Oscar-Film "No Country For Old Men" Nach dem Morden Hände waschen

Ein zwanghaft reinlicher Killer, ein glückloser Geldräuber - mit diesen zwei Figuren gelingt den Coen-Brüdern eine phänomenale Neudefinition des klassischen Westerns. Der Oscar für den besten Film und die beste Regie versteht sich von selbst.

Alle Achtung, wie der Mann rennen und krabbeln kann, wie geschickt er sich duckt und versteckt! Vielleicht hat er das in Vietnam gelernt. Nur mit dem Schießen haut es bei Llewelyn Moss (Josh Brolin) nicht hin. "Halt still", zischelt der Kriegsheimkehrer in seinen Schnauzer, als er eine Antilope ins Visier nimmt - und nicht trifft. "Halt still", fordert unweit entfernt auch der Killer Anton Chigurh (Javier Bardem), der einem Passanten am Rande des Highways mit einem Bolzenschussgerät ein Loch in die Schläfe bohrt. So schlachtet man normalerweise Rinder.

Getötet wird ja immer, nur die Techniken ändern sich. Sie werden effizienter. Das muss auch der texanische Ordnungshüter Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones) feststellen, der an der Grenze zu Mexiko schon in der dritten Generation Sheriff ist. Als es zwischen dem ungewaschenen Wilderer Moss und Chigurh, dem Präzisionskiller mit geometrisch genauer Pilzkopffrisur, zur Verfolgungsjagd kommt, hängt er sich an ihre Fersen: Tod und Verwüstung, wo er hinschaut. Nein, das ist kein Land für alte Männer.

Koks statt Vieh

Welch Ironie: Ausgerechnet Texas, jener Bundesstaat, dem mit all seinen selbstgerechten Viehbaronen und gesetzlosen Revolverhelden eins der blutigsten Kapitel im US-Gründungsmythos zugeschrieben werden muss, stellt hier ein Refugium gediegener Rechtschaffenheit dar – das nun auf einmal von Kräften von außerhalb bedroht wird.

"No Country For Old Men", in Szene gesetzt nach dem Roman von Cormac McCarthy, dem schonungslosen Chronisten des Tötens im "Lone-Star-State", spielt Anfang der Achtziger, als die lateinamerikanische Drogenmafia die USA als Absatzmarkt eroberte.

Erst wenige Jahre zuvor hatte die Regierung den Kriegsschauplatz Vietnam aufgegeben, da schwappte also eine ähnliche enthemmte und doch ganz andere Gewalt in die Heimat. Das ehemalige frontier land Texas, wo einst mit locker sitzendem Colt um Vieh und Dollars gekämpft wurde, erlebte nun eine neue Art der Landnahme – mit Maschinengewehren und Kokspäckchen.

Das ist der Gewaltkreislauf, in dessen Wirkungsfeld die Coen-Brüder ein zermürbendes Duell in Szene setzen. In vielerlei Hinsicht erinnern ihre kunstvoll ausgeleuchteten Tableaus an den Spätwestern der Sechziger und Siebziger, an jene ultrabrutale Abart des amerikanischen Ur-Kinogenres also, aus der sämtliche Reste von Romantik mit Sturzbächen aus Blut gespült werden. Doch ist in diesen Spätwestern schon alles vorbei, das Land vergeben und das Geld in den Händen der Banken, so geht in "No Country For Old Men" der Verteilungskampf von vorne los – unter veränderten Vorzeichen: Die Dollars wehen nun quasi über die mexikanische Grenze nach Texas.

Man wäre doch dumm, die Scheine nicht einzusammeln. Ganz konkret zwei Millionen sind es, die dem Vietnam-Veteran Moss in die Hände fallen. Irgendwo im texanischen Nirgendwo hat es bei einer Drogenübergabe nämlich eine Schießerei gegeben; fast alle Gangster liegen tot im Staub, nur einer röchelt noch. Moss greift sich also zwei schwere Geldtaschen – und kehrt nachts zurück, um sich doch noch des Überlebenden anzunehmen. Ein Fehler, denn nun wird der glücklose Antilopenjäger selbst zum Gejagten.

Aber durch die Reste von Menschlichkeit in Moss' Verhalten wird ausgerechnet dieser Taugenichts zum romantischen Helden, der für seine Vorstellung von Glück und Gerechtigkeit kämpft. So legen die Coens mit "No Country For Old Men" nichts Geringeres vor als eine von jeglicher Sporen- und Stetson-Folkore befreite Neudefinition des klassischen Westerns. Schon dafür gebührt den beiden Brüdern der Regie-Oscar – zumal sie nach komödiantischen Fingerübungen wie "Ladykillers" ihre Präzision wieder ganz in den Dienst der großen amerikanischen Erzählung stellen.

Die Entfesselung der Gewalt, die sich bei Moss’ bedingungslosem Trachten nach Glück einstellt, wird in elegische Bilder gekleidet. Das Blut fließt hier oft als ruhiger, aber umso bedrohlicherer Mahlstrom; all das Morden hinterlässt Spuren auf Dielen und an Wänden. Obwohl man sich bei den grotesken Gewaltszenarien zuweilen an Sam Peckinpah oder Walter Hill erinnert fühlt, vermeiden die Coens weitgehend das direkte Zitat.

Sucht man einen Paten für ihr Werk, kommt man auf den B-Filmer Raoul Walsh ("High Sierra"), dessen Outlaw-Balladen immer aussahen wie Film noirs – und umgekehrt. Wie bei Walsh gibt es auch bei den Coens eine ökonomische Durchdringung sämtlicher Handlungen: Sowohl der lädierte Gejagte als auch sein bald ebenso lädierter Verfolger haben ständig absurde Verhandlungen zu führen, um sich weiter durchzuschlagen. Da muss man irgendwelchen Bengeln schon mal hundert Dollar zahlen, um einen Stofffetzen für die gemarterten Körper zu bekommen.

Hier schlägt er durch, der alte Coen'sche Aberwitz. Doch in keinem Moment taugen solche Pointen zum comic relief. Zu offen klaffen die Wunden, zu unausweichlich kommt das Böse daher. Und wer hätte je gedacht, dass ein Mireille-Matthieu-Gedächtnis-Pony wie der von Serienkiller Chigurh einem Kälteschauer über den Rücken zu jagen vermag? Javier Bardem spielt die Mordmaschine mit einer Doppelbödigkeit, die cinephile Ausdeuter noch über Jahre beschäftigen dürfte.

Blutrausch und Reinlichkeitsfimmel gehen bei dem Psychokiller Chigurh eine sonderbare Einheit ein. Wie er nach einer Tat die roten Spritzer auf seinen Schuhen entfernt, so penibel kleidet er auch sein Hotelzimmer mit Plastikplane aus, bevor er sich unter martialischen Schmerzen eine Kugel aus dem eigenen Körper operiert. Chigurh mag die Inkarnation des Bösen sein, vor allem aber verkörpert er das Handwerkertum, das noch im wahnhaftesten Serienkiller herrscht: Nach dem Morden bitte Hände waschen.

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