SPIEGEL ONLINE

Nicole Kidman als Nahost-Pionierin Verdammt, ist das ein Knutschfilm?

Im Berlinale-Film "Queen of the Desert" spielt Nicole Kidman die Forscherin und Spionin Gertrude Bell, die Churchill bei seiner Nahost-Politik maßgeblich beriet. Ausgerechnet Werner Herzog setzt dabei auf Liebesdrama statt Abenteuer.

Filmfestivals sollten sich grundsätzlich gegenläufig zu der Umgebung verhalten, in der sie stattfinden. In Cannes hat man das schon lange begriffen. Dort werden auf der Leinwand vorzugsweise Elendsdramen gezeigt, weil man den Luxus und Glamour an der Côte d'Azur sonst kaum ertragen könnte.

Was mag Festivalchef Dieter Kosslick bewogen haben, die 65. Berlinale mit dem Eis-Drama "Nobody Wants the Night" zu eröffnen und die klirrende Kälte vom Potsdamer Platz in den Saal zu holen? Wo er doch die Chance gehabt hätte, das Wüsten-Epos "Queen of the Desert" zu zeigen, einen wohligen Film, der uns von Sonne, Sand und schönen Menschen träumen lässt?

In "Queen of the Desert" spielt Nicole Kidman die britische Archäologin und Abenteurerin Gertrude Bell, die in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts als politische Beraterin von Winston Churchill maßgeblich für die Grenzziehung des heutigen Irak verantwortlich war, also, wie sich spätestens heute zeigt, für eine Menge Unsinn. Der deutsche Regisseur Werner Herzog, 72, vor fünf Jahren Jury-Präsident der Berlinale, macht daraus ein großes Epos mit wuchtigen Bildern und dröhnender Musik, eine Mischung aus "Lawrence of Arabia" und "Jenseits von Afrika", versetzt mit vielen Verweisen auf die missliche Lage im Mittleren Osten.

Fotostrecke

"Queen of the Desert": Die Kidman-Karawane zieht weiter

Foto: QOTD Film Investment/ Berlinale

Herzog war immer schon ein Regisseur, der im Kampf mit den Elementen zu sich und seinen Filmen fand, der Kampf mit der Natur ist eines seiner großen Themen. Ein Genuss für den Zuschauer, in "Queen of the Desert" mal wieder echte Sandstürme zu sehen, denn der computeranimierte Sandsturm gehört inzwischen zum Hollywood-Standard und ist genauso peinigend anzusehen wie die computeranimierte Riesenwelle. Auch ist und bleibt Herzog der einzige Regisseur, dem man es durchgehen lässt, ein Reh, einen Schwan und eine grüne Wiese in einer Einstellung zum Inbild englischer Idylle zu verdichten.

Teenie-Schwarm spielt T.E. Lawrence

Doch je länger "Queen of the Desert" dauert, desto öfter fragt man sich, ob Herzog, hier Drehbuchautor und Regisseur, nicht bloß eine Fata Morgana ist. Das Wilde, Rohe seiner frühen Filme und das Schräge, Durchgeknallte seiner letzten Arbeiten ist verschwunden. Allmählich ahnt man, dass er womöglich einen Film drehen wollte, wie er ihn noch nie gemacht hat, nicht auf den Nebenströmen unberechenbarer Flüsse im Amazonas, auf denen seine Helden früher ums Überleben und ihren Verstand kämpfen mussten, sondern mitten im Mainstream, ein Hollywood-Spektakel für Zuschauer von Acht bis Achtzig.

So gibt es viele Szenen, wie man sie bislang nicht kannte in Herzogs Werken: Liebende, deren Hände sich tastend finden, die sich romantische Schwüre in die Ohren flüstern. Herzog behauptet sich wacker auf diesem Terrain, geschickt laviert er an der Grenze zum Schmalz entlang. Er verwendet etwas zu viel Zeit auf die Liebesbeziehungen von Bell, die offenbar allesamt tragisch endeten. Irgendwann fragt man sich: Verdammt, ist das ein Knutschfilm? Wo bleibt das große Abenteuer, die Gefahr, was ist mit der glühend heißen Wüste und den Beduinen, die keine Gefangenen machen?

Mit dem Tempo einer Karawane schreitet die Handlung voran. Herzog war immer schon ein großer Reise-Filmer, hier gibt es vielleicht die eine oder andere Rast zu viel. Doch wer sich mit Herzog auf eine Reise begibt, muss damit rechnen, dass es niemals auf direktem und schnellstem Weg zum Ziel geht. Etwas mehr Stringenz hätte "Queen of the Desert" vermutlich gut getan. So bleiben die verschiedenen Ambitionen der Fotografin, Historikerin und Völkerverständigungspionierin Bell nur mehr oder weniger disparate Facetten einer Frau, statt sich zu einem Gesamtbild fügen.

Doch man kann sein Vergnügen haben an den verspielten, amüsanten Dialogen, an der tänzerischen Eleganz der Kamera von Peter Zeitlinger, an der Leichtigkeit dieses Films, selbst an den Auftritten der Knallcharge Robert Pattinson in der Rolle des T.E. Lawrence. Ja, klar, irgendwie geht es in diesem Film, gemessen am Potenzial des Stoffes, letzten Endes um ziemlich wenig. Das ist allerdings eine schöne Abwechslung im Werk eines Mannes, dem es so oft um alles ging.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren