen von Großunternehmen zum Ziel drastischer Aktionen, um so auf Umweltvergehen und skrupellose Geschäftspraktiken aufmerksam zu machen. Aufnahmen ihrer spektakulären Sabotageakte verbreitet die Zelle in viralen Internet-Videos, was für zusätzliche Unruhe in den Chefetagen sorgt. Nun soll Sarah "The East" finden, infiltrieren und ausheben lassen.

Sarah, getarnt als freisinnige Streunerin, landet auf dramatischen Umwegen in der verborgenen Landkommune der Aktivisten um den charismatischen Benji (Alexander Skarsgård), die energische Izzy (Ellen Page) und den sensiblen Doc (Toby Kebbell). Zunächst fremdelt Sarah mit dem ganzheitlichen Lebensansatz, zu dem auch das Verwerten von vermeintlichen Küchenabfällen, gemeinsame Waschrituale und gruppentherapeutisches Flaschendrehen gehören. Doch bald empfindet sie Zuneigung zu den jungen Idealisten, und beginnt an ihrem Auftrag zu zweifeln. Während Sarah so zusehends ihre Distanz verliert und zur Komplizin wird, überschreitet die Gruppe die Grenze zur Gewalt gegen Menschen.

Eben diesen moralischen Konflikt glaubte Jim Grant (Robert Redford) vor dreißig Jahren hinter sich gelassen zu haben. Damals lebte er noch unter seinem richtigen Namen Nick Sloan und gehörte zu den Weathermen. Heute ist Grant Anwalt und alleinerziehender Vater einer elfjährigen Tochter in Albany, New York. Als sich jedoch ein anderes Mitglied der Weathermen (Susan Sarandon) den Behörden stellt, stößt der Journalist Ben Shepard (Shia LaBeouf) bei Recherchen auch auf Grant und deckt dessen wahre Identität auf.

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Da gegen ihn weiterhin ein Haftbefehl wegen des mutmaßlichen Mordes an einem Wachmann existiert, taucht Grant unter. Verfolgt von Shepard und dem FBI sucht er einstige Weggefährten auf, um mit ihrer Hilfe Mimi Lurie (eindrucksvoll: Julie Christie) zu finden; Grants damalige Genossin ist die einzige Person, die neben ihm um die wirklichen Umstände des tödlichen Überfalls weiß.

Auch wenn Redford ab und an mal rennen muss - wobei er charmanterweise gar nicht erst versucht, sein Alter zu kaschieren - ist "The Company You Keep" ebenso wie "The East" weniger hochtouriger Thriller denn eine wortreiche Exkursion in die Gegenkultur. So bieten Grants Begegnungen mit anderen gealterten Weathermen (glaubwürdig verkörpert von Richard Jenkins und Nick Nolte) Anlass zur intellektuellen Auseinandersetzung über fehlgeleitete und legitime Formen des Widerstands.

Erstaunlich unhysterisch verhandeln beide Filme die Frage, wo erforderlicher Protest endet und willkürlicher Terror beginnt. Dabei kritisieren sie eindeutig die Methoden, allen voran den Einsatz von Gewalt, ohne jedoch die Intentionen zu diskreditieren.

Auch kommen die Filme selbst fast ohne Gewaltdarstellungen aus. In "The East" etwa fallen nur einmal Schüsse, dann allerdings mit fatalen Konsequenzen. Abseits von bisweilen platten Psychologisierungen - alle jungen Aktivisten haben ein persönliches Trauma zu verarbeiten - lassen Batmanglij und Marling ihren Figuren zudem viel Entscheidungsspielraum. Freiheit und die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln ist denn auch ein bestimmendes, sehr amerikanisches Motiv, das "The East" mit "The Company You Keep" teilt.

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Marling, die nebenbei auch eine entscheidende Nebenrolle in Redfords Film spielt, wählt als Sarah am Ende einen eigenen Weg, der weder den Machtinteressen ihrer Auftraggeber, noch den Zwängen des Widerstandskollektivs folgt. Der Optimismus, mit dem sie diesen Aufbruch wagt, mag schrecklich naiv wirken. Aber er ist dennoch ein überzeugtes Bekenntnis zur Zivilgesellschaft, ihrer Transparenz und ihren Möglichkeiten zur Reform.

Auch Redford plädiert unaufgeregt für das Recht zum gewaltfreien Ungehorsam und den Schutz des Andersdenkenden. Das Vertrauen in den Rechtsstaat und in ein sich selbst erneuerndes, demokratisches Gemeinwesen unterscheidet seinen Film dabei von den düsteren Paranoia-Szenarien der Siebziger, als Redford selbst Star in stilbildenden Verschwörungsthrillern wie "Three Days of the Condor" (1975) und natürlich "All the President's Men" (1976) war.

In der Summe sind das keine sensationell neuen Erkenntnisse aus dem Land, das mit Henry David Thoreaus "Civil Disobedience" einen Schlüsseltext moderner Protestkultur hervorgebracht hat. Aber sie erinnern daran, dass auch die Angst vor Terror nicht dazu führen darf, dass ein Staat nur noch den Belagerungszustand kennt und das Gegendenken unter Generalverdacht stellt.

Dass Batmanglij und Redford mehr Fragen stellen, als Antworten zu geben, macht ihre undogmatischen Polit-Filme über die Kinokonventionen hinaus spannend. Die jungen Protestler in "The East" und die ergrauten Dissidenten in "The Company You Keep" taugen weder als Bürgerschreck noch zur Revolutionsromantik. Sie sind amerikanische Träumer, keinesfalls frei von Schuld, gebeutelt von manchem bösen Erwachen. Doch was ihnen bleibt, ist die Hoffnung auf einen neuen Morgen.

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