Ohrfeigen für Chris Rock und Oliver Pocher Ein Nachglühen auf der Wange – darum geht es

Skandal bei den Oscars 2022: Der Schauspieler Will Smith gibt dem Moderator und Komiker Chris Rock eine Ohrfeige
Foto: Chris Pizzello / APDie Ohrfeige ist ein besonderes Mittel der Kommunikation. Ein Spezialeffekt, mit dem sparsam umgegangen werden sollte. In jüngster Zeit allerdings scheint er sich zu häufen. Im Zeitalter der Kameras allüberall ist die Ohrfeige offenbar das aktuelle Mittel der Wahl, Meinungsverschiedenheiten endgültig beizulegen.
Der Schauspieler Will Smith war offenbar der Meinung, dass ein Scherz des für Scherze gebuchten Chris Rock sich nicht gehöre. Der Komödiant hatte in Anspielung auf den krankhaften Haarausfall seiner Frau den quasifeministischen Film »G.I. Jane« (1997) erwähnt, in dem mit Demi Moore, man glaubt es kaum, ebenfalls eine Frau kurze Haare trägt. Müder Gag. Zack. Nicht wenige Zuschauer glaubten zunächst, Zeugen einer Inszenierung geworden zu sein.
Kurz vor dieser Ohrfeige vor weltweitem Publikum wurde der Spaßvogel Oliver Pocher am Rande eines Boxkampfs von einem Sprechgesangskünstler ins Gesicht geschlagen. In beiden Fällen ging es um Frauen, also die »Ehre«, irgendwelche offenen Rechnungen. Die Verschulhofisierung der Öffentlichkeit schreitet voran. Eine Setzung, die eigentlich aus der Mode gekommen zu sein schien. Wie der Angriffskrieg.
Dabei ist eine Ohrfeige, im Affekt oder geplant, leicht verpasst. Sie ist aber nur sehr schwer ein- oder gar wegzustecken. Man sieht sie nicht kommen, das ist meistens das Problem. Selten kündigt sie sich an, vielleicht als Flackern im Auge des Aggressors. Nach dem peitschenhaften Knall klingt der Schmerz sehr schnell ab. Es bleibt nur ein Nachglühen auf der Wange.
Darum geht es.
Der Angreifer nimmt in Kauf, dass der Angegriffene entweder zu Boden geht oder zum Gegenangriff übergeht. Dann hätten wir eine Prügelei. Chris Rock lieferte eine Kostprobe seiner Geistesgegenwart. Er behielt die Hände auf dem Rücken, blieb in seiner Rolle und verkündete ungläubig: »Will Smith hat gerade die Scheiße aus mir herausgeprügelt!«
Ein sublimierter Fehdehandschuh
Das liegt in der Natur der Sache. Die Backpfeife zielt auf das Gesicht und damit auf Gesichtsverlust. Ihren Ursprung hat diese Übersprungshandlung im Duell, sie ist also ein sublimierter Fehdehandschuh. Deshalb ist sie teils tatsächlich tätliche, teils nur symbolische Gewalt.
Beate Klarsfeld wusste das, als sie 1968 ein früheres NSDAP-Mitglied, den CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte. Hier schlug nicht nur eine Frau einen Mann, sondern auch eine Jüngere einen Älteren – und zielte ebenfalls erfolgreich auf dessen Ehre. Sowenig man sich selbst kitzeln kann, so wenig kann man sich selbst ohrfeigen.
Anders als bei dieser geplanten und politischen Maulschelle ist die Ohrfeige in der Regel eine Männersache. Will Smith schlug zu, um die Ehre seiner Frau zu verteidigen, die irgendwie – und da wird es problematisch – auch seine eigene ist. Ein giftiger Tweet nach der Show hätte es auch getan. Oder eben gerade nicht.
In der Show selbst war die Ohrfeige kein Thema. Ein Glitch in der Matrix sozusagen, hat im Grund gar nicht stattgefunden. Ohnehin sorgte für vergleichbare Empörung der Umstand, dass Will Smith im Anschluss noch »das F-Wort« verwendete.
Angenommen, anstelle von Chris Rock hätte ein weißer Komödiant, vielleicht Ricky Gervais, sich über den Haarausfall einer schwarzen Frau lustig gemacht – womöglich würde die Ohrfeige, die Will Smith ihm verpasst hat, mancherorts noch einmal anders beurteilt werden.
Und Jada Pinkett Smith? Vielleicht fand sie den Körpereinsatz ihres Gatten rührend, vielleicht fand sie ihn peinlich. Man weiß es nicht, es reden wieder alle über ritterliche oder toxische Männer, die ihre »Familie beschützen« (Will Smith). Zu sehen war jedenfalls eine Form von Gewalt, die in ihrer häuslichen Variante offenbar endemisch ist. Da »rutscht« bekanntlich auch gern »mal die Hand aus«.
Aber das ist kein Thema.